Dieses Bild stammt von Josephine Wall und zeigt einen Medizinmann in Verbindung mit seinen Totems und seinen Visionen. Das ist sehr passend zu meiner Geschichte Animalrider, die ich nun für Euch hier anfange hochzuladen.

Inhalt Animalrider:

Animalspirit (Quelle unbekannt)

Vor unendlich langer Zeit, noch vor der grossen Flut, welche die Erde neu formte, lebten Tiere und Menschen, als gleichwertige Wesen nebeneinander. Die Tiere waren die Alten, welche den „jungen“ Menschen, den Sternkindern, alles über das Leben beibrachten. Einige dieser Menschen, waren ganz besonders begabt. Sie konnten sich in jegliches Tier verwandeln, in das sie wollten und jeder von diesen Allessehenden-  den Animalridern, wurde von einem ganz besonders weisen Tiermentor unterwiesen.

Die junge Schweizerin Nathalie staunt nicht schlecht, als eines Tages ein alter Indianer, in ihrer Wohnung steht und sich ihr als ihr einstiger Meister vorstellt, den sie schon seit Anbeginn ihres Daseins, durch viele vergangene Leben hindurch, kennt. Er eröffnet ihr, dass sie zu den Allessehenden/ den Animalridern gehört und es ihre Berufung ist, diese Eigenschaften in diesem Leben, neu zu entdecken. Nathalie glaubt zuerst nicht an das, was ihr da offenbart wird. Doch ihr Mentor- Wandernder Bär, nimmt sie mit auf eine einzigartige Reise, auf der sie immer mehr mit ihrem Inneren in Berührung kommt und das was sie lernt, manifestiert sich schliesslich mehr und mehr auch im äusseren Leben.

Zur selben Zeit, wird auch der junge Marc von seinem einstigen Mentor Snakeman besucht und auch dieser berichtet ihm, von der einstigen Vergangenheit, als Animalrider. Marc und Nathalie, welche sich schon kennen, deren Wege sich jedoch immer wieder, durch traurige Umstände trennten, erfahren, dass sie seit ewiger Zeit Seelenverwandte und Liebende sind.Wird das Leben sie vielleicht nochmals auf diese Weise zusammenführen, oder trennen sich ihre Pfade?

Noch ist sowieso ein langer Weg zu gehen, bis sie ihre wahre Berufung finden und damit auch ihren Platz im ewigen Kreislauf des Universums, einnehmen können. Viele innere wie äussere Helfer, begleiten die beiden dabei. Nathalie und Marc machen sich auf, zu ihrem ganz eigenen Visionquest (Visionssuche), vor dem farbenprächtigen Hintergrund, der Mythologie der Indianer Nordamerikas.

 

Animalrider Geschichte

Mein selbstgemachter Cover

1. Kapitel             

(Es gibt kursiv und normal geschriebene Textteile. Die normal geschriebenen, spielen in der heutigen Zeit, die kursiv geschriebenen, sind Tagebucheintragungen, vor endlos langer Zeit, wo die Tiere noch viel mehr konnten und Lehrmeister der Menschen waren)                                     

Man nennt mich Mato- den Bär. Als Iktome- die Spinne einst ihr Schicksalsnetz wob, schuf sie das allererste Alphabet. Von diesem Alphabet mache ich hier nun Gebrauch, um alles niederzuschreiben, von der Vergangenheit und der Gegenwart…

Gewaltige Umwälzungen suchen unsere Welt heim. Der grosse Geist lässt seit Wochen über uns regnen. Die Strafe für all unsere Verfehlungen, steht unmittelbar vor unseren Türen. Darum will ich hier über all die Geheimnisse meiner Welt berichten, vielleicht findet jemand einst dieses Schriftstück und erinnert sich an die Zeiten, als Menschen und Tiere noch Freunde waren.

Agleska- die Eidechse, die die Zukunft träumt, sagte mir, dass die Zeit der Tiere bald vorbei sein wird. Etwas wird mit uns passieren, etwas wird sich verändern... und nichts wird mehr sein, wie es einst war. Die zweibeinigen Kinder, die von den Sternen kamen, werden uns ablösen.

Was wird uns nach der grossen Flut erwarten? Werden wir noch dieselben sein? Wird es uns überhaupt noch geben? Ich fürchte mich vor der Zukunft, niemals bisher habe ich solche Furcht empfunden. Darum muss ich die Gelegenheit nutzen zu berichten, was sich alles in unserer Welt zuträgt, damit es nicht für ewig verloren gehen möge.

Natürlich haben wir Vorkehrungen getroffen für die grosse Flut. Wir bauen Boote und legen darin Vorräte für lange Zeit an.

Die wenigen Sternenkinder müssen gerettet werden. Die Zukunft... sie liegt in ihren Händen.Wir sind nicht so wichtig, auch wenn das einige Tiere anders sehen. Sie mögen die Sternenkinder nicht, sie sahen in ihnen schon von Anbeginn einen Feind. Tatsächlich bestätigten ihre Befürchtungen sich teilweise, denn es gibt tatsächlich schon Zweibeiner, die sich über uns Tiere erheben wollten. Doch gibt es auch die Getreuen, die stets unsere Freund geblieben sind.

Immerhin waren wir es, die ihnen beibrachten wie man in der Wildnis überlebt, welche Früche von Mutter Erde man essen kann. Es gab sogar Tiere, die sich ihnen als Nahrung darboten, damit sie nicht des Hungers oder der Kälte wegen sterben mussten. Schwester Antilope- Tatokala z.B. Sie bot den Sternkindern an, dass sie sie in der Not töten, ihr Fleisch essen und ihr Fell als Kleidung verwenden dürfen. Sie sah das als Dienst und als Teil ihrer Weiterentwicklung. Möge der Grosse Geist ihr ihre Güte lohnen!

Leider gibt es unter den Zweibeinern mitlerweile auch solche, die mehr töten als sie eigentlich zum Leben bräuchten,die es lieben, sich mit besonders vielen Fellen zu schmücken, welche nur noch Fleisch essen wollen, auch wenn die Grosse Mutter doch so viel mehr an Nahrung zu bieten hätte. Ich finde z.B. frischen Honig besonders köstlich... doch davon will ich hier nicht zuviel berichten. Es geht um Wichtigeres. 

Eine kleine Gruppe von den Sternenkindern sind für uns besonders wertvoll. Man nennt sie „Die Allessehenden“. Sie sind Wanderer, die sich ganz natürlich zwischen der Welt der Tiere und der ihren bewegen können. Ihnen gehört alle Weisheit, über Leben und Tod. Auf sie setze ich meine grosse Hoffnung.

 Einer der Allessehenden steht meinem Herzen besonders nahe. Sie war meine fleissigste Schülerin und wie eine Tochter für mich. Ihr Name ist Sunkmanitutanka- die Wölfin.

Sie lebt bei der Sippe meiner Freunde, den Wölfen. Einst fanden sie sie nackt und einsam in der Weite der Steppe. Sie brachten dem Mädchen alles bei, was sie wussten und gaben sie dann in meine Obhut, damit ich ihr auch mein Wissen weitegeben konnte. Sie hat sich wunderbar entwickelt. Sie fand sogar einen jungen Mann, den sie von Herzen liebt. Wir nennen ihn „Kangi- den Raben“ denn er weiss um die tiefe Magie des Daseins. Er lernte vom Clan der Raben Einblick in das „Grosse Geheimnis“ zu erhalten. Er hat die Kraft des Heilens. Auch er, ist für mich wie ein Sohn. Die beiden sind ein schönes Paar, mit Augen wie Regenbogenobsidian und langem, gewellte Haar das an glänzende Kohle erinnert. Sie sind beide von kräftiger eher sehniger Statur. Sie erreichten bereits den höchsten Grad ihrer Ausbildung, können sie sich nun in jegliches Tier verwandeln, das auf Erden wandelt.

Schwester Eidechse offenbarte mir, dass man sie einst „Animal Rider“ nennen wird, was auch immer das bedeuten mag.

Es war ein regnerischer, kühler Tag in der ostschweizerischen Stadt St.Gallen. Die Wolken hingen tief zwischen den Hügeln und verliehen allem ein tristes, graues Aussehen. Doch davon merkte Nathalie Egghalder wenig. Sie arbeitete sowieso fast immer am Sonntag und zwar im Völkerkunde- Museum der kulturbegeisterten Stadt.

Gerade gab es eine neue Indianerausstellung, die sehr viele Gäste anzog. Die Kultur der Ureinwohner Nordamerikas, war im Augenblick sehr im Aufwind. Es gab immer mehr Workshops und Meditations Gruppen, die sich mit dem indianischen Weisheitsweg und der Lebensweise selbiger intensiv auseinandersetzten.

Nathalie war ebenfalls sehr fasziniert von allem was sich um die Indianer drehte. Immer nach Feierabend durchquerte sie deshalb nochmals die Aussellung und bewunderte die wunderschönen Federschmücke, Gewänder, Waffen, Zeremonienutensilien und anderen  Gegenstände des besagten Volkes, in aller Ruhe.

So auch heute. Die meisten Lampen hatte sie schon gelöscht, nur noch die Vitrinen waren beleuchtet.

Immer zu dieser Zeit erfüllte das 25- jährige Mädchen eine seltsame Sehnsucht, fast eine Schwermut. Sie glaubte dann auf einmal durch ein Fenster schauen zu können und die Vergangenheit zu erblicken. Meist waren diese Erlebnisse so intensiv, dass es ihr vorkam, als könnte sie die Indianer bei der Arbeit, bei der Jagd oder bei einer ihrer besonderen Zeremonien selbst erleben. Sie glaubte gar Gerüche zu riechen, Stimmen zu hören.

Meist schüttelte sie dann den Kopf, um wieder aus ihrem tranceähnlichen Zustand zu erwachen, der sie irgendwie beunruhigte. Meist schob sie ihre Erlebnisse dann auf eine zu lebhafte Phantasie ihrerseits.

Langsam, fast meditativ ging sie von Vitrine zu Vitrine. Vor einem besonders schönen mit Adlerfedern, Perlen und Lederbändern verziertem Kalumet (Friedespfeife) blieb sie stehen.

Und ...auf einmal wich der Vorhang der Gegenwart zurück! Sie sah vor sich die weite Prärie. Ein heller Lichtball erschien am Horizont und näherte sich. Nathalie sah sich selbst auf dieses Licht zugehen. Und dann erblickte sie ihn! Einen schneeweissen Büffel der aus dem Licht trat!

Nathalie taumelte zurück. Das Bild verschwand und sie sah wieder nur die Vitrine mit dem Kalumet vor sich. „Was um alles in der Welt ist mit mir los?“ sprach sie laut in das Halbdunkel des Museums hinein, als wolle sie die seltsamen Bilder verscheuchen. Sie wandte sich apprupt ab und verliess den Raum.

Pflichtbewusst wie immer, aber ihre Gedanken weit entrückt, löschte sie alle Lichter und schloss die Tür des Museums hinter sich zu.

Es war Spätherbst und der Wind blies eiskalt. Nathalie schlug den Kragen ihrer schwarzen Leder- Jacke hoch und ging schnellen Schrittes die regennasse Strasse entlang. Ihr Wagen befand sich einige Meter vom Museum entfernt. Sie bestieg den bereits ziemlich alten Renault clio, dessen weisser Lack auch schon bessere Tage gesehen hatte und fuhr los.

Sie wohnte etwas ausserhalb des Stadtzentrums in in einem alten Mehrfamilienhaus.Dieses besass schwiedeeisernen Balkone und grosse Fenster, die jeweils von ausgebleichten, grauen Läden flankiert wurden. Drei grosse Ahorn- Bäume umsäumten es und Efeu überwucherte den nördlichen Teil der Fassade.

Das Mädchen stellte ihr Auto auf den dafür vorgesehenen Platz, einige Meter vom Haus entfernt und wollte sich schnellstmöglich in die Wärme flüchten, als sie auf einmal inne hielt!

Sie glaubte ein Geräusch hinter sich zu vernehmen. War da nicht ein Schatten hinter jenen Büschen? Sie umfasste den Pfefferspray, den sie immer in der Tasche trug fester. Doch da sah sie den vermeintlichen Verursacher des Geräusches auch schon. Es war ein Marder der hinter ihr über die nächtliche Strasse huschte, oder war es womöglich ein „Wiesel“ gewesen?...

Das Wiesel kam vor ein paar Wochen in Tränen aufgelöst zu mir. Es berichtete mir dass die Flüsse im Westen über die Ufer getreten seien und die Wasserdrachen bereits viele unserer Tier- und Menschenbrüder verschlungen hätten. Die Seen in den östlichen Waldreichen, seien ebenfall stark angeschwollen und überschwemmten grosse Teile des Landes.Von den fernen Küsten hörte man wie die Meeresgeister die Fluten des grossen Wassers aufpeitschten, was ebenfalls viel Opfer forderte.

 Es waren schreckliche Nachrichten die der „Kundschafter“ brachte, doch es würde noch schlimmer werden. Bis die Flut auch unser Land überschwemmte, würde es noch etwas länger dauern, doch der Tod kam sicher, wenn auch schleichend. So berief ich den Rat der „Weisen“ (zu dem ich in aller Bescheidenheit auch gehöre) ein, um zu besprechen, was weiter zu tun sei.

Ich schickte den Falken aus, um alle Ratsmitglieder zusammen zu rufen.

Es dauerte nicht lange, bis sie einer nach dem andern eintrafen. Es gab einen Vertreter jedes Tierklans, auch ein paar der „Allessehenden“ waren anwesend. Darunter auch meine beiden liebsten Schüler: Sunkmanitutanka- und ihr Gefährte Kangi. Ich habe meine eigenen Namen für die beiden. Sie nenne ich „Suna“ und ihn nenne ich „Kai“. Mein Herz ist voller Wärme für die zwei und ich staune, wie gut sie doch zusammenpassen. Sie sehen aus wie Zwillinge und doch sind sie verschieden in ihrem Wesen. Suna ist die Gesellige, stets offen und freundlich in ihrer Art. Allerdings gewinnt man ihr Herz nicht so einfach. Sie besitzt ein gesundes Misstrauen. Wenn man aber mal ihr Vertrauen erlangt hat, ist sie die allerbeste Freundin, die man sich vorstellen kann. Sie würde für ihre Lieben durch das Feuer der Unterwelt gehen, würde gegen gefährliche Drachen kämpfen, oder sich bösen Dämonen entgegenstellen, wenn es sein müsste. Sie ist eine sehr gewandte Kämpferin. Ihr Hikory-Bogen, verstärkt mit den Sehnen von Bruder Bison und geschmückt mit dem heiligen Fell der Bisam Ratte, trägt sie stets bei sich. Die Pfeile dazu wurden aus dem Holz des heiligen Baumes Psehtin- der Esche geschnitzt, welchen man auch „Baum der Himmel und Erde verbindet“ nennt. Die Schäfte sind befidert mit Adlerschwingen. Diese Federn waren einst ein Geschenk des Ratsmitgliedes „Weiser Adler“ an Suna. Man erzählt sich, dieser sei direkt vom Himmel gekommen, um uns die geistige Erkenntnis zu vermitteln, die alles am Leben hält. „Weiser Adler“ ist uralt und sein Gefider ist schon fast weiss. Es war eine Ehre für meine Schülerin, von ihm diese Federn zu erhalten. Ihr Bogen ist deshalb auch besonders geheiligt und verfehlt kaum mal sein Ziel. Kai ist in seinem Wesen eher still und in sich gekehrt. Er birgt grosses Wissen in seinem Innern, dass er nur wenigen preis gibt. So ist er nicht immer einfach einzuschätzen. Sein ganzes Gebahren ist geprägt von einer ruhigen Besonnenheit. Seine liebste Waffe ist der Tomahawk. Auch dieser ist geschmückt mit den Federn von „Weiser Adler“, doch auch noch mit den Federn des „Präriehuhns“, welches der Wächter der „Heiligen Spirale des Aufstiegs“ ist. Dies ist ebenfalls eine besonders hohe Auszeichnung für meinen Schüler. Es zeigt an, dass er im Geiste in die höchsten Sphären der unsichtbaren Welten aufsteigen gelernt hat. Kai aber zeigt selten etwas von seinem Können. Er ist still und bescheiden, doch in ihm brennt ein Feuer, dass ich noch bei wenigen sah. Er und Suna sind wie zwei Seiten derselben Medaille. Sie ergänzen sich in allen Bereichen des Lebens wunderbar und das macht ihre Beziehung aus.

 Doch habe ich wieder zu weit ausgeholt. Ich wollte doch über die Ratsitzung berichten. Alle kamen also: „Grauer Wolf“- mein besonderer Freund, der Adler, Bruder Bison, Mutter Schildkröte, die Eule, der Hirsch, Vater Krähe, Alter Kojote, Schwester Schlange, das Reh und der Rabe . Fast alle von ihnen hatten eins der Sternkinder an ihrer Seite, die bei den verschiedenen Klans aufgewachsen waren. Bei Bruder Rabe, war es eben Kai, bei „Grauer Wolf“ Suna. 

Ich war Vositzender des Rates, darum hatte ich kein besonderes Menschenkind an meiner Seite. Die meisten der verschiedenen Klans aber waren schon mal bei mir in der Lehre gewesen.

Eigentlich weiss ich noch heute nicht womit ich die Ehre des Vositzenden verdient habe... Doch kommen wir zum Wesentlichen!

Wie üblich ergriff bei den Ratsversammlungen der Vorsitzende zuerst das Wort, das war demzufolge ich (was ich eigentlich nicht sehr liebe): „Wie ihr alle wisst,“ begann ich, „hören wir Hiobsbotschaften aus allen Teilen unserer Welt. Die grosse Flut wird kommen, das hat uns „Agleska“, (dabei blickte ich zur Eidechse hinüber) prophezeit. Es wird höchste Zeit...

 Entgegen der Gebräuche, begannen nun alle durcheinander zu sprechen: „Was tun wir? Unsere Brüder und Schwestern sterben! Bauen wir Boote? Die Hälfte meines Klans ist bereits gestorben! Es muss etwas getan werden! Aber was? Meint ihr wirklich das dies die grosse Flut ist? Hat Agleska sich womöglich geirrt?“ Dies waren Fragen die ich unter anderem heraushörte. Ich griff nach dem sogennanten Sprechstab, der laut der Legende aus den Wurzeln des Weltenbaumes gefertigt war und hob ihn in die Höhe. Er verlieh dem der in trug, die Macht allein zu sprechen. Sogleich verstummten die vielen Rufe und es wurde totenstill. „Ich verstehe dass ihr alle sehr durcheinander seid Brüder und Schwestern. Doch wir wollen jedem einzelnen die Möglichkeit geben zu sprechen. Wenn ihr alle zusammen sprecht wird das nichts.“ Ich reichte den Stab weiter an „Grauer Wolf“ dessen Fell wie Kohle und Asche aussah. Auch er war sehr alt und weise. Seine Stimme klang besonnen als er sprach: „ Ich glaube nicht das Agleska sich geirrt hat. Sie irrt sich niemals. So wird  die grosse Flut kommen und unsere ganze Welt verschlingen. Es ist entsetzlich und doch kann es ein neuer Anfang für uns alle sein. Der Grosse Geist weiss was er tut. Wenn wir ehrlich sind, haben wir Tiere uns das eigentlich selbst zuzuschreiben. So viele von uns haben ihre ursprüngliche Herkunft, ihre Aufgabe vergessen. Sie stehen der Evolution im Wege, die die Sternkinder als zukünftige Wächter der Welt bestimmt hat. Nicht umsonst fiel einst das erste Sternenkind durch das Loch des entwurzelten Himmelsbaumes, hinunter auf unsere Welt. Alle Tiere einigten sich darauf diesem Sternkind und ihren Nachkommen einen guten lebenswerten Platz zu schaffen. Dies ist unsere geliebte „Mutter Erde“. Sie ist gütig und freudlich aller Kreatur gegenüber. Doch so manche von uns, leben in Feindschaft mit den Menschenkindern. Das sieht der Grosse Geist nicht gern, darum wird er diese Welt umgestalten. Es kann gut sein, dass wir dadurch unser Position als die Alten verlieren, oder nicht mehr wahrnehmen können. Doch liegt das alles bei uns. Ich finde es wichtig, dass wir uns unserer Verfehlungen bewusst werden, vielleicht wird es dann doch noch eine gemeinsame Zukunft von Menschen und Tieren geben. Darum lasst uns Boote bauen um der grossen Flut zu trozten so gut es geht...“ Er reichte den Stab weiter an die elfenbeinfarbene Schlange neben ihm, ihre Augen funkelten wie das Gold von Bernstein. Diese sprach mit zischender Stimme: „Was du da sagst Bruder Grauwolf mag in manchem stimmen. Doch, ist deine Sichtweise nicht etwas gar einseitig? Nicht nur wir sind schuldig geworden was die Sternkinder betrifft. Auch sie sind uns teilweise feindlich gesinnt. Besonder wir Schlangen haben oft darunter zu leiden. Sie verstehen unser Wesen nicht, einige zertreten uns einfach unter ihren Füssen, oder nehmen unsere Haut um ihre Waffen zu schmücken. Dafür töten sie viele von uns. So manche meines Volkes hassen sie deswegen und haben schon oft ihre Giftzähne gebraucht um sie ihrerseits zu töten. Ich heisse solche Verhaltensweisen nicht gut, habe ich doch selbst schon viele Sternkinder in meiner Obhut gehabt, die ich sehr liebe und denen ich alles anvertauen würde, sogar mein  Leben.“ Dabei blickte sie wohlwollend zu ihrem Schüler herüber, ein kleiner schmaler Junge mit leuchtenden Augen und halblangem, schwarzen Haar. Er trug ein Oberteil aus dem schwarzbraunen Leder einer verstorbenen Kobra und ein ebensolcher Lendenschurz. Verlegen lächelte er, als sich alle Blicke auf ihn richteten.

Zuze'ca - die Schlange, fuhr fort: „Dennoch gibt es schon sehr Viele meines Volkes die anders denken und ihre Zahl wächst täglich. „Schwarzer Zahn“, mein bisher engster Vertrauter, ist den Sternkindern feindlich gesinnt. Er drängte mich vor dem Rat den Unwillen des Schlangenvolkes kund zu tun. Doch ich bin nach wie vor ein Freund der Menschen, und ich weiss welche Verpflichtungen wir gegenüber ihnen eingegangen sind. Trotzdem will ich ehrlich zu euch sein. Es gibt Feinde unter den Schlangen, die nicht zu unterschätzen sind, ebenso auch Feinde unter dem Menschenvolk. Wir müssen darum besorgt sein, dass selbige nicht die Überhand gewinnen. Das geht nur, wenn Mensch und Tier sich weiterhin gegenseitigen Respekt entgegenbringen. Das... betrifft alle...“ Die Schlange schwieg nun und ringelte sich wieder bedächtig zusammen. Ihre goldgelben Augen, die ihr auch den Namen „Goldenes Auge“ eingebracht hatten, musterten die Anwesenden still. Einige des Rates nickten zustimmend.

Schliesslich bat der „Grosse Hirsch“,zwischen dessen Geweih der Blitz der Erkenntnis wohnt, um das Wort. Er meinte mit wohlklingernder, tiefer Stimme: „Ich verstehe, was du uns sagen willst Schwester Schlange. Du hast sicher recht und wir müssen bedenken, dass  nicht alle unserer Meinung sind, was die Sternkinder betrifft. Das ist, wei Grauer Wolf  bereits sagte auch einer der Gründe, warum die grosse Flut uns heimsucht. Wichtig ist sich im Klaren zu sein, dass der Grosse Geist alles sieht und er weiss stets was er tut. Ich persönlich sehe in der Sinflut nicht nur eine seiner Geisseln. Er verfolgt noch andere Ziele mit dieser Flut, auch wenn das sehr schwer zu begreifen ist. Ich verlohr selbst schon viele meiner Brüder und Schwestern, die ich sehr liebte. Es wäre aber falsch die Hoffnung zu verlieren. Wir müssen etwas tun und darum bin ich auch dafür Boote zu bauen. Doch ist es vor allem wichtig, dass wir im Geiste stark bleiben und uns auf eine neue Zukunft freuen, denn ich weiss dass die Sinflut nicht das Ende ist. Es wird danach erst richtig beginnen und dann wird sich erweisen ob Tiere und Menschen weiterhin am selben Strick ziehen werden. Jedenfalls ist dazu, wie Schwester Zuze'ca bereits sagte gegeseitiger Respekt und Liebe unverzichtbar...“

Nathalie schlenderte zufrieden durch den Tierpark, den man einst über den Dächern der Stadt St.Gallen auf einem Hügel angelegt hatte. Sie kannte diesen Park seit ihrer frühesten Kindheit. Schon mit ihren Grosseltern war sie manches Mal hier gewesen. Damals hatte sie den Tieren oft Kastanien verfüttert, weil ihre Grosselteltern einen grossen Kastanien- Baum besassen.

Heute hatte sich vieles verändert. Füttern war nun nicht mehr erwünscht und wenn man doch Brot oder irgendetwas spenden wollte, musste man dies in hölzerne, eigens dafür vorgesehene Behälter werfen. Eigentlich schade, fand das Mädchen wenn auch sicher verständlich. Immerhin gab es immer noch Leute die verschimmeltes Brot oder sonst etwas Schädlichen an die Wildtiere verfütterten.

Die Gehege des Rotmonter- Tierparkes waren sehr schön und gross. Es gab Hirsche, Gemsen, Steinböcke, Wildschweine, Luchse (meist nicht zu entdecken) und sogar Murmeltiere (die mal allerdings nur in den wärmeren Jahreszeiten zu Gesicht bekam).

Nathalie konnte hier besonders gut abschalten und genoss es, den Tieren zuzuschauen. Sie liebte Tiere über alles. Ihre Familie hatte immer Tiere gehalten. Sie vermisste das etwas, seit sie alleine lebte. Doch sie wollte bei ihrem 100% Job kein Tier haben, sie hatte einfach zu wenig Zeit.

Heute war ein besonders schöner Montag Nachmittag.Vor zwei Tagen war herrlicher Neuschnee gefallen und seit gestern schien nun auch die Sonne. Ihr strahlendes Licht fiel auf die verschneiten Bäume und Wiesen und brachte die Schneekristalle wie tausend Diamanten zum Glitzern. Gleich neben dem Park, befand sich ein Schlittelhügel, der bei diesem Wetter, besonders am Wochenende, stark bevölkert war. Der Vorteil am Montag war die Stille. Es hatte dann viel weniger Leute überall. Nathalie genoss das sehr, denn die Ruhe dieses Parkes stand ihrem Herzen näher als die Geschäftigkeit der Stadt.

Vor dem Rothirsch- Gehege blieb sie stehen und beobachtete einen eindrücklichen Acht- ender, welcher vermutlich der Leithirsch der Herde war. Unbewusst rief sie ihm im Geiste zu: „Hallo du Schöner, wie geht's denn so?“ Sie tat solche Dinge öfter, aber ohne sich viel dabei zu denken. Sie besass einen guten Zugang zu den Vierbeinern und sie glaubte, dass die meisten Tiere es spürten, wenn man ihnen gut gesinnt war. Dennoch war sie sehr erstaunt, als der Hirsch den sie gerade in Gedanken begrüsst hatte, sogleich die Ohren spitzte und ihr seinen edlen, kastanienbraunen Kopf zudrehte.

Langsam und bedächtig trottete er auf das Gehege zu und blickte sie mit seinen grossen, wie brauner Samt schimmernden Augen an. Eine seltsame Tiefgründigkeit lag in diesen Augen, als befände sich hinter ihnen das Wissen einer vergangenen Zeit. „Danke es geht mir soweit gut,“ hörte Nathalie auf einmal eine Stimme in ihrem Kopf. Sie starrte das Tier fassungslos an. Hatte dieser Hirsch tatsächlich gerade zu ihr gesprochen? Aber das war doch… unmöglich! „Unmöglich ist ein unschönes Wort, weil es keinen Raum mehr für Hoffnung gibt,“ erklang erneut die Stimme in ihrem Innern. Der Acht- ender blickte sie immer noch unverwandt an. „Sprichst du tatsächlich zu mir?“ fragte Nathalie im Geiste. Es mochte absurd erscheinen, doch sie begriff irgendwie, dass hier etwas Grosses im Gange war. „Ja und es erstaunt mich wie dich, dass wir uns verstehen.“ „Das ist so seltsam. Wie kann das sein?“ „Etwas liegt in der Luft, etwas das mich an alte Zeiten erinnert als meine Vorfahren noch frei durch die Wälder streiften. Du trägst ein Zeichen Menschenkind. Doch was für ein Zeichen... es entzieht sich meinem Wissen... Trotzdem spüre ich es und...darum spreche ich zu dir. Es ist... als wären wir Geschwister. Doch das ist eigenartig...“ „Bist du glücklich hier?“ „Es ist schwer zu sagen. Ich wurde in diesem Park geboren. Ich weiss schon, dass es ein anderes Leben da draussen gibt. Doch nicht mehr für mich. Ich habe hier alles, eine eigene Herde, täglich etwas zu fressen und ich muss mich nicht vor Feinden fürchten. Es ist ein gutes Leben, denke ich. Es ist immer wie es ist. Wir alle müssen uns immer wiede neuen Gegebenheiten anpassen... doch nun muss ich wieder gehen.“ Der Hirsch blickt zu seiner Herde herüber und fügte dann noch hinzu: „Jener junge Hirsch dort, könnte sich einfallen lassen, meine Kühe durcheinander zu bringen. So leb denn wohl. Vielleicht besuchtst du mich mal wieder!“ Dann galoppierte der Leithirsch mit hocherhobenem Geweih davon.

Nathalie blieb einen Augenblick lang wie hypnotisiert stehen und blickte dem Hirsch hinterher, der nun alle Hände(Hufe) damit zu tun hatte seinen jungen Rivalen in die Schranken zu weisen. Der Ruf einer Krähe, die bisher über ihr auf dem Wipfel eines Baumes gesessen hatte und sich nun in die Lüfte erhob, riss das Mädchen aus ihrer Erstarrung. Traumbefangen blickte sie ihr nach, dann ging sie langsam weiter.

Vater Krähe, der die Leere kennt, ergriff als Nächster das Wort. Er sprach: „Wie Bruder Tahca (Hirsch) bereits bemerkte, werden wir uns ganz neuen Begebenheiten anpassen müssen, jetzt da die Flut unsere Welt bedroht. Es ist von grosser Wichtigkeit dass jemand  der unseren alles aufschreibt, von der Vergangenheit und der Gegenwart. Damit unseren Nachkommen und jenen der Sternenkinder wertvolles Wissen erhalten bleibt. Mein Auge blickte ebenfalls in die Zukunft und ich sah, dass vor allem die „Allessehenden“ irgendwann wieder eine wichtige Rolle einnehmen werden. Dann... wenn all unsere Taten nur noch Mythen sein werden und viele nachfolgenden Kulturen zerstört sind. Darauf wird wieder eine Zeit der Erleuchtung folgen und man wird unserer gedenken. Deshalb muss unser Wissen bewahrt bleiben. Ich werde darum besorgt sein, dass es nur jenen zuteil wird, die es auch wertschätzen und verstehen. Wir sollten heute den bestimmen, der diese Aufgabe übenimmt. Und denkt immer daran Brüder und Schwestern: Der leibliche Tod ist noch lange nicht das Ende, es ist ein Neubeginn. Denn aus der Leere erschafft der Grosse Geist immer wieder neues Leben. Das ist alles, was ich dazu zu sagen habe...“

Das Erlebnis mit dem Hirsch ging Nathalie noch lange nach. Sie versuchte an jenem Tag noch mit andern Tieren auf dieselbe Weise zu kommunizieren, doch irgendwie wollte es gar nicht mehr klappen. Schliesslich griff sie wieder zu der Taktik, die ihr am einfachsten erschien: Sie tat das Erlebnis als Produkt ihrer Phantasie ab, die äusserst seltsame Blüten trieb…

Wie immer, nach einem mehr oder weniger arbeitsreichen Tag im Museum, kehrte sie nach Hause zurück. Es war jetzt wieder Samstag.

Sie streifte ihre warmen Winterstiefel aus braunem Leder ab und ging zuerst in die Küche um sich etwas Zwischenverpflegung aus dem Kühlschrank zu holen.

Ihre Wohnung lag im 3.Stock. Sie besass grosse schöne Räume, allerdings war ihre gesamte Ausstattung ziemlich alt. Die Böden waren aus groben Holzdielen, die nicht selten unter den Füssen knarrten, die Wände bestanden aus weissem Putz und die Fenster waren nur mässig isoliert.

Nathalie hatte alles im Ethno Stil eingerichtet. Da gab es eine Sitzgruppe aus ellastischem Korbgeflecht, Tische und Stühle aus dunklem Holz, teilweise verziert mit Schnitzereien. Verschiedene luftige Tücher als Raumabtrenner und Vorhänge aus verschiedenfarbigem Kunstseidenstoff, hingen von der Decke herab. Überalls standen Figuren und andere Gegenstände der verschiedensten Kulturen. Ein grosser Traumfänger, hing über dem dunkelrot bezogenen Futon, auf dem Nathalie jeweils schlief und überall hingen Bilder von Amerika, Australien und Afrika.

Nathalie war, wohl auch durch ihre Arbeit im Völkerkundemuseum, sehr interessiert an allen Völkern der Erde. Am liebsten hätte sie auch noch indische und asiatische Utensilien in ihrer Wohnung untergebracht, doch das Ganze war so schon zusammengewürfelt genug. Darum hatte sie sich für ihre drei Lieblingskulturen entschieden.

Ihr Bücherregal war der beste Beweis für ihre vielseitigen Interessen. Sie besass bereits soviel Bücher, dass wohl bald ein neues Gestell her musste.

Nachdem sie sich ein Brot mit Käse gemacht und eine Flasche mit Eis- Tee aus dem Kühlschrank genommen hatte, warf sie sich auf das Sofa, schaute die Post durch und stillte dabei ihren Hunger und ihren Durst. Dann begab sie sich ins Badezimmer um sich frisch zu machen.

Sie blickte in den Spiegel und fand, dass sie sehr bleich wirkte. Ihre braunen, glatten Haare, die sie meist zu einem Pferdeschwanz zusammenband, hingen ihr etwas wirr ins Gesicht. Sie besass eine schmale, spitze Nase, einen vollen Mund und erstaunlich dunkle Augen, welche von langen, ebensolchen Wimpern überschattet wurden. Die Brauen waren ebenso markant. Nathalies Teint war schon immer ziemlich hell gewesen, doch sie wurde im Sommer wenigstens schnell braun. Das war ein Vorteil. Der Körperbau des Mädchens war schlank, allerdings entsprach er nicht dem Magerlook, der heute überall so verbreitet war. Sie hatte wohlgeformte Brüste und auch ihre Hüften besassen gesunde Rundungen. Die andern Leute bezeichneten sie als hübsch, nicht zuletzt wegen ihrer  Augenpartie, die sich auf angenehme Weise von ihrem Gesicht abhob. Viele fanden, sie hätte etwas Exotisches an sich.

Wie üblich schätzte Nathalie sich selbst etwas kritischer ein. Sie fand sich nicht so besonders, vor allem jetzt im Winter nicht, wenn sie so bleich war.

Während sie noch über ihren viel zu hellen Teint nachgrübelte, entledigte sie sich ihrer Kleider. Meist trug sie irgendwelche Jeans, einen bequemen Pulli oder pflegeleichte Blusen.

Das Mädchen stieg nun in die Dusche. Das warme Wasser floss über ihren Körper und ein wohliger Schauer durchlief sie dabei. Ahh tat das gut! Das Wasser schien alles Unreine abzuwaschen, das den Tag hindurch auf sie eingewirkt hatte. Es war eine Reinigung nicht nur von Körper, sondern auch von Geist. Während sie die Augen schloss und den warmen Strahl auch über ihren Kopf fliessen liess, sah sie vor sich ein wunderschönes weites Land mit sanften Hügeln, Tälern, Steppen und Wäldern. Ein einsamer Adler kreiste am tiefblauen Himmel... und wieder flog ihr Geist davon... in eine unbekannte Zeit, nach der sie sich so sehnte und die doch so unerreichbar schien...

Weiser Adler der bisher alle Reden der verschiedenen Ratsmitglieder mit seinen scharfen, hellblauen Augen verfolgt hatte gab nun zu verstehen, dass er auch noch zu sprechen wünsche. Sein schneeweisses Gefider raschelte wie die Blätter von Canyah'u dem „Baum des Lebens“(Pappel).Das was Vater Krähe sagt ist von grosser Wichtigkeit und ich will mich diesen Worten anschliessen. Tatsächlich werden die „Allessehenden“ einst wieder aufsteigen, doch vorher wartet eine grosser Leidensweg auf sie. Der Grosse Geist der in den Träumen zu mir spricht, liess mich Schreckliches erblicken. Ein neuer Feind wird einst diese Welt heimsuchen. So wie die Flut uns heimsucht und unsere Herrschaft beenden wird, so wird eine Flut von fremden Zweibeinern einst die Sternkinder heimsuchen. Doch wird deren Geist nie ganz gebrochen werden. Ihr Andenken und damit auch unser Andenken wird bewahrt bleiben und eines Tages wird die Welt ihnen die nötige Ehre zukommen lassen.

Die Zweibeiner die nach euch kommen werden, sprach Manitu zu mir werden verstockt sein und sie werden das Grosse Geheimnis nich mehr verstehen. Sie werden den Nachkommen der Sternkinder grosses Leid zufügen, ihnen ihr Land nehmen und sie versuchen von ihrem Glauben abzubringen. Obwohl ich ihnen eigentlich dieselben Lehren gegeben habe wie Euch. Die Fremden werden eine Haut haben wie Elfenbein und Rüstungen tragen, die an silberne Schildkrötenpanzer erinnern. Andere kleiden sich in verschiedenfarbige Röcke und Uniformen. Sie werden neue Waffen haben und viele von euch töten.“

Als Weiser Adler diese Worte aussprach stockte seine Stimme und ein Zittern durchlief die Mitglieder des Rates. Die Augen von Suna und den andern „Allessehenden“ waren ganz besonders vom Schreck geweitet. Ohne zu berücksichtigen das eigentlich Vater Adler noch immer das Wort hatte, rief Kai: „Aber das ist ja schrecklich! Müssen wir da nicht etwas unternehmen?“ Grosser Rabe, dessen Gefider ebenfalls wie frischer Bergschnee aussieht (die Legende spricht davon, dass die Raben einst weiss waren), wies ihn zurecht: „Wie kannst du den Rat auf diese Weise stören Cinksi(Sohn)? Du unterbrichs das Wort von „Grosser Adler“. Habe ich dich nicht gelehrt, dein jugendliches Ungestüm zu zügeln? In allem was geschieht liegt eine Weisheit. Der Grosse Geist tut nichts zufällig. Die Welt wandelt sich, wird sich immer wandeln. Tod und Leben gehören untrennbar zusammen. Wir Tiere wissen auch, dass uns kein glückliches Schicksal erwartet, doch wir nehmen es an.“ „Aber Ate(Vater)!“ widersprach Kai, was ihm einige tadelnde Blicke des Rates einbrachten,(was er allerdings wenig beachtete) „Das ist etwas anderes! Die Sinflut hat einen natürlichen Ursprung, aber diese Fremden, die uns einst alles nehmen werden, nicht. Von wem werden sie geschickt, von den Dämonen, einem unbekannten Feind? Was können unsere Nachfahren ihnen entgegensetzen? Können sie  zulassen, dass sie unsere Kultur einfach vernichten? Wie sollen sie sich vehalten? Und wir? Was können wir tun?“ seine Stimme klang nun verzweifelt und ich hatte grosses Mitleid mit ihm. Darum sprach ich: „Wir müssen Kai und auch die andern „Allessehenden“ verstehen! Deine Nachricht Vater Adler ist schrecklich und es betrifft vor allem sie.“

„Ich kann das gut nachempfinden,“ sprach Weiser Adler verständnisvoll und blickte Kai mitfühlend an. „Doch es wird geschehen und wir müssen es annehmen lernen. Wir müssen von Tag zu Tag leben. Das Nichtstun in diesen Belangen mag schwer erscheinen, aber zuerst gilt es diese Sinflut zu überstehn. Das wird unser ganzes Denken und Handeln in Anspruch nehmen.“ Er wandte sich an Kai: „Du solltest bei allem was geschieht daran denken, dass auch das Leid ein Teil des Lebens ist. Diese Fremden die kommen werden, werden ihre Orientierung verohren haben. Sie können Recht und Unrecht nicht mehr unterscheiden. Doch wenn die Sternkinder Gleiches mit Gleichem vergelten, wird auch deren Seele von Hass und Zorn zerfressen werden. Es ist unendlich wichtig, dass die Sternkinder sich ihre innere Reinheit bewahren und ihr Erbe nicht vergessen. Dann wird  nach der Zeit des Leidens wieder eine Zeit des Glücks folgen, denn nichts...währt ewig ausser das „Grosse Geheimnis“...“

„Idiot!“ fluchte Marc Keller, als ein anderer Autofahrer ihn auf der Autobahn Richtung  St. Gallen übeholte, viel zu schnell wieder einfädelte und ihm so den Weg auf gefährliche Weise abschnitt. „Na dem werd ich‘s zeigen!“ Angestachelt von seinem Ärger, drückte Marc das Gaspedal seines roten Opels durch, zog an dem rücksichtslosen Fahrer vorbei und schnitt diesen ebenfalls. Der andere hupte und schien sich auf einen Machtkampf einlassen zu wollen, doch diesmal siegte bei Marc die Vernunft und er wechselte auf die rechte Spur. „Mercedes- Fahrer!“ murmelte er noch etwas verächtlich vor sich hin, dann konzentrierte es sich wieder auf die Fahrbahn.

Marc war ein schlanker, hochgewachsener junger Mann, mit dunkelbraunem, ziemlich langem Haar. Dieses band er meist zusammen, zumindest im Alltag. Seine Augen glänzten in einem tiefen Braun, seine Nase war markant wie die eines Römers und sein voller Mund ziemlich breit. Das störte aber nicht weiter. Er sah gut aus, hatte auch ein ganz besonderes Charisma. Eigentlich war er friedliebend, ausser es gingen ihm wie eben, die emotionalen Pferde durch. Beim Autofahren passierte das noch öfters. Wenn er wütend war konnte Marc ziemlich unerbittlich sein und wenn man ihn angriff, blieb er selten etwas schuldig. Eigentlich war es eher seine Art verbale Schlachten zu führen, doch das brachte ihm öfters als gewollt, ziemlichen Ärger ein. So kam es schon mal vor, dass er ein blaues Auge kassierte, oder dann gar selbst eins hinterliess. Danach schämte er sich aber meistens und fragte sich, wie er es nur so weit hatte kommen lassen können. Er verfiel dann meist in eine melancholische Stimmung und zerfleischte sich selbst, weil er wiedermal nicht den Mund hatte halten können. Sein Gerechtigkeitssinn war aber nun mal stark ausgeprägt.

Ruhe fand er wieder, wenn er sich seiner grossen Leidenschaft den Indianern widmen konnte. Er hatte das ganze Bücherregal voll mit Werken über dieses Volk und bewunderte vor allem deren Handfertigkeit im Herstellen von Waffen und Instrumenten. Er fertigte sogar selbst verschiedenste Gegenstände an, natürlich genau nach indianischem Vorbild. Daneben joggte er auch noch etwas und machte leichtes Krafttraining. So besass er auch einen ansehnlichen Körperbau.Gerade richtig, fand wohl das weibliche Geschlecht, denn die meisten Frauen, bekundeten grosses Interesse an dem 26-jährigen, den stets ein Hauch von Abenteuer und Magie zu umgeben schien.

Allerdings hatte er es bisher nie lange bei jemandem ausgehalten. Oder die Frauen hielten es nur kurz bei ihm aus, denn er war trotz seines guten Herzens eine zwiespältige Persönlichkeit, welche viele Gegensätz in sich trug. Marc war auf der einen Seite ein Mann, der sich viele Gedanken machte und sich sehr gut in das einfühlen konnte, was andere empfanden. Andererseits brachten ihn sein Freiheitsdrang und seine oftmalige Taktlosigkeit nicht selten in Teufels Küche. Wie bereits erwähnt, war er auch oft melancholisch und dann konnte er sich in Abgründe begeben, die den meisten unheimlich vorkamen. Marc wollte alles am eigenen Leibe erfahren. So hatte er sich in jüngeren Jahren schon zu einigen Dummheiten hinreissen lassen. Doch so langsam wurde er etwas abgeklärter.

Seine Stärke war es, aus allem was ihm begegnete eine Lehre zu ziehen, was ihm schon zu erstaunlichen Entwicklungschritten bewegt hatte.

 Er wohnte eigentlich im Züricher Oberland in einem kleinen Städchen namens Rüthi, doch diesmal wollte er nach St.Gallen zu einem alten Freund. Dieser hatte ihm erzählt dass gerade eine sehr schöne Indianerausstellung im Völkerkundemuseum St. Gallen stattfand. Das wollte sich der indianerbegeisterte Marc natürlich nicht entgehen lassen und da er gerade etwas Urlaub hatte, nutzte er die Gelegenheit.

2.Kapitel

Nathalie würde auch bald Urlaub haben. Nur noch die kommende Woche und dann konnte sie dem Museum eine Weile den Rücken kehren. Auch wenn sie gerne hier arbeitete, gab es doch Tage, da fühlte sie sich etwas unterfordert, besonders wenn es kaum Leute hatte. Das war am Sonntag aber nicht der Fall. Es fanden dann auch Führungen statt, die sie sogar leiten durfte. Das gefiel ihr besonders.

Heute waren viele Familien gekommen, um an der ersten Führung teilzunehmen. Einige Einzelpersonen waren darunter. Wie üblich liess Nathalie ihren Blick über die Anwesenden schweifen, um in etwa ihre Anzahl abzuschätzen.

 

Auf einmal blieben ihre Augen an einer Person hängen. Es war ein junger Mann, etwa in ihrem Alter. Als sie ihn ansah und er ihren Blick erwiderte, durchzuckte es sie wie ein Blitz. So einen besonderen Mann war ihr noch nie begegnet! Jedenfalls erschien es ihr so, weil sie sich sofort tief mit ihm verbunden fühlte und er in ihr Gefühle zum Klingen brachte, die sie bisher noch nicht kannte.

Ihre Erfahrungen mit Männern waren eher dürftig. Sie hatte bisher erst zwei Freunde gehabt. Den ersten als sie 16 war und den zweiten mit 22 Jahren. Beides waren keine schlechten aber auch keine besonders guten Partnerschaften gewesen. Nathalie's Ansprüche waren mit den Jahren auch gestiegen.

Darum ärgerte sie sich fast darüber, dass dieser Mann sie so aus der Fassung brachte. Doch da war etwas, etwas Unerklärliches zwischen ihnen, eine tiefe Vertrautheit, fast als würden sie sich schon lange kennen. Ihn schienen ähnliche Gefühle zu bewegen, was sie aus seinem Blick lesen konnte. Gewaltsam riss sie sich von seinem Gesicht los und sprach an alle Museumsgäste gewandt: „Ich heisse sie herzlich willkommen zu unserer Indianderaussellung, mein Name ist Nathalie Egghalder...“  

Souverän führte die junge Frau die Gäste durch die Ausstellung. Marc musste zugeben dass er beeindruckt war, obwohl er schon sehr viel wusste.

Dieses Mädchen gefiel ihm sowieso. Es hatte eine ganz besondere Wirkung auf ihn. Sie strahlte so etwas aus... er konnte es nicht richtig beschreiben. Als ob sie ihm schon lange vertraut wäre. Irgendwie glaubte er eine verwandte Seele in ihr gefunden zu haben.

Er wollte sie unbedingt näher kennenlernen. Darum sprach er sie am Ende des Rundganges an: „Eine sehr interessante Führung, vielen Dank. Ich bin ein grosser Indianerfan. Ich fertige selbst Indianerbogen und Tomahawks. Auch Trommeln habe ich schon gemacht.“ Nathalie blickte den gutaussehenden Mann etwas misstrauisch an. War das nun eine geschickte Anmache? Sie kam aber schnell zum Schluss, dass sie ihm das was er sagte, abnehmen konnte. Er sah ja selbst fast wie ein Indianer aus und seine Augen blickte absolut aufrichtig. So liess sie sich von seiner offensichtlichen Begeisterung anstecken und erwiderte: „Wirklich? Das finde ich toll. Leider fehlt mir jegliches handwerliche Geschick. Mich fasziniert einfach die Kultur. Bedauerlicherweise wurde sehr Vieles von den weissen Einwanderern zerstört. Es ist schrecklich was da alles passierte. Manchmal glaube ich tief im Herzen mitzuempfinden was die Indianer durchmachten. Es ist oft...als würde ich in der  Zeit zurückversetzt, besonders jetzt, da diese Ausstellung hier ist...“ Marc hing gebannt an ihren Lippen. Was sie sagte berührte ihn tief. Dass sie gerade ihm das anvertraute...Nathalie trat nun an die Vitrine mit dem Kalumet. „Vor einiger Zeit,“ flüsterte sie „passierte mir hier etwas Eigenartiges. Ich sah auf einmal einen weissen Büffel vor mir. Es war... so real, eben als würde ich in die Vergangenheit zurückreisen...“ „Die weisse Büffelkalbfrau!“ rief Marc erstaunt aus. „Was meinst du?“ „Die weisse Büffelkalbfrau brachte den Indianern, laut der Legende das Kalumet. Es ist eigentlich Symbol für das Vereinen der männlichen und weiblichen Kräfte und des Friedens. Die weisse Büffelkalbfrau soll einst zwei Männern auf einem Hügel erschienen sein. Der eine Mann war böse, der andere gutherzig. Der Böse wurde von seinen Gelüsten überwältigt und lief auf das schöne Mädchen zu. Sie warnte ihn, aber er hörte nicht. So senkten sich Wolken auf ihn hernieder und als diese wieder verschwanden, war nur noch das Skelett des Mannes zu sehen. Die heilige Frau gebot dem Gutherzigen, seinen Stamm zusammen zu rufen und dann lehrte sie die Menschen die verschiedensten Zeremonien. Schliessliche enthüllte sie die heilige Pfeife und sprach: Wenn ihr als Stamm aufhört diese Pfeife zu verehren, werdet ihr aufhören eine Nation zu sein. Mit diesen Worten verschwand sie und die Menschen sahen nur noch eine weisse Büffelkuh über die Prärie laufen...“

Marc endete nun mit seiner Erzählung und einen Augenblick lang wurde es totenstill um die beiden. Nun war Nathalie zutiefst berührt. „Aber...warum sah ich diesen Büffel? Ich kannte diese Geschichte gar nicht und doch war es so real.“ „Das ist wirklich erstaunlich,“ bestätigte Marc. „Ich hätte da noch einige Geschichten zu erzählen,“ sprach das Mädchen „aber ich muss wieder arbeiten. „Wollen wir nicht mal zusammen einen Kaffe trinken gehen?“ fragte Marc schnell. „Ich glaube wir haben da sehr viel gemeinsam.“ Nathalie überlegte einen Moment, dann meinte sie: „Vielleicht heute Abend.“ Kennst du denn ein gutes Lokal? Ich bin eben nicht von hier. Eigentlich kam ich nur wegen der Ausstellung. Ich wohne eigentlich im Züricher Oberland, in Rüthi.“ „Ich wüsste da schon ein interessantes Lokal,“ sprach Nathalie. „Dort hat es auch gute Musik. Es ist hinter dem Kloster St. Gallen. Wir könnten uns ja dort treffen, sagen wir um halb sieben? Das Kloster kennt jeder.“ „Es würde mich sehr freuen. Ich habe ja sowieso Urlaub.“ „Ich auch schon bald. Morgen hab ich ausserdem frei, wie immer am Montag. Übrigens, was machst eigentlich du beruflich so?“ „Ich bin Schreiner bei einer Firma in Jona. Das liegt nahe bei Rüthi.“ „Darum bist du also so geschickt beim Anfertigen von indianischen Gegenständen!“ „Es hilft sicher!“ Er lachte sein besonderes Lachen und Nathalie's Herz schlug auf einmal einige Takte schneller. Dieser Mann gefiel ihr wirklich ausserordentlich.

Auch Marc war irgendwie total aufgeregt, als er das Museum verliess und den Stadtparkt durchquerte. Er freute sich schon jetzt darauf dieses besondere Mädchen wiederzusehen. Noch nie zuvor war ihm jemand wie sie begegnet. Mit ihr war alles so natürlich.

Er fühlte sich auch körperlich sehr von ihr angezogen. Sie war bildhübsch und strahlte dabei wirklich etwas aus. Da hatte er schon andere schöne Mädchen gekannt, die ihn aber eher an hübsche Puppen ohne viel Inhalt erinnert hatten. Aus solchen Bekanntschaften wurde dann nie mehr als ein „One night stand“. Doch das konnte er sich mit Nathalie nun überhaupt nicht vorstellen. Er spürte dass sie eine sehr sensible, feinfühlige Seele war und auch wenn er sie zweifellos sehr begehrenswert fand, wollte er mit ihr eine tiefere Verbindung eingehen, als mit all den andern Mädchen die er bisher getroffen hatte.

Nathalie bewegten ganz ähnliche Gedanken. Sie war deshalb auch sehr aufgeregt und wollte sich für den Abend etwas herausputzen. So entschloss sie sich eine dunkelrote Bluse mit beigem Floral Muster (was zur Zeit gerade so in Mode war) und einem V- Ausschnitt anzuziehen. Dazu kombinierte sie eine passende, elegante Hose mit weiten Stössen.Sie schminkte sich in den selben Tönen und legte einen dezenten Schmuck an.Wohlgemut ging sie dann zum Kloster, wo Marc bereits auf sie wartete.

Erst jetzt fiel ihr auf wie gross er eigentlich war. Er überragte sie um Haupteslänge und sie war ja schon 1,75 gross. Sein Haar war offen und glänzte in den abendlichen Lichtern seidig. Er lächelte sie charmant an und wieder begann ihr Herz heftiger zu schlagen. „Es ist kalt heute, was?“ sprach sie deshalb, um ihre Verlegenheit zu überspielen. „Ja allerdings. Ohne Zweifel bin ich in einem kalten, ungemütlichen Monat geboren.“ „Du hast im November Geburtstag?“ „Ja, am 12. November. „Ich am 12. März!“ „Also ein Frühlingskind. Das passt zu dir.“ Nathalie lächelte und meinte schlagfertig: „Frühlingskinder brauchen Wärme, deshalb sollten wir so schnell wie möglich ins Restaurant. Es ist gleich da hinten!“ Sie hakte Marc spontan unter und die beiden machten sich auf den Weg.

Dabei sahen sie nicht, wie unsichtbare Augen sie beobachteten...

Während der Rat über das weitere Vorgehen beriet, galt meine Sorge vor allem Kai. Seit dem was der Adler prophezeit hatte, wirkte er in sich gekehrt. Ein Schatten hatte sich über sein Gesicht gebreitet. Auch die andern „Allessehenden“ wirkten niedergeschlagen.

Ich wusste nicht wie ich ihnen Mut machen sollte. Was Weiser Adler und der Rabe gesagt hatten stimmte natürlich. Doch solche Dinge sind nicht so einfach. Auch mir zerreisst es oft beinahe das Herz, wenn ich all das Leid sehe, dass mein Volk heimsucht. Ich weiss nicht ob ich nicht auch Krieg führen würde, wenn andere mir alles zerstören und wegnehmen wollten. Wir Tiere hatten auch schon unsere Kriege. Doch die Zeit machte uns weiser. Ich bin alt und das Alter bringt innere Ruhe mit sich. Doch Kangi, Sunkmanitutanka und die andern Sternkinder sind noch jung. Sie wissen nichts von Krieg und Leid, weil wir schon sehr lange in Frieden leben. Doch auch das kann sich wandeln...eines Tages.

Wie die Schlange sagte: Es gibt schon Zwietracht zwischen unseren Brüdern und Schwestern. Was wird uns noch erwarten? Werden wir diese Konflikte einfach beilegen können? Ich weiss es nicht. Suna und Kai...sie sind so ein schönes Paar und meinem Herzen so nahe. Ich möchte sie am liebsten immer beschützen ihnen immer beistehen. Das Schlimmste wäre für mich, wenn sie vom guten Wege abkämen, weil das Leid, die Anfechtungen zu gross werden. Möge Wakan Tanka(Der Grosse Geist) das vehindern...

 Der Abend den Nathalie und Marc verbrachten war sehr schön und erst spätabends trennten sie sich wieder. Sie hatten über sehr Vieles gesprochen und fühlten sich einander nun noch verbunden. Sie beschlossen deshalb ihren Kontakt aufrecht zu erhalten. Allerdings erstmal als gute Freunde, denn beide wollten sich nicht zu schnell in eine neue Beziehung stürzen. Die Gründe dafür waren aber bei den beiden etwas anders. Nathalie wollte Marc noch näher kennenlernen. Sie wusste dass er noch andere Seiten, neben seinem Charme und seiner Tiefgründigkeit hatte. Irgendwie waren ihr diese Seiten etwas unheimlich. Sie merkte, dass er einen grossen Freiheitsdrang und ein Faible für Konfrontationen besass. Sie wusste nicht ob sie das wollte, denn sie mochte es eher ruhig und beständig. Für sie bedeutete Liebe sich ganz und gar hinzugeben. Ohne sich aber ganz aufzugeben. Wenn sie sich mit einem Partner zusammentat, wollte sie sich geborgen und ganz und gar angenommen fühlen. Die Hingabe die sie bereit war zu investieren, verlangte sie auch vom andern. Sie war sich noch nicht ganz im Klaren ob Marc ihr das auf Dauer geben konnte.

Marc hatte durch sein Einfühlungsvermögen schnell erkannt, dass man mit Nathalie nicht leichtfertig umgehen konnte. Sie forderte viel von einem Partner und stand auch dafür ein. Er wusste nicht ob er dem gerecht werden konnte, oder es überhaupt wollte, denn seine eigene Freiheit lag ihm schon sehr am Herzen und er war noch nicht bereit diese aufzugeben. Denn, so wusste er, sobald er sich tiefer mit diesem besonderen Mädchen einliess, war es für immer. Das fürchtete er ein wenig.

Als Nathalie nach Hause ging war sie tief in sich gekehrt. Sie dachte über all das nach was sie heute mit Marc erlebt, was sie ihm alles anvertraut hatte. Er wusste beinahe alles von ihr. Er selbst war etwas zurückhaltender mit der Selbsoffenbarung, was sie zeitweise etwas geärgert hatte. So sehr sie sich auch zu diesem Mann hingezogen fühlte, er war ihr doch sehr verschlossen vorgekommen.

Etwa um 23Uhr traf sie zu Hause ein. Sie ging sofort zu ihrem Bücherregal, wo ein Werk über die Mythen der Indianer stand. Sie blätterte darin, um die Geschichte von der „Weissen Büffelkalbfrau“ zu suchen. Ziemlich bald fand sie sie, setzte sich aufs Sofa und begann zu lesen…

„Der Büffel nahm bei den Indianern immer eine wichtige Stellung ein,“ vernahm sie plötzlich eine unbekannte Stimme hinter sich. Sie fuhr entsetzt herum. Neben dem halboffenen Fenster stand ein fremder Mann. Er war einfach aus dem Nichts aufgetaucht! Er musste ziemlich alt sein, seine rötlichbraune Haut wirkte wie gegerbtes Leder. Er besass schneeweisses Haar und tiefgründigen schwarzen Augen, die wie Sterne leuchteten. Seine gewaltige Präsenz erfüllte den ganzen Raum. Er trug ein Wildlederhemd, verziert mit indianischen Perlenstickereien und dazu normale Blue Jeans.

„Wer… um alles in der Welt sind sie?“ fragte Nathalie. „Wie kommen sie hier rein?“

Der Fremde lächelte gütig und meinte in gebrochenem Deutsch: „Zum ersten Punkt, man nennt mich bei meinem Volke Wandernder Bär, die Weissen nennen mich William Greatbear. „Zum zweiten Punkt: das wirst du noch früh genug erfahren.“ „Aber was wollen sie hier?“

Der Fremde trat näher und Nathalie wich etwas zurück, auch wenn sie nicht wirklich glaubte, dass von diesem Mann eine Gefahr ausging. Er fragte: „Darf ich mich setzen?“ „Äh, von mir aus. Wollen sie...etwas zu trinken?“ fragte sie, selbst überrascht von ihrer Spontanität. „Oh, das ist nett! Aber nein danke. Ich habe dir viel zu sagen.“ Nathalie nickte und gab so zu verstehen, dass es an der Zeit war damit rauszurücken. „Du bist sehr freundlich mein Kind. Es beruhigend für mich das zu sehen. Du hast den guten Weg nicht verlassen.“ „Was meinen sie damit und woher wollen sie das wissen?“ „Ich beobachte dich schon eine ganz Weile und was ich sehe erfreut mich.“ „Sie beobachten mich!“ rief Nathalie aus „Was zum...“ „Ich weiss es klingt seltsam, aber ich erkläre es dir noch. Ist es nicht so, dass du dich oft nach etwas sehnst? Nach etwas, dass sich nicht so richtig in Worte fassen lässt?“ Nathalie übelegte einen Moment dann meinte sie: „Ja, da ist schon was.“ „Warum liest du z.B. diese Geschichte über die Büffelkalbfrau?“ „Nun ja...weil mich die indianische Kultur sehr fasziniert und ich mich den Indianern sehr verbunden fühle. Es ist oft ...als würde ich ihr Leid nachempfinden.“ „Es ist also nicht nur eine romantische, aber oberflächliche Begeisterung?“ „Nein, ganz und gar nicht, es ist...eine tiefe Bindung zu diesen Menschen, die soviel Kummer erfahren mussten und noch erfahren.“ Wandernder Bär senkte traurig den Blick und meinte leise: „Ja, da gibt es viel Kummer...“ „Sind sie ein Indianer?“ „Man könnte es so sagen, auch wenn der Ausdruck Indianer eigentlich nicht stimmt. Er wurde uns von den Weissen einst gegeben.“ Nathalies Herz klopfte aufgeregt. Noch nie hatte sie sich persönlich mit einem der amerikanischen Ureinwohner unterhalten. Wandernder Bär schien sehr weise zu sein, vielleicht war er sogar ein Medizinmann oder Schamane.

Als ob Wandernder Bär ihre Gedanken gehört hätte meinte er: „Ja, ich bin ein Schamane bei meinem Volk.“ „Wirklich? Aber was könnte ein Schamane von mir wollen?“

Wandernder Bär erwiderte: „Es mag jetzt sehr fremd in deinen Ohren klingen, aber wir beide... kennen uns schon sehr lange.“ „Wie genau meinen sie das?“ „Glaubst du an mehrere Leben mein Kind?“ „Nun ja... ich habe mich noch nicht so intensiv damit befasst, kann es mir aber gut vorstellen. Es gibt viele Kulturen die dieses Gedankengut vertreten. Für mich kling es plausibel, dass es mehrere Leben gibt. „Wenn du nun also meinen Worten Glauben schenken willst, so sind du und ich schon durch mehrere gemeinsame Leben gegangen. Ich bekam von Wakan Tanka dem Grossen Geist die Gabe  Einblicke in diese Leben zu erhalten. Deshalb weiss ich, dass du schon vor endlos langen  Zeiten meine Schülerin warst. Man nannte dich Sunkmanitutanka- die Wölfin oder kurz Suna.“ „Vor endlosen Zeiten soll das gewesen sein? Wie meinen sie das?“ „Das ist schwer zu verstehen. Du stammst jedenfalls von einem sehr wichtigen Geschlecht ab, dass es einstmals auf Erden gab. Man nannte dieses Geschlecht die „Allessehenden“. Sie bewegten sich zwischen der Welt der Tiere und der Menschen mit der grössten Selbstverständlichkeit, waren Teil beider Familien. Damals...waren die Tiere noch anders. Sie waren eigentlich wie Menschen, redeten und schrieben sogar. Nur ihre Körper unterschieden sich von denen Menschen. Diese „ersten“ Menschen nannte man Sternkinder, denn sie fielen einst vom Himmel herunter auf die Erde. Das kannst du in den indianischen Legenden nachlesen. Du bist eine der „Allessehenden“ Nathalie. Es ist deine Berufung das alte Erbe in dir wieder neu zu erwecken und so zur „Animal Rider- in“ zu werden. Animal Rider ist der heutige Ausdruck für die „Allessehenden“. Ich bin gekommen um dich in diese wichtige Aufgabe einzuführen.“ Nathalie war erst sprachlos, dann konnt sie sich ein Lachen nicht verkneifen. „Du weisst das diese Geschichte für mich sehr absurd klingt „Wandernder Bär“. (sie duzte den Indianer plötzlich, ohne sich dessen richtig bewusst zu sein) Es ist ein Märchen, ein wunderschönes Märchen aber nicht mehr. Wie kannst du von mir erwarten das zu glauben?“ „Ich habe gedacht, dass du das sagen wirst, aber dennoch bitte ich dich darüber nachzudenken. Was war da noch mit dem Hirsch im Wildpark?“ „Das mit dem Hirsch, aber woher...“ „Ich sagte bereits, ich beobachtete dich schon länger. Erinnerst du dich an die Krähe, die über dir im Baum sass, als du mit dem Hirsch gesprochen hast? Oder an das Wiesel, dass deinen Weg vor einigen Tagen kreuzte? Das war ich.“ „Du? Willst du mir jetzt etwa weismachen, dass du dich in Tiere verwandeln kannst?“ „Wie glaubst du, bin ich wohl so plötzlich in deiner Wohnung erschienen? Fledermäuse kommen durch jedes halboffene Fenster.“ „Du bist als Fledermaus reingekommen. Das ist ja richtig unheimlich. Es gibt da so Geschichten über Vampire.“ „Ich kenne diese Geschichten wohl,“ meinte der Indianer etwas verärgert. „Es ist eine schlimme Degradierung von Schwester Fledermaus. Doch darüber will ich nicht mit dir disskutieren. Es geht darum, dass du es schon mal geschafft hast mit einem Tier zu kommunizieren. Diese Gabe liegt in deinem Geist begründet. Du hattest einst als Animal Rider gar die Möglichkeit dich so wie ich, in verschiedene Tiere zu verwandeln. Doch diese Gabe gilt es erst wieder in mühsamen Schritten zu erlernen.“ Nathalie sah den alten Mann ungläubig an. „Du glaubst das tatsächlich, nicht?“ „Ich weiss es. Denn ich weiss dass du einst meine Schülerin warst. Einst als die Tiere und Menschen noch Freunde, sich in allem noch gleich waren, ausser in ihrer körperlichen Gestalt.“ „Aber das ist Unsinn!“ rief das Mädchen aus. „Das gibt es nicht!“ „Nur weil du das als aufgeklärte Europäerin nicht mehr glauben kannst?“ Nathalie war sprachlos. Schliesslich aber rief sie: „Dann beweise es mir! Verwandle dich vor meinen Augen in ein Tier und ich will es glauben.“ Wandernder Bär lächelte etwas mitleidig, dann meinte er: „Nein mein Kind. Das wäre nicht der richtige Weg. Du musst den Glauben in deinem eigenen Herzen finden. Wenn es so weit ist, ruf mich einfach und ich komme wieder. Dann zeige ich dir Dinge die sich deiner Vorstellung entziehen. Es liegt bei dir. Willst du den Weg der Animal- Riderin erneut beschreiten, oder willst du weiter leben wie bisher? Solltest du dich für ersteres entscheiden, bedenke dass es ein anstrengender Weg sein wird. Doch wenn du am Ziele anlangst, wirst du Wunderbares erfahren und in der Welt Grosses  bewirken können. Denk also drüber nach.Wärst du nun so höflich mir die Tür zu öffnen....“

3.Kapitel

Die kommenden Tage wurden für Nathalie sehr intensiv. Sie konnte einfach nich recht glauben, dass dieser alte Indianer ihr die Wahrheit gesagt hatte. Doch wie kam er dazu gerade ihr so etwas zu erzählen? Er sah nicht so aus wie einer, der irgendwas erfand. Und wenn, wozu schon? Doch was sollte sie davon halten? Irgendein Gefühl tief in ihrem Innern wollte gerne glauben, dass sie zu einem so speziellen Geschlecht gehörte, aber war das nicht einfach ihre Eitelkeit. Die Menschen hatten es so an sich, sich gerne für etwas Besonderes zu halten. Doch Nathalie war da bescheiden und jemand, der mit sich selbst meist viel härter ins Gericht ging als andere es taten. „Ich bin keine dieser Animal Rider!“ sagte sie sich immer wieder. „So eine Fähigkeit besitze ich nicht. Das mit dem Hirsch war vermutlich nur Zufall. Vielleicht waren es meine eigenen Gedanken, die mir damals einen Streich spielten. Ich soll mit diesem Wandernden Bär schon mehrmals durch ein Leben gegangen sein? Eine Welt wo Tiere und Menschen noch gleich waren, abgesehen von ihrer Gestalt...? Wie konnte sie an solch mythische Geschichten glauben? Ausserdem was würde sie erwarten, wenn sie sich nun doch entschied den Weg der Animal Riderin zu gehen? Es konnte sehr viele Umtriebe bedeuten, wie Wandernder Bär sagte: ein entbehrungsreicher, anstrengender Weg. Vielleicht würde sie all ihre Sicherheiten aufgeben müssen, um am Ende merken zu müssen, dass sie einem raffinierten Betrug aufgesessen war. Nun gut, es war schon ein reizvoller Gedanke, dass sie mit den Tieren kommunizieren und sich gar selbst in eins verwandeln konnte. Doch gerade letzteres erschien ihr total verrückt. Mit Tieren einen Dialog führen war eine Sache, aber zu einem Tier zu werden... Was für ein Quatsch! Am liebsten hätte sie diesen Mann niemals getroffen. Sie konnte nicht mal mit jemandem darüber reden, es war einfach zu seltsam. Ob sie mit Marc darüber reden wollte, überlegte sie noch. Doch er würde sie dann womöglich für total verrückt halten und das konnte sie nicht ertragen. Wandernder Bär verlangte von ihr eine Entscheidung. Doch sie hatte noch soviel Fragen an ihn.

Tief in sich gekehrt ging Nathalie den Mühlenbach entlang. Dieser schlängelte sich in einem Art Zickzack einen Hügel hinab durch den Wald. Es war ganz still, denn zu dieser Jahreszeit zog es die Leute nicht so hinaus. Es war einer der wenigen schönen Novembertage. Schon seit einiger Zeit war es ziemlich kalt und wundervolle, blauweiss glitzernde Eisgebilde schmücktend den Bach. Die Bäume waren voll mit Reif, der aussah wie filigrame Spitzen an einem Gewand. Nathalie überquerte den Bach auf einer kleinen Brücke. Nachdenklich blieb sie in deren Mitte stehen, lehnte sich an das Geländer und beobachtete, wie das noch ungefrorene Wasser sich seinen Weg unter und zwischen der eisigen Pracht hindurch bahnte. Alles sah wunderbar verzaubert aus, wie aus einer andern Welt und Nathalie begann im Geiste einfach zu dem Wasser zu sprechen: „Du bahnst dir deinen Weg, trotz all des Eises, ich beneide deine Kraft. Ich habe diese Kraft nicht. Ich wünschte ich hätte sie...“ Und auf einmal erhielt sie eine Antwort: „Das hat nichts mit Kraft zu tun, sondern mit Stetigkeit. Ich weiss eines Tages werde ich das Eis besiegt haben. Es ist wie mit deinem Leben. Dein Leben ist voller kristallisierter Formen, doch der Geist fliesst überall, er bahnt sich auch seinen Weg früher oder später. So wird es die Erkenntnis bei dir tun.“ „Aber was soll ich machen? All das mit den Animal Ridern, ich kann es einfach nicht glauben.“ „Du allein musst das entscheiden, doch bedenke, dass  kristalliesierte Formen einst aufgelöst werden müssen. Wir sind alle Eins, alle. Doch du musst es auch glauben...“ Nathalie schreckte aus ihrem meditativen Zustand auf. Was machte sie da nur? Wie kam sie dazu mit diesem Bach zu reden? Sie wurde wohl wirklich langsam verrückt. Ruckartig wandte sie sich ab und verschloss ihr Herz erneut vor dem eigentlich Offensichtlichen. Bäche redeten nicht, Tiere redeten auch nicht...Nun ja letztere vielleicht noch eher, aber Bäche auf keinen Fall, auf gar keinen Fall!

„Ich lasse mich doch jetzt nicht verrückt machen!“ dachte sie bei sich. „Dieser Indianer hätte gar nicht in mein Leben treten sollen, er hat alles durcheinander gebracht. Mein Leben war doch immer in Ordnung, wie es war. Das ganze Geschwätz von den Animal Ridern, ein völliger Unsinn, absurd, einfach absurd...“ Sie wiederholte diese Worte mehrmals um ihnen noch mehr Kraft zu verleihen. Da trieb jemand einen Scherz mit ihr, ganz sicher. Ein grausamer Scherz. Sie wollte sich auf keinen Fall übertölpeln lassen. Sie wusste um die Realität. Warum aber...spürte sie dennoch diese tiefe Traurigkeit in ihrem Innern, diese seltsame Unsicherheit?

Besorgt blickte ich immer wieder hinaus ins Freie. Pechschwarze Regenwolken jagten über den Himmel. Es blitzte und donnerte. Der Regen war wie ein dichtgewobener Vorhang. Die Erde konnte die Wassermassen nicht mehr aufnehmen. Die wenigen Seen und Flüsse in der näheren Umgebung waren bereits über die Ufer getreten. Unsere Menschenbrüder und wir, trugen in wilder Hast Lebensmittel, Brennholz und andere wichtige Gegenstände zusammen.Wir befanden uns nun in der zweiten Hälfte des „Gras-grün-Mondes“(April) und mein Freund Alter Kojote und ich hatten heute beschlossen uns in der „Sonne-Mitte-nicht-mehr“ Zeit(Nachmittags) zu treffen, um die Boote zu begutachten, die man unter Aufsicht der Biber-der grossen Baumeister gefertigt hatte.

Es dauerte nicht lange und wir wateten durch das schon beängstigend hoch stehende Wasser. Das sonst hellbraun und weiss schattierte Fell von Alter Kojote, war vollkommen durchnässt und nun von schmutziger, dunkelbrauner Farbe. Von seinen spitzen, grossen Ohren tropfte der Regen. „Eine äusserst unangenehme Situation,“ murmelte er vor sich hin und wir beide blickten ängstlich hinauf in den Himmel, über den der gewaltige Donnervogel einmal mehr seine zuckenden Blitze schleuderte. Von weitem zeichneten sich nun die Umrisse der Boote langsam ab, die bereits auf dem Wasser hin und her schaukelten.

Auf einmal kam mir Kai entgegengelaufen. Soweit das jedenfalls ging, in dem für ihn bereits knietiefen Nass. Seine Augen leuchteten vor Begeisterung, worüber ich im Anbetracht der ungemütlichen Situation nur staunen konnte.

„Kommt mit!“ rief mein Schüler. „Ich muss euch etwas zeigen.“

Wir folgten ihm und blieben auf einmal ungläubig stehen. Vor uns ragte ein etwas drei Mann hohes Schiff auf. Es war in seiner Form einer gewaltige Nussschale ähnlich und es musste aus mehreren Teilen bestehen, obwohl es wie eine Einheit wirkte. Es schien als wäre es aus einem einzigen Baum gefertigt worden. Das ist mein Werk!“ freute sich Kai. „Ich habe auch den andern einige Tips gegeben. Allerdings ist mein Boot besonders gross und schön. Ich dachte der Rat könnte es vielleicht benutzen. Es hat auch sonst viel Platz. Kommt herauf!“ Über eine Art Holzkonstruktion die man am Schiff angelehnt hatte, gelangten wir auf das Deck. Von dort aus führte ein Niedergang in dessen Bauch. Es hatte unglaublich viel Platz. Alter Kojote und ich kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. „Wie hast du das gemacht Kai?“ fragte ich fassungslos. „Sowas hab ich noch nie gesehen.“ „Das erzähle ich dir ein ander mal Vater Mato. Ich glaube wir müssen uns langsam beeilen, wenn die Flut uns nicht alle verschlingen soll.“ „Da hast du natürlich recht,“ erwiderte ich. „ Der Rest des Rates trifft bald ein. Ich glaube wir richten uns hier mal häuslich ein. Was meinst du Bruder Kojote?“ „Nun ja...“ sprach dieser etwas unsicher und schielte auf das seltsame Schiff. „Ich weiss nicht...ob ich diesem „Boot“ trauen kann... Du weisst es liegt etwas in der Natur der Dinge, dass ich mich ständig in unangenehme Situationen hinein manövriere. Wenn diese Schöpfung Kais nun unter meinen Pfoten entzweibricht?“ „Das geschieht bestimmt nicht!“ rief mein Schüler, entrüstet aus. „Es ist das sicherste Schiff aller Schiffe hier. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer!“ „Oh lieber nicht!“ sprach der Kojote, als hätte er Erfahrung mit derlei Dinge. „Das ist nicht nötig. Wenn Mato deinem „Boot“ vertraut, tu ich es auch.“ „Kai hat mein uneingeschränktes Vertrauen,“ erwiderte ich mit Nachdruck „und so auch seine Schöpfung, die mich wahrhaftig fasziniert. Die Sternkinder haben schon grosse Begabungen.“ „ich hoffe nur, dass diese Begabungen ihnen und uns nicht mal zum Verhängnis werden,“ murmelte Alter Kojote mehr zu sich selbst, als zu mir. Etwas ärgerlich sah ich ihn an. Doch mitlerweile kannte ich meine alten Freund. Durch seine Erfahrungen, war er vorsichtig geworden.

Bei mir dachte ich: „Eines Tages werden uns die Sternkinder sicher mit ihren Begabungen überholen. So ist wohl unser Schicksal...“

„Werden du und der Rat also mein Boot benutzen?“ fragte Kai aufgeregt. „Nun ja...“ erwiderte ich. „So weit es mich betrifft schon. Doch jeder muss das selbst entscheiden Cinksi(Sohn). Jedenfalls hast du Erstaunliches geleistet, ich gratuliere dir. So werde ich also alles für unsere lange Reise vorbereiten.“

Nathalie fühlte sich selbst wie auf einem Schiff, das auf den Wellen sich abwechselnder Emotionen hin und her geworfen wurde. Die ganze Zeit musste sie an das denken was sie erlebt, was sie erfahren hatte. Mehrmals griff sie nach dem Telefonhörer um Marc doch noch anzurufen, nur um mit jemandem zu sprechen. Doch immer wieder liess sie es sein. All das war einfach zu unglaublich.

Die ganze Zeit fühlte sie sich wie eine Schlafwandlerin. Sie funktionierte nur noch. Zum Glück hatte sie jetzt wenigstens Ferien, so stellte ihr niemand unangenehme Fragen. Tiefe Phasen der Unsicherheit wechselten sich mit jenen tiefer Sehnsucht ab, dass die alles doch wahr sein möge und sie eine viel wichtiger Aufgabe innehatte, als sie es bisher dachte. Sie litt sehr, weil sie einfach nicht wusste, was sie tun sollte. Was verlangte man von ihr wenn sie den Weg der Animal- Rider einschlug? Was würde sie überhaupt genau erwarten? Würde sie überhaupt etwas erwarten. Konnte sie, wollte sie alles dafür opfern? Oder bedeutete es doch kein so grosses Opfer?

Die Ungewissheit trieb die junge Frau beinahe in den Wahnsinn. Sie wurde richtig schwermütig, verlohr die Freude am Leben und zog sich immer weiter in ihr Innerstes zurück. Nichts schien mehr von Bedeutung, nur diese selsame Geschichte.

Es war diese Ratlosigkeit, die sie krank werden liess. Schliesslich reagierte ihr Körper und sie bekam eine schwere Grippe mit hohem Fieber.

Ihre besorgten Eltern brachten sie zum Arzt, doch trotz aller Medikamente, wurde Nathalie einfach nicht recht gesund. Sie war in der Seele krank.

Eines Nachts als sie sich wiedermal in Fieberträumen wand, kehrte auf einmal eine selsame Ruhe in sie ein. Es wurde ganz warm um sie und das Licht eines goldenen Feuers erschien vor ihren Augen. Sie trat näher an die Flammen heran und nahm deren wohlige Wärme und den sanften Schein ganz in sich auf.

Als sie sich erstaunt umsah, fand sie sich in einem indanischen Tipi wieder. Es bestand aus wetterfest gegerbten Tierhäuten, wurde gestützt von mehreren Kieferstäben und war bemalt mit selsamen Ornamenten. Der Rauch des Feuers zog durch eine Öffnung im Dach ab. Überall im Innern befanden sich selsame Gegenstände: Talismane aus Federn, Türkise, Tierknochen und Krallen. Es gab alle Arten von getrockneten Kräutern und Tinkturen in den verschiedensten Farben.

Biberfelle die wie Nussbutter glänzten hingen an einigen Querstangen unter dem Dach. Daneben befand sich tönernes Geschirr. Es gab eine Schlafstelle, gepolstert mit einem schwarzen Bärenfell.

Auf einmal entdeckte Nathalie neben dem Feuer eine knieende Frau. Sie war vorher noch nicht da gewesen. Ihr einst schwarzes, glänzendes Haar, zu zwei Zöpfen zusammengebunden, sah aus wie gewobenes Silber. Die Farbe ihrer bereits sehr runzligen, kupfernfarbenen Haut, wurde vom rotgoldenen Schein des Feuers erhellt. Sie bereitete gerade einen Sud von dunkelgrüner Farbe zu. In einem Mörser zerstiess sie, ein für Nathalie unbekanntes Kraut und warf es ebenfalls in den Topf. Weisser Dampf der einen intensiven Geruch verströmte stieg hinauf zum Zeltdach.

Die Alte, welche ein Hirschledergewand mit Fransen und perlenbestickte Mokassins trug, füllte nun den Sud in ein kleineres Gefäss vermutlich eine Tasse ab.

In diesem Augenblick sah sie auf und Nathalie direkt ins Gesicht. Ihre Augen, tiefgründig und geheimnisvoll, wie schwarzglänzende Höhlenseen, durchdrangen das Mädchen. Sie stiessen in die tiefsten Tiefen ihrer Seele vor. Nathalie glaubte, dass sie in ihr wie ein offenes Buch lesen konnten. Auf einmal wurde sie beschämt und Tränen kullerten ihr über die Wangen. Sie fühlte sich so traurig und entsetzlich verloren. Irgendwie erkannte sie plötzlich dass sie sich verirrt hatte. Alles woran sie bisehr geglaubt hatte, schien wie ein Kartenhaus zusammen zu stürzen. Sie glaubte sich nie wieder aufschwingen zu können und das löste in ihr unendlicher Kummer aus.

„Sei nich traurig takoza,“ sprach nun die Frau auf einmal mit sanfter, dunkler Stimme. „Es gibt immer wieder Zeiten in unserem Leben, wo wir uns ganz neu orientieren müssen. Oft erscheint es, als würden wir einen grossen Verlust erleiden, doch wenn du lernst loszulassen, wenn du lernst das anzunehmen was ist, ohne Angst und stets in der Zuversicht, das Wakan Tanka (Gott) dir den Weg weist, dann wirst du wunderbare Befreiung erfahren.“ „Aber es ist soviel Furcht in mir. Ich weiss nicht was mich erwartet, wenn ich diesen Weg der Animal- Riderin einschlage. Ich weiss nicht, ob ich dazu im Stande bin. Ich weiss nicht mal, ob das alles überhaupt wahr ist. Wenn ich mein altes Leben aufgeben soll, dann muss ich sicher sein, dass es stimmt. Was also kann ich tun Grossmutter?“(sie hatte dieses Wort einfach so dahin gesagt, ohne darüber nachzudenken). „Du weisst doch eigentlich die Antwort schon.“ „Nein, das stimmt nicht!“ rief Nathalie aus. „Ich weiss gar nichts, überhaupt nichts und das macht mich noch verrückt!“ „Weil du nicht wagst auf das zu hören was dein Herz dir sagt,“ antwortete die Indianerin mit einem etwas tadelnden Unterton in der Stimme. „Die Weissen sind manchmal so in ihrem Denken verhaftet. Versuche etwas mehr wie eine Indanerin zu denken, dann wirst du Vieles anders sehen lernen.“ „Aber ich bin nun mal keine Indianerin Grossmutter. Ich bin eine Weisse und ich mache mir über so manches einfach Gedanken.“ „Du bist nicht nur... eine Weisse takoza, in unseren Adern fliesst dasselbe Blut, auch wenn du davon nichts weisst. Du hast es vielleicht mal gespürt, aber nicht gewusst.“ „Was meinst du damit?“ fragte  Nathalie erstaunt. „Wer...bist du?“ „Was glaubst du denn?“ „Ich weiss es nicht.“ „Warum nennst du mich Grossmutter?“ Das Mädchen überlegte, dann meinte sie: „Nun ja...vielleicht weil ich schon oft gelesen habe, dass man diesen Ausdruck verwendet.“ „Wieder machst du dir selbst etwas vor. Verstehst du denn das Wort das ich für dich nehme?“ „Du meinst dieses...Takoza? Nein das verstehe ich nicht.“ Die alte Frau fixierte das Mädchen erneut intensiv mit ihren Augen und sprach dann: „Es bedeutet Enkelkind. Du bist meine Enkelin Nathalie, vielmehr meine Ur- Enkelin.“ „Waas!“ Nathalies Augen weiteten sich. „Aber...das kann unmöglich sein!“ Ich weiss nichts von einer indianischen Urgrossmutter. Ausserdem...müsstest du dann schon sehr alt sein.“ „Ich bin 89 Jahre alt, denn ich habe deine Grossmutter schon früh bekommen, etwa mit 16.“ „Davon habe ich nie etwas gehört, auch wenn ich mich schon mit dem Stammbaum unserer Familie befasst habe.“ „Man weiss offiziell nichts von mir takoza, aber ich habe deine Grossmutter geboren. Dein Ur- Grossvater nahm mir meine Tochter einst weg, um sie nach europäischen Massstäben zu erziehen. Er war Engländer wie du weisst. Natürlich wollte er auf keine Fall das jemand von unserer Affäre erfuhr. Damals wurden die Indianer noch viel weniger respektiert als heute. Meine Eltern haben noch die Zeiten erlebt, als mein Volk frei in den Plains (Ebenen) umherwanderte. Sie haben mir viel erzählt, auch über den Niedergang unseres Volkes. Ich wurde noch in die alten Traditionen eingeführt und schliesslich übernahm ich das Amt einer Medizinfrau der Lakota Sioux, die dann eine Zeit lang gar selbst ihre Kultur vergassen. Heute werden die alten Rituale wieder mehr gepflegt, aber es ist immer noch ein langer Weg bis zur wahren Freiheit.“ „Aber...das alles ist doch verrückt,“stotterte Nathalie. „Du bist nur ein Traum, vielleicht eine Wahnvorstellung von mir. Ich fühle mich so krank und schwach.“ „Darum habe ich Verbindung mit deiner Seele aufgenommen takoza, um dir beizustehen. Aber es gibt mich auch in der realen Welt, es wäre schön wenn du mich eines Tages besuchen würdest. Ich weiss, dass es dir sehr schlecht geht. Darum habe ich dir diesen Trank zubereitet. Trink ihn und es wird dir wieder besser gehen!“ Nathalie schaute etwas skeptisch auf das grünliche Gebräu. „Wenn ich das trinke...werde ich dann wieder alles was ich hier erlebte vergessen?“ „Nein, du wirst dich erinnern und vielleicht gibt dir das den nötigen Auftrieb deine wahre Bestimmung zu erfüllen. So denk immer daran, dass in deinen Adern auch indianisches Blut fliesst. Das wird dir zu tieferen Einsichten verhelfen. So trink nun und dann...schlaf...“

Die junge Frau nahm das Gefäss dass ihr ihre Urgrossmutter reichte. Der Trank schmeckte bitter und doch irgendwie süsslich. Er rann warm ihre Kehle hinunter und schien dann direkt in den Blutkreislauf hinein zu gelangen. Jedenfalls erfüllte Nathalie auf einmal eine wohlige Wärme und ein stiller, innerer Frieden.

Und dann schlief sie ein...und während sie schlief kehrten die Kräfte in ihren Körper zurück und die Krankheit entwich aus ihrem Organismus...

 

4.Kapitel

Marc bekam von all dem nichts mit. Er hatte schon eine Weile keinen Kontakt mehr mit Nathalie gehabt. Sie hatte ihn einmal angerufen, doch er war da weniger zuverlässig. Da gab es immer so viel zu tun: All seine Hobbies, der Sport... und auch seine Kollegen wollten mal Zeit mit ihm verbringen, wenn er schon drei Wochen Urlaub machte. Eigentlich wusste er, dass er Nathalie mal hätte anrufen sollen, irgendwie plagte ihn deswegen auch das schlechte Gewissen. Das veranlasste ihn aber nur noch mehr dazu den Anruf heraus zu zögern.

Es war selsam. Eigentlich hatte er sich diesem Mädchen doch so nahe gefühlt, doch nun da sie sich so lange nicht mehr sahen, verblasste etwas die Erinnerung an ihre Begegnung. Sie waren ja schliesslich kein Paar (was ihn zeitweise wurmte), deshalb war Marc Nathalie ja nicht speziell verpflichtet. Da gab es noch viele andern Mädchen, die ihn anhimmelten und mit denen er einige nette Stunden verbringen konnte.

Gerade hatte einer seiner Kollegen ihm eine junge Frau namens Ursula vorgestellt. Sie war bildschön und in keinster Weise gehemmt. Die ganze Zeit machte sie Marc schöne Augen und schliesslich... nach einigen Drinks, nahm sie ihn mit zu sich nach Hause.

Als er Tags darauf mit dröhnendem Schädel erwachte, merkte er dass er in ihrem Bett lag. Sie lag noch schlafend neben ihm, mit ihrem langen, hellbraunen Haar und der tollen Figur, die halb entblösst dalag. Marc zog die Decke über sie, damit sie nicht frohr... einfach so ein Impuls.

Doch dann erhob er sich. Er zog sich Jeans und Pullover über den trainierten Körper und verliess dann leise das Haus. Wieder ein One night stand und wieder fühlte sich Marc danach irgendwie leer. Was hatte er eigentlich davon? Er besass keinerlei Interesse an dieser Ursula, auch wenn sie vom Aussehen her eine Göttin sein mochte. Warum also hatte er mir ihr geschlafen, warum tat er immer wieder diese Dinge? Eigentlich verletzte er die Frauen damit oft und seine Selbstachtung stieg dadurch nicht wirklich.

Wieder tauchte vor seinem innern Auge ein Gesicht auf, ein Gesicht, dass sich tief in sein Herz eingebrannt hatte. Und...er schämte sich auf einmal...

Ganz in sich gekehrt betrat er seine Wohnung in Rüti, die vollgestopft mit Indianer- Utensilien und einigen Sportgeräten war.

„Warum habe ich bloss mit dieser Ursula geschlafen?“ fragte er in die Stille hinein. „Das kann es doch nicht sein. Was bewegt mich zu solchen Handlungen? Warum rufe ich Nathalie nicht endlich mal an?...“

„Tja diese Fragen solltest du dir wirklich mal stellen cinksi (Sohn)!“ sprach auf einmal eine Stimme hinter ihm. Eine Gestalt trat aus dem Schatten neben dem Fenster. Es war ein schlanker, sehniger Mann, mit asketischen Zügen, einem langen, schwarzen Zopf und durchdringenden Augen. Es waren die Augen eines Mannes, welcher um Licht und Schatten gleichermassen wusste. Er trug ein schwarzes Hemd mit bunten Perlen und Fransen bestickt und dazu die üblichen Blue Jeans. Es war ein Indianer, das erkannte Marc auf den ersten Blick.

„Wer...sind sie?“ stotterte er so ungläubig wie Nathalie, als Wandernder Bär sie besuchte.

„Man nennt mich Snake- man(Schlangen Mann). Aber eigentlich heisse ich Weise Schlange. Was dir lieber ist.“ Bei den Weissen nennt man mich offiziell Frank Snakeman, doch es ist mir lieber wenn du mich bei meinem indianischen Namen nennst. „Aber...was tust du hier? Wie bist du überhaupt reingekommen?“ „Das tut nichts zur Sache. Die Frage die du stellen solltest cinksi ist: Warum bin ich überhaupt hier?“ „Ja, das würde mich natürlich brennend interessieren!“ „Das kann ich mir vorstellen. Eigentlich bin ich hier um dich zu fragen, was du dir eigentlich von deinem Lebenswandel versprichst. Warum hörst du nicht etwas mehr hierauf?“ Er deutete auf Marcs Herz. „Du meinst ich höre zu wenig auf mein Herz?“ fragte er. „Allerdings!“ rief Snake- man nun offensichtlich ärgerlich. „Ständig verschleuderst du deine Energie für Dinge die nutzlos sind und verlierst dabei aus den Augen was wirklich zählt! Dein ganzes Leben trainierst du schon deinen Körper, pochst auf deine Freiheit, nimmst dir einfach immer wieder das, was dir dein niedriger Instinkt sagt. Du hast deine grosse Liebe getroffen, aber du willst sie nicht als solche erkennen! Du hättest gewaltiges Potential, aber du nutzt es nicht! Ich habe dich einst etwas anderes gelehrt!“ „Was meinst du damit? Wir kennen uns doch gar nicht.“ fragte Marc nun sichtlich verwirrt. „Ach ja! Ich muss dich erst etwas genauer informieren, tut mir leid. Mir sind wohl die emotionalen Pferde durchgegangen. Doch es ärgert mich einfach wenn ich sehe, dass du nichts aus deinem Leben machst cinksi.“ „Nun aber mal halblang!“ protestierte Marc „Ich habe wohl etwas aus meinem Leben gemacht. Ich habe einen guten Job und mache auch sonst viel. All diese Bogen dort an der Wand habe ich selbst gefertigt. Auch Instrumente machte ich schon. Ich bin kein Müssiggänger. Und ausserdem... was heisst dieses Cinksi überhaupt?“

Einen Augenblick lang, schien ein verstohlenes Lächeln über das Gesicht des Indianers zu huschen, doch sogleich blickte er Marc wieder streng an. „Ich sagte nicht, dass du ein Müssiggänger bist Marc. Du hast einfach vielzuviel im Kopf. So dass es für dich gar nicht mehr möglich ist, die Stille und darin das „Gross Geheimnis“ zu spüren.

Dein Leben sollte einfach mehr vom Grossen Geheimnis durchdrungen sein. Nur dadurch bekommten deine Taten wahren Wert. Ausserdem heisst cinksi Sohn...“ Er sagte das nun in beinahe zärtlichem Ton.

„Aber warum...nennst du mich Sohn? Ist das so eine Redewendung?“ „Nein...“ erwiderte Weise Schlange leise. „Du warst wirklich einst wie ein Sohn für mich.“ „Aber wie ist das möglich?“ „Nicht in diesem Leben, aber in einem andern, weit entfernten, war ich einst dein Lehrmeister. Du nanntest mich damals „Vater Rabe“.

Dich nannte man Kai, eine Ableitung von Kangi- der Rabe.“ „Das verstehe ich jetzt nicht ganz. Man nannte mich auch Rabe?“ „Ja weil du zum Raben- Klan gehört hast. Du warst ein überaus fleissiger, wunderbarer Schüler. In all den Leben die du seither durlaufen bist,  wurde dein wahrer Auftrag verwässert. Du hast sehr viel Leid erlebt und dazu kam noch deine verstandesorientierte Erziehung in diesem Leben. Du hast dich irgendwie selbst verlohren und ich weiss du spürst das oft auch. Dann wirst du schwermütig, traurig und stürzt dich in irgendwelchen Unternehmen, damit du dich wertvoll fühlen kanns. Doch es nützt nichts, diese Leere... sie bleibt. Du kannst sie nur ausfüllen, wenn du dich wieder mehr auf deine Berufung konzentrierst. Du besitzt die transformierende Kraft der Schlange- die Schlange ist auch dein Geburtstotem. Die Schlangen- Kraft hat zwei Seiten. Diese Seiten, diese Gegensätze gilt es zu vereinen. Dann und nur dann, wirst du den Frieden finden. Ich bin gekommen um dir dabei zu helfen. Damals vor langer, langer Zeit war ich der Weisse Rabe. Ich habe um all die Geheimnisse des Universums gewusst, um die Magie allen Daseins. Auch du hast es gewusst. In diesem Leben ist die Schlangen-Medizin meine Medizin. Ebenso wie deine. Ich will dir helfen damit richtig umzugehen. Wenn du dich dazu bereit erklärst diesen Weg zu gehen, wirst du mit mir nach Nordamerika reisen und noch viel mehr über deine Herkunft erfahren.“ „Aber...ich kann doch hier nicht einfach weg! Ich habe meine Verpflichtungen!“ „Du kannst ja estmal den Rest deiner Ferien dafür in Anspruch nehmen, danach kannst du immer noch die Entscheidung treffen, ob du den Weg den ich dir weise gehen willst, oder noch nicht. Wenn nicht, dann kannst du dein altes Leben wieder aufnehmen und weiter in deinem Alltag nach dem Glück und dem innern Frieden suchen. „Was meinst du dazu?“ „Nun ja...“stotterte Marc. „ Ich muss da noch einmal drüber schlafen. Dann sage ich dir Bescheid.“ „Wie du meinst, dann treffen wir uns also Morgen wieder hier.“ erwiderte Snake- man. „Ich hoffe du hörst diesmal mehr hierauf...,“ Wieder deutete er auf Marcs Herz, dann verliess er die Wohnung duch die Eingangstür. Marc sah ihm noch durch das Fenster nach, doch sehr bald verschwand der Indianer im nahegelegenen Wäldchen und...verschmolz mit den zu dieser Zeit schwarzbraunen Schatten der Bäume...

Nun also ist es so weit! Seit zwei Monden sind wir nun schon auf den Schiffen. Alles was wir noch besitzen sind die wenigen Dinge, die wir mit uns nahmen. Unsere ganze Welt ist vom Grossen Wasser verschlungen worden. Nun treiben wir hier, nur allein mit uns, einer vollkommen ungewissen Zukunft entgegen. Viele Tragödien haben sich mitlerweile abgespielt. Einige wollten ihre Heimat nicht verlassen und wurden von den Fluten verschlungen, andere kamen wohl mit, sind aber innerlich vollkommen gebrochen, wie entwurzelte Bäume, deren Lebenssaft immer mehr versiegt. Das Land das wir bewohnten..., es war ein Teil von uns. Seit wir nun so scheinbar führerlos auf dem endlosen Meere treiben, erscheint es, uns als hätte man unsere Körper und Herzen zerrissen. Grosse Trauer herrscht unter unserem Volke, Trauer die nun immer öfters auch in Wut und Anfeindungen umschlägt.

Auf dem grossen Schiff, das Kai entworfen hat, fand der ganze Rat der Tiere Platz und auch einige der Sternkinder, darunter Suna und Kai selbst, und noch einige andere Brüder- und Schwestern. Leider aber gibt es wie erwähnt, einige Spannungen zwischen gewissen Tieren und Menschen. Das mussten wir gerade auf schmerzhafte Weise erleben. Denn... es gab bereits die ersten Todesopfer! Das Schreckliche daran ist, das Kai in eine dieser tödlichern Streitereien verwickelt war. Er selbst ist für den Tod eines Tierbruders verantwortlich.

Es schmerzt mich tief im Herzen, wenn ich nun davon berichten muss.

Ich weiss Kangi hat bestimmt in Notwehr gehandelt, doch... es hätte nie so weit kommen dürfen, dass er das Blut eines Bruders vergiesst.

Ich hab ja bereits mal von „Schwarzer Zahn“ berichtet. Er war einst der engste Vertraute von „Weise Schlange“, doch dann begann er immer mehr sich gegen die Sternkinder zu stellen und erfüllte so seinen Auftrag als einer der Alten nicht mehr.

Schwarzer Zahn war nun also auch mit uns auf dem Schiff.

Eines Tages dann erhob sich auf einmal Entsetzensgeschrei an Bord und...im Bauche des Schiffes fanden wir zwei tote Körper: Jener der Schlange „Schwarzer Zahn“ und jener des Jungen, den die Schlange „Goldenes Auge“ besonders liebt. Ich berichtete auch schon von ihm. Es war der Junge mit dem Kobragewand. Er war durch einen Biss von Schwarzer Zahn getötet worden. Es musste aus Eifersucht passiert sein, wie uns Kangi den wir mit blutigem Messer über dem enthaupteten Körper von Schwarzer Zahn kauernd fanden, versicherte. Er hatte die Schlange getötet, weil diese den Jungen getötet hatte.

Grosser Aufruhr erhob sich unter Tieren und Menschenkindern. Einige verlangten Kangis Tod, andere standen hinter ihm und wandten sich gegen die Schlangen. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mit Hilfe des Rates wieder alles einigermassen unter Kontrolle gebracht hatte. Mich erschütterte dabei tief die Gewaltbereischaft auf beiden Seiten. Wohin würde das alles noch führen?

Schliesslich, als wieder einigermassen Ruhe einkehrte, meinte ich : „Dieser Fall betrifft vor allem den Klan der Schlangen und den der Raben. Wir werden zusammen versuchen eine Einigung zu erzielen. Es darf nicht sein, dass wir uns auf diesem kleinen Raum gegenseitig bekämpfen. Wir müssen zusammenhalten, sonst wird das unser endgültiger Untergang.“ Der Rat stimmte mir zu und wir beschlossen eine weitere Versammlung einzuberufen, die über das Los von Kai entscheiden sollte. Es gab jeweils fünf Vertreter für seine Seite und fünf für die Gegenseite. Nach langen zermürbenden Disskusionen, bei denen ich wirklich ernstlich um das Leben meines Schützlings fürchtete, wurde entschieden, dass Kai im Bauch des Schiffes eingesperrt würde, damit er nichts mehr anrichten konnte. Mein Herz schmerzte, bei diesem Gedanken, doch es war die einzige Möglichkeit, um auch die Gegenseite einigemassen zufrieden zu stellen. Immerhin war das besser als der Tod.

Was mich beunruhigte waren, das drei der Schlangen sich für die Todesstrafe aussprachen. Auch unter den andern Tieren gab es einige die schwankend waren. Der Rat wenigstens, und darüber bin ich sehr froh, sprach sich einstimmig gegen den Tod Kais aus. Auch „Goldenes Auge“ nahm einen neutralen Standpunkt ein, hatte „Schwarzer Zahn“ doch vermutlich ihren liebsten Schüler umgebracht, was sie mit grossem Kummer erfüllte.

Die Raben sprachen sich mit nur einer Ausnahme für Kai aus, denn er war ja ein Teil ihres Klans. Doch das nur ein Rabe schon gegen Kai war, beunruhigte mich mehr als alles andere. Warum nur konnten wir nicht in Frieden zusammen leben?

So wurde mein ehemaliger Schüler also eingesperrt. Ausserdem bemühten wir uns darum, dass auf den verschiedenen Schiffen möglichst alle Gleichgesinnte zusammen waren, damit es keine solchen Vorfälle mehr gab. Ob das wirklich die richtige Lösung war...wir werden es sehen. Denn wie sagte Bruder Grauwolf so schön: „Wo viele kleine Flämmchen zusammenkommen, kann auch ein Flächenbrand entstehen...“ 

Nach dem Erlebnis mit ihrer indianischen Urgrossmutter, wurder Nathalie innerst kürzester Zeit wieder gesund. Alles veränderte sich für sie, als sie nun um diese neue Wahrheit wusste. Das Feuer des Enthusiasmus und der Freude kehrte in ihr Herz zurück und auf einmal wusste sie ganz genau was sie tun wollte. Sie würde zusammen mit „Wandernder Bär“ nach Amerika reisen, um die ganze Wahrheit über sich und ihre wahre Bestimmung herauszufinden...

Doch da gab es noch eine Menge zu organisieren. Ihr halber Urlaub war schon fast vorbei. Da sie noch nicht bereit war alles hier aufzugeben, musste sie nach einer Möglichkeit suchen, die ihr wenigstenst genug Zeit verschaffte, um in Amerika die gesuchten Antworten zu finden. Dann erst würde sie eine endgültige Entscheidung treffen. Es galt nun jedenfalls so schnell wie möglich einen Flug nach Amerika zu buchen. Wenigstens war nicht gerade Saison. Doch würden ihr zwei Wochen noch reichen, um ihrem Ursprung auf den Grund zu gehen? Sie dachte fieberhaft nach, wie sie es anstellen konnte ihre Ferien noch zu verlängern. Schliesslich beschloss sie wenn möglich noch zwei Wochen unbezahlt zu nehmen. Hoffentlich erlaubte man es ihr. Wenn es sein musste, und davon war Nathalie nun überzeugt, dann klappte es auch. So vertraute sie sich einer höheren Führung an und tatsächlich war sie erfolgreich. Eine Kollegin, die nur selten da war, erklärte sich bereit noch eine Woche für sie zu arbeiten. Die andere konnte sie unbezahlt nehmen. Das war also erledigt.

Bevor Nathalie aber ihren Flug buchte, wollte sie erst „Wandernder Bär“ über ihre Entscheidung informieren. Er hatte ihr gesagt, sie solle ihn einfach rufen, wenn sie sich entschieden hatte. Wie aber sollte sie das anstellen? Sie konnte ja nicht einfach aus dem Fenster seinen Namen schreien, sonst hielten die Nachbarn sie noch für verrückt. So beschloss sie hinauf zu den Dreilinden- Weihern von St. Gallen zu fahren, wo es jetzt zu dieser kalten Jahreszeit nur bei schönem Wetter Leute hatte. Der Tag den sie aussuchte war besonders schlecht und sie würde schön für sich sein, wenn sie nach ihrem Lehrer rief.

So betrat sie den Wald neben den vereisten Weihern und rief laut: „Wandernder Bär, wandernder Bär!“ in die Stille des Winters hinein. Eine Weile passierte nichts. Nathalie liess ihren Blick suchend herumschweifen. Die mit frisch gefallenem Schnee bedeckten, schwarzen Baumgerippe erhoben sich wie stille Wächter einer andern Welt über ihr. Nasskalter Schnee fiel vom grauen Himmel über den Wipfeln und die Schatten zwischen den kahlen Stämmen wirkten unergründlich.

Dann auf einmal der Schrei einer Krähe in unmittelbarer Nähe… und dann trat Wandernder Bär aus dem Unterholz. Er trug noch immer die gleichen Kleider und kam nun gemessenen Schrittes auf das Mädchen zu. „Du hast dich also entschieden Suna,“ sprach er mit ruhiger Gelassenheit. „Ja, das hab ich. Aber nenn mich bitte nicht bei diesem Namen. Ich bin Nathalie. Das Leben als Suna liegt in weiter Vergangenheit.“ Ein Leuchten erschien in den dunklen Augen des Indianers. „Du glaubst mir also?“ „Sagen wir mal so: Ich will es gerne glauben, doch noch habe ich zu viele Zweifel.“ „Zweifel sind da, um beseitigt zu werden.“ „Das sagt sich leichter als es ist. Ausserdem gehören auch die Zweifel zum Leben.“ Der Indianer lächelte still in sich hinein, sagte aber nichts dazu. So sprach das Mädchen: „Jedenfalls will ich der Wahrheit auf den Grund gehen. Darum beschloss ich mit dir nach Amerika zu reisen. Erstmal nur für einen Monat, denn ich kann nicht einfach alles hier von heute auf Morgen aufgeben. Tu ich das, dann will ich ganz sicher sein, dass ich den richtigen Weg einschlage.“ „Das respektiere ich natürlich vollkommen,“ erwiderte Wandernder Bär mit freudiger Stimme.

Dann aber wurder er auf einmal ernst. „Du hast eine schwere Zeit hinter dir, nicht wahr?“ „Ja das kann man so sagen. Doch ich wusste auch lange nicht wirklich was zu tun war. Zum Glück hat mir meiner Urgossmutter geholfen...“ Sie schaute den Indianer prüfend an, wusste er wohl etwas von ihrem Indianerblut?“ „Sie ist dir also begegnet?“ fragte er. „Ja, weisst du etwas über sie, wusstest du, das ich Indianerblut habe?“ „Ja. Ich kenne deine Urgrossmutter. Wir nennen sie „Mondblume“. Sie hat einst deine Grossmutter geboren, die in England aufwuchs und dann in der Schweiz ein neues Leben begann, als sie einen Schweizer heiratete. Du bist also schon die dritte Generation die hier lebt. Dennoch hast du stets gespürt, dass da noch mehr ist. Das war dein Indianerblut, das nun zwar etwas verwaschen wurde, aber immer noch besteht. Alles wird von einer höheren Macht- wir nennen sie auch die „geheimnisvolle Macht“ gesteuert. Das Blut der indianischen Ahnen fliesst durch deine Adern, das Blut der Animal Rider...“

„Das klingt wundervoll Wandernder Bär, aber ich muss erst noch von dieser Tatsache überzeugt werden. Darum komme ich mit dir nach Amerika. Vielleicht treffe ich sogar meine Urgrossmutter an. „Wir können sie besuchen, wenn du willst.“ „Wirklich!“ fragte Nathalie begeistert. „Ja. Sie und ich leben nicht weit weg voneinander. Wir haben uns auch schon öfters am Pow Wow getroffen. Dieses ist ein traditionelles Indianderfest. Man trifft dort auf Vertreter aller Indianerstämme, es werden alte Traditionen gepflegt, getanzt und über so manches ausgetauscht. Das Pow Wow ist schon bei vielen bekannt und immer wieder zieht es indianerbegeisterte Touristen dorthin. Mondblume ist eine Schamanin der Lakota Sioux, so wie ich ein Schamane selbiger bin. Wir erleben wieder ein richtiges Comeback in der Welt. Es gibt viele die sich für unsere Kultur interessieren. Manche meiner Brüder sagen zwar, all diese Indianerfreunde seien Sahneabschöpfer, die nur das Gute, die Romantik in der Indianerkultur sehen. Doch ich sage immer, dass dieses Interesse uns nur nützen kann, um eines Tages wieder aufzusteigen. Wir brauchen die Unterstützung der westlichen Welt, um unsere Anliegen unters Volk zu bringen. Auch wenn es eine gewisse Anpassung bedeuten mag. Doch unser Geist wird dennoch immer frei bleiben. Wir müssen einige Änderungen in Kauf nehmen, wenn wir die restliche Menschheit erreichen wollen. Die Indianer sind anders als die Weissen. Doch wenn wir uns alle bemühen, können wir uns vielleicht auf wunderbare Weise ergänzen lernen. Es gibt schon ein erwachendes Bewusstsein in der Welt, auch wenn einige pessimistische Stimmen das anders sehen. Doch ich bin nun mal ein unverbesserlicher Optimist. Ich glaube an die Worte, die einst vor unendlich langer Zeit Vater Krähe zu mir sprach: Eines Tages, nach einer Zeit grossen Leidens, werden die Allessehenden- die Animal Rider wieder aufsteigen und man wird ihrem Volk die Ehre erweisen. Das passiert bereits. Darum ist es nun auch an der Zeit alle vom Geschlecht der Animal Rider zusammen zu rufen, damit sie zu Lehrern für das Menschenvolk werden...“

Als Wandernder Bär das sagte, schien er weit entrück, wie in einem Traum gefangen. „Und du..,“ fragte Nathalie leise „glaubst also wirklich das ich zu diesen Allessehenden gehöre?“ Der Angesprochene erwachte aus seinen Träumereien und blickte das Mädchen nun ernst an. „Ich glaube es nicht nur, ich weiss es.“ „Aber woher nimmst du diese Sicherheit? Ich bin doch eigentlich ein ganz normales Mädchen. Ich habe keine besonderen Begabungen und Fähigkeiten.“ „Du hast sehr wohl grosse Fähigkeiten, aber sie liegen im Augenblick grösstenteils noch brach. Darum ist es sehr schön, dass du mit mir kommen willst. Ich werde dich in sehr Vieles einweihen und dir Dinge zeigen, die du dir nicht vorstellen kannst.“ „Warum vertraue ich dir eigentlich? Ich kenne dich ja kaum.“ „Oh doch, Cunksi (Tocher). Du kennst mich wohl, seit tausenden von Jahren.“ „Aber das könnte mir ja jeder erzählen.“ „Du spürst, dass es wahr ist, darum vertraust du mir.“
Nun gut, mag sein...,“ wich das Mädchen aus. „ich komme jedenfalls nach Amerika. Soll ich gleich für uns beide einen Flug buchen?“ „Mach dir um mich keine Sorgen, ich reise auf meine Weise. Ich habe dir hier einen Zettel, der dir die Reiseroute beschreibt. Am besten du fliegst nach New York und dann mit einer Innlandmaschine nach South Dakota. Ich werde dich dann im richtigen Moment wieder treffen.Vertrau mir und vertraue vor allem auch dir selbst! Bis bald!“ Mit diesen Worten verschwand der alte Indianer wieder dort wo er hergekommen war. Nathalie stand einen Moment lang etwas ratlos da und schalt sich selbst eine Verrückte, weil sie sich einfach so auf dieses Abenteuer einliess...

5. Kapitel

Nathalie hatte erstaunliches Glück. Sie erwischte gerade noch ein Last Minute Angebot. Natürlich musste sie auch noch ihre Eltern von ihrer kurzfristigen Reise überzeugen, denn diese waren immer sehr besorgt um ihre einzige Tochter. Doch der grosse Geist schien ihr gut gesinnt, ihre Eltern willigten ohne viel Aufheben ein.

Das Mädchen wurde nun immer aufgeregter und packte sogleich alles zusammen, was sie brauchte. Der Indianer hatte ihr geraten genug warme Kleider mitzunehmen, denn es konnte dort wo er lebte, recht kalt werden. Nathalie packte also mehrere dicke Pullis und wollene Strumpfhosen ein. Doch auch für schöneres, wärmeres Wetter war sie gerüstet.

 

Ein Tag, nachdem sie mit ihrem Lehrer Wandernder Bär gesprochen hatte, flog sie los.

Sie war sehr aufgeregt und gespannt was sie erwartete.

Es war für sie nich das erste mal, dass die flog, aber sie war bisher noch nie so weit gereist. Der Flug dauerte insgesamt acht Stunden. Es kam ihr doch sehr lange vor. Doch dann endlich entdeckte sie unter sich die Vereinigten Staaten. Sie kam in der Nacht an, wegen der Zeitverschiebung. Deshalb sah sie nicht sehr viel von dem fremden Kontinent unter sich. Es gab nur hellere und dunklere Flecken, einige mit Lichtern beleuchtet, einige nachtschwarz. Den Notizen, die ihr Wandernder Bär gegeben hatte nach zu urteilen, lag ihr Ziel im Staate South Dakota. Dieser befand sich in den Great Plains (den grossen Ebenen), die einst von den nomadisierenden Stämmen der Sioux bewohnt worden waren. Damals gab es noch etwa eine viertel Million Lakota, doch um 1900 herum nur noch etwa 100 000. Wandernde Bär lebte scheinbar nicht sehr fern der Black Hills, einer Gebirgskette inmitten weiter Prärie. Diese Gegend war Schauplatz der Schlacht am Little Big Horn und des Massakers von Wounded Knee, wo die Weissen einst am 29. Sept. 1890, 300 wehrlose Indianer abgeschlachtet hatten, gewesen. Eine heute für Touristen sehr beliebte Gegend, wie Nathalie durch einen Reiseführer erfuhr, den sie noch schnell gekauft hatte. Sogar ein Dictionnaire über die Lakota Sprache hatte sie dabei. Man wusste ja nie...

Sie wollte in einem preisgünstigen Motel in New York übernachten und dann am nächsten Tag den Innlandflug nach Rapid City, einer der grösseren Städte von South Dakota antreten. Dort würde sie ihr neuer- alter Lehrer wieder in richtigen Moment treffen. Nun mal sehen, wann dieser Moment war...

Sie wusste dass es in jener Rapid City viele Motels gab. Wandernder Bär hatte ihr sogar noch den Namen eines Motels aufgeschrieben, das scheinbar leicht zu finden war. Zum Glück konnte Nathalie Englisch, so musste sie wenigstens keine Verständigungsprobleme fürchten.

So vebrachte Nathalie also ihre erste Nacht im Big Apple(New York) von Amerika, der stets pulsierenden, niemals schlafenden Stadt. Fasziniert blickte sie aus dem Fenster ihres einfachen Motels auf ein gewaltiges Hochhaus mit etwas 40 Stockwerken. Die vielen tausend Lichter schienen trüb durch den Regen hindurch, der vom Himmel fiel. Das Wetter hier war kaum besser als daheim, nur dass es gerade nicht schneite. Nathalie bedauerte eigentlich etwas, dass sie diese weltberümte Stadt nicht näher besichtigen konnte, doch sie freute sich auch sehr mal die Great Plains zu sehen, wo die von ihr stets so bewunderten Indianer lebten.

Eine wunderbare Wärme zog in ihr Herz ein, wenn sie daran dachte, dass auch in ihr das Blut dieses Volkes floss. Sie wusste etwas Besonderes erwartete sie dort, im Lande ihrer Vorfahren. Etwas das ihr Leben nachhaltig beeinflussen würde. Manchmal spürte sie deswegen auch eine Furcht in sich aufsteigen. War sie wohl schon bereit für das, was sie erfahren würde? Was würde sie übehaupt alles erfahren? „Wenn ich nun tatsächlich eine Animal riderin wäre?“ fragte sie sich. „Was wird dann aus mir und meinem bisherigen Leben? Was für Prüfungen erwarten mich noch?“ Sie legten sich auf das Bett mit der alten, durchhängenden Matratze und starrte hinauf zur weissverputzten Decke...

Vor ihr tauchte das Bild einer endlos weiten Ebene mit ausgetrocknetem Gras und einigen niedrigen Büschen auf. Sie sah sich selbst mit wehendem Haar auf einem schwarzen Pferd, über diese Steppe reiten. In ihren Händen trug sie das Kalumet: Zeichen des Friedens zwischen aller lebenden Kreatur... Mit diesem Bild vor Augen schlief sie ein...

Tags darauf bezahlte sie das Hotel, ass ihr Frühstück und begab sich dann wieder zum nahe gelegenen Flugplatz John F. Kennedy. Von dort aus nahm sie die bereist gebuchte Innlandmaschine, die sie weit ins Landesinnere nach South Dakota brachte. Sie überquerte den Osten der USA, der immer trockener wurde, je mehr man sich Richtung Westen bewegte. Bald erschienen dann unter ihr die sogenannten Badlands, rotbraune bizarre Gesteinsformationen, die einst durch die Erosion geschaffen worden waren. Hier gab es heute sogar einen Nationlapark. Die endlose, vom Wind zerzauste Steppe, die von einigen Flüssen durchzogen war, wurde auf der westlichen Seite von den Rocky Mountains flankiert. Nathalie wusste aus dem Reiseführer, dass in den Plains in erster Linie Mais und Weizen angepflanzt wurde. Einst war in diesem Land, vornehmlich in der Gegend um die Black Hills, die traditonell ein heiliges Gebiet der Indianer waren, der Goldrausch ausgebrochen. Heute wurde hier vorwiegend nach Quarzen und Mineralien gegraben. Im nahen Custer State Park einem Nationalparkt, lebten die weltweit grössten Büffelherden. Nathalie hoffte sie würde noch Zeit finden gewisse Dinge anzuschauen, doch das hing von ihrem Lehrer ab. Vielleicht wollte er ihr andere Dinge zeigen. Ihr Herz klopfte auf einmal einige Takte schneller. Wieder glaubte sie etwas ganz Besonderes liege vor ihr. Würde sie hier die Erkenntnis finden, die sie von ihrer Herkunft überzeugte. Wenn nicht hier, wo dann?

Der Flugplatz auf dem sie schliesslich landete war nicht sehr gross, gegenüber jenem in New York. Sie stieg etwas zögernd aus und blickte sich um. So weit das Auge reichte,  erstreckten sich trockene Ebenen. Dieses Land wirkte so endlos und weit. Da bot die Stadt Rapid City mit ihren vielen Motels und Einkaufszentren, doch eine gewisse Geborgenheit. „Schon selsam,“ dachte das Mädchen bei sich. „Eigentlich sollte es mich ja hinaus in die Steppe ziehen, da ich ja eine halbe Indianerin bin. Doch ich fürchte mich vor dieser unbekannten Weite. Und ich soll eine Animal Riderin sein?“

Erstmal aber sehnte sie sich nach einer Mütze Schlaf, die Zeitverschiebung setzte ihr zu. Es galt nun auf Wandernder Bär zu warten, der sie hier abholen wollte.

Das Motel war erneut ziemlich einfach eingerichtet. Doch das störte das Mädchen nicht. Sie war einfach glücklich in der Heimat ihrer indianischen Vorfahren zu sein. Wie Wandernder Bär gesagt hatte, war es hier ziemlich kühl, ein kalter Wind blies. Zum Glück war Nathalie aber ausgerüstet. Sie ass etwas Kleines im Mc Donald, der in der Nähe lag und schlüpfte dann mit dicken Bettsocken unter die Decke ihres Motelbettes. Sofort schlief sie ein.

Am nächsten Tag, war noch immer nichts von Wandernder Bär zu sehen. So entschied sich Nathalie etwas die Stadt zu besichtigen, von der sie eine Karte gekauft hatte. Hier sah sie schon einige Indianer auf den Strassen herumgehen. Sie besassen rundliche Wangenknochen und ihre schwarzen Augen leuchteten wie dunkle Edelsteine aus den bronzebraunen Gesichtern. Viele von ihnen, waren eher etwas übergewichtig, das hatte wohl mit der Fast Food Kost zu tun.

Nathalie dachte an den fettigen Hamburger, den sie am Mittag verdrückt hatte und ermahnte sich selbst, dass diese Kost ihrer Linie auf Dauer gar nicht zuträglich sein würde.

Als das Mädchen am späten Nachmittag wieder zurück in ihre Pension kam, erwartete sie dort eine Überraschung: Wandernder Bär begrüsste sie. Sie hatte das Fenster, vielleicht einem innern Impuls folgend, etwas offen gelassen. Scheinbar hatte der Schamane so erneut einen Weg gefunden in ihr Zimmer zu gelangen. Das konnte schon unheimlich sein, wenn einer keine guten Absichten hegte.

Sie begrüsste den alten Indianer, diesmal keineswegs überrascht und er fragte: „Hattest du eine schöne Reise?“ „Ja und du?“ „Oh ich auch!“ Ich hatte noch etwas zu erledigen, darum bin ich erst jetzt hier.“ „Ich habe etwas die Stadt erkundet.“ „Ja, es gibt in dieser Gegend viel Interessantes zu sehen. Vielleicht finden wir noch die Zeit eine Touristen- Tour zu machen.“ Dabei lächelte er verschmitzt. Dann meinte er: „ Jedenfalls solltest du erstmal deine Sachen zusammen packen, wir fahren an einen etwas schöneren Ort.“

„Wohin?“ „Zu meinem Sohn „Schwarzes Pferd“. Er lebt auf einer Farm. Dort ist er der Vorarbeiter eines weissen Mannes.“ „Ein Vorarbeiter?“ fragte Nathalie, während sie ihre Kleider in ihrem grossen Rucksack verstaute „Dann muss er es aber recht gut haben. Man hört immer wieder, dass es die Indianer oft sehr schwer haben eine Arbeit zu finden und die meisten in Reservationen leben.“ „Das stimmt auch zum grossen Teil,“ erwiderte Wandernder Bär nachdenklich. „Ich selbst lebe in der Pine Ridge Reservation hier in der Nähe. Es ist keine sehr angenehmer Platz. Die Arbeitslosenquote liegt bei etwa 80%. Viele meiner Brüder und Schwester haben nicht mal Strohm. Allerdings versuchen wir immer unser Leben zu verbessern. Wir haben schon ein paar Dinge geschafft, doch wir müssen uns immer alles sehr erkämpfen. Wir kommen nicht darum herum, uns immer mehr der modernen Zeit anzupassen, wenn möglich eine Ausbildung zu machen etc. Es gibt Brüder, die es geschafft haben und jetzt wichtige Männer sind, die auch schon etwas bewegten. Leider liegen sich auch die Indianer selbst immer wieder in den Haaren. Es gibt jene die sich an die alten Traditionen klammern und andere, die modern eingestellt sind und sich mehr anpassen wollen. Wir müssen zusammen irgendwann einen Weg finden, sonst wird es nie besser für unser Volk.“ „Zu welcher Gruppe zählst du dich Grossvater: Zu den Traditionisten oder zu den Modernen?“ Wandernder Bär seufzte:

„ Natürlich liegt mir sehr viel an den alten Traditionen, dennoch ist alles stets einem Wandel unterworfen. Es wird nie mehr so werden, wie es einst war. Wir müssen uns dennoch Gehör verschaffen. Aber nicht mit Krieg, sondern mit friedlichem, zeitgemässem Widerstand. Es soll nie mehr so etwas passieren, wie damals in den Siebzigern, mit der Besetzung von Wounded Knee, als mehrer Leute ums Leben kamen“...

Die Stimme des Indianers klang wie aus weiter Ferne, als er das sagte. Dann aber, schien er wie aus einem Traum zu erwachen und sah Nathalie direkt in die Augen: „Doch ich will dir nicht zuviel von diesen traurigen Dingen erzählen, du wirst noch früh genug sehen, wie wir leben. Jedenfalls wird es dir bei meinem Sohn gefallen. Er hat es gut auf der Ranch. Sein Arbeitgeber ist ein gütiger Mann, der keinen Unterschied zwischen den Hautfarben macht. Schwarzes Pferd macht seine Arbeit auch sehr gut. Er kann aussergewöhlich gut mit Pferden umgehen, weshalb er auch so von uns genannt wird.“ „Ist er... auch ein Animal Rider?“ „Auf seine Weise ja, allerdings kann er sich nicht in ein Tier verwandeln wie z.B. ich es kann.“ „Ich sollte es aber können?“ fragte Nathalie zweifelnd. „Wenn du bereit dazu bist... ja. Du trägst das Zeichen der Animal Rider.“ „Was denn für ein Zeichen?“ „Ein Zeichen, das nur die Tiere wahrnehmen können, ein uraltes Zeichen... ich sah es auch noch nie. Doch ich weiss dass du es trägst, mein Sohn jedoch nicht...“

„Der Hirsch, den ich einst im Tierpark kennenlernte, sagte auch etwas von einem Zeichen, dass er an mir wahrnehme“, erwiderte Nathalie, während sie ihren Rucksack anlegte und mit dem Indianer das Zimmer verliess. „Aber es ist mir erst einmal gelungen mit einem Tier Zwiesprache zu halten. Als ich es wiedermal versuchte, gelang es mir nicht mehr.“ Nathalie lachte auf einmal auf: „Dafür habe ich mit einem Bach geredet. Verrückt nicht?“ „Keineswegst,“ meinte ihr Mentor ernst. „All das gehört zu den Fähigkeiten eines Animal Riders.“ Aber warum kann ich keine solchen Dialoge führen, wenn ich will?“ „Weil dein Verstand dir vermutlich immer wieder dreinfunkt. Du glaubst nicht daran, dass du wirklich mit den Tieren und der Natur sprechen kannst, auch wenn du fühlst, dass da was ist. Darum gelingt es dir auch nicht ihre Stimmen zu vernehmen. Du blockierst dich selbst. Wenn du allerdings ganz spontan und unvoreingenommen bist, dann öffnet sich ein Kanal, der die Verbindung zu allem Leben schafft. Es ist eine Gabe, die viele Menschen haben, die im  Zeichen des Wolfes geboren wurden.“ „Im Zeichen des Wolfes? Was meinst du damit?“ „Dein Geburtstotem ist der Wolf, das lässt sich vom Datum deiner Geburt ableiten. Viele Schamanen haben Wolfskraft. Das ist ein weiterer Unterschied zwischen Indianer und Weissen. Bei den Weissen gilt die Wolfkraft oft wenig, doch bei uns ist sie besonders heilig. Sie beinhaltet die Intuition, die Heilkraft, Mitgefühl, Hingabe... Alles Eigenschaften die wir als sehr wichtig erachten. Nicht umsonst werden Wölfe in der indianischen Kultur so oft abgebildet. Der Wolf ist besonders verbunden mit der Mondkraft- der Welt der Gefühle und der Mütterlichkeit. Man muss nur mal beobachten wie Wölfe in ihrem Rudeln leben. Sie sind sehr sozial und zeigen sehr viel Liebe, wenn sie nich gerade vollkommen ausgehungert sind. Jedenfalls kannst du stolz auf deine Wolfskraft sein Cunksi (Tochter).“

Nathalie war tief berührt von diesen Worten. Denn sie hatte schon viele Male erlebt, dass man ihre Gefühle und Wahrnehmungen nicht sehr erst genommen hatte. Sie war seit jeher eine Träumerin gewesen, jemand, der alles auf einer viel tieferen Ebene wahrnahm als andere Menschen und sie war meist untrüglich in ihren intuitiven Wahrnehmungen. Doch das war sie nur, wenn sie sich wirklich fliessen lassen konnte, wenn sie nicht gerade von starken Emotionen geschüttelt wurde, oder an ihren Fähigkeiten zweifelte. Sie hatte schon oft das Gefühl gehabt, irgendwie nicht in diese Welt zu gehören. Vielleicht fühlte sie sich auch deshalb so mit den Indianern verbunden, weil in dieser Kultur andere Massstäbe galten. Schon jetzt merkte sie, wie anders die Welt der  Indianer war. Das machte sie sehr glücklich und gab ihr neue Zuversicht.

So folgte sie wohlgemut ihrem Lehrer, der sie zu einem ziemlich alten, braunen Lieferwagen führte. „Steig ein!“ forderte er sie auf, während er ihr den Rucksack abnahm und im hintern Teil des Gefährts verstaute. Einen Augenblick lang dachte das Mädchen noch, was für ein grosse Vertrauen sie eigentlich zu diesem Mann hatte. Doch sie spürte ganz tief im Innern, dass sie ihn schon lange kannte.

Wandernder Bär setzte sich nun auf den Fahresitz, der unter seinem Gewicht leise quitschte, steckte den Schlüssel ins Zündschloss und legte den ersten Gang ein. Das Mädchen betrachtete dabei die alten, zerkratzten Amaturen, die nur noch zum Teil funktionierten und den riesigen Schalthebel, der zwischen den beiden Vordersitzen in die Höhe ragte. Das Polster war schwarz und etwas zerschliessen. Würde dieses Gefährt sich überhaupt von der Stelle bewegen?...

Es bewegte sich von der Stelle, wenn auch Anfangs etwas ruckelig. Doch das war schnell vorbei und sie fuhren auf dem nächsten High Way hinaus aus der Stadt...

In der Nähe der Stadt Oral, die am Cheyenne River lag, bog Wandernder Bär in eine Seitenstrasse ein, die zu einem wunderschönen, aus hellem Holz gefertigten Hof führte, der von mehreren riesigen Koppeln und einigen kleineren Häusern umgeben war. Es gab auch eine riesig Scheune, die das Hauptgebäude um Längen überragte und einen Stall, aus dem Rinderrufe erklangen.

Der Schamane brachte Nathalie zu einem der nahegelegenen Nebengebäude, die alle auf den ersten Blick eine Kleinausgabe des Hofes zu sein schienen. Das Gebäude aber, zu dem Wandernder Bär Nathalie führte, hob sich doch etwas von den andern ab, was man allerdings erst beim Näherkommen erkannte. Es war verziert mit verschiedensten Malereien, wie man sie von indianischen Tipis her kannte. Ausserdem war der Rand des Daches mit einem rotschwarzen Zickzack Muster geschmückt und an den Fenstern befanden sich bunt gewobene Gardienen. Ein Büffelschädel prangte wie ein Schutzgeist über der Eingangstür und rechts und links von selbiger hingen Schilde mit verschiedensten Motiven von Tieren etc. bemalt und unterschiedlichen Materialien wie Pferdehaar, Federn usw. bestückt.“ „Dies sind sogenannte Medizinschilde,“ erklärte Wandernder Bär. „Sie sagen sehr viel über die Persönlichkeit der hier lebenden Leute aus.

Auch du wirst dir einst so einen Medizinschild anfertigen. Ich zeige dir dann, was es dazu braucht. Fürs Erste dies: „Es sollte unser aller Ziel sein, einen ausgewogenen Medizinschild zu haben. Das heisst, auch alle Elemente und Aspekte des Lebens in sich zu integrieren und Frieden mit ihnen zu schliessen. Das Pferd- Sunkawakan in unserer Sprache, ist für uns der Lehrer des ausgewogenen Medizinschilds. Es gibt eine Geschichte dazu, die ich dir bald erzählen werde. Das ist mit ein Grund, warum ich dich hierherbringe. Unsere Geschwister die Pferde, können dir helfen, einen ausgewogenen Medizinschild zu erhalten. Du wirst darum eine Weile mit ihnen arbeiten.“ „Oh das ist toll!“ rief Nathalie aus. „Ich liebe Pferde und bin auch schon mal geritten.“ „Das kann dir nur dienlich sein bei deiner Suche Cunksi,“ lächelte der Schamane „denn ein ausgewogener Medizinschild ist besonders für dich als Animal Riderin wichtig. Ohne ihn, kannst du deinen Weg nicht gehen.“ „Meinst du denn, dass ich das überhaupt schaffen werde?“ fragte Nathalie ziemlich unsicher geworden. „Ja, ich bin ganz sicher, dass du es schaffen wirst. Ich kenne doch meine Suna.“ „Ich bin nicht Suna, bitte denk daran!“ „Du wirst immer Suna bleiben, genau wie du immer Nathalie bleiben wirst, denn diese beiden sind Eins. Denk du daran Cunksi!

So nun gehen wir aber rein! Mein Sohn und seine Tochter „Weisse Feder“ werden sich freuen...“ „Dein Sohn hat eine Tochter?“ „Ja, von ihr ist der Medizinschild rechts neben der Tür mit der weissen Feder, daher ihr Name. Sie fand einst diese Feder, an einem See. Wir vermuten, dass sie von einem der Frühlingsbringer- dem Schwan stammt. Weisse Feder, bei den Weissen nennt man sie Ellie Blackhorse, ist sehr klug. Sie geht auf eine Schule der Weissen. Sie wird mal weit herumkommen, das zeigt die Feder des Zugvogels. Darum nennen wir sie so.“ „Wie alt ist sie denn?“ „Sie ist jetzt zwölf Jahre alt. Mein Sohn wurde mit 18 Vater. Er war mit einer Indianerin namens „Windblume“ zusammen. Leider starb sie vor kurzem an einer Krankheit...“ Ein Schatten legte sich über das Gesicht des Mentors als er das sagte. „Das tut mir leid. Wie kommt „Schwarzes Pferd“ damit klar?“ „Natürlich hat er es nicht leicht. Eine Weile lang fürchtete ich gar, er würde an seinem Kummer sterben, doch jetzt hat er sich wieder gut gefangen. Seine Tochter und auch seine Arbeit hier gibt ihm Kraft.“ „Wie alt ist er?“ „Er wurde am 10. Okt. diesen Jahres dreissig. Du wirst ihn bestimmt mögen. Komm!“

Nathalie folgte dem Schamanen zum Eingang des Hauses. Noch einmal warf sie einen kurzen Blick auf die Medizinschilde und registrierte die weisse Feder, von der Wandernder Bär gespochen hatte. Der Schild von Schwarzes Pferde, war mit einem Büschel schwarzen Pferdehaars geschmückt...

Auf einmal ging die Türe auf und ein hochgewachsener, schlanker Mann trat mit einem Mädchen in die gerade aufleuchtenden Abendsonne hinaus. Sofort fühlte sich Nathalie den zweien verbunden. Sie waren beide sehr hübsch. Das Mädchen hatte ihr nachtschwarzes, glänzendes Haar zu zwei Zöpfen geflochten und ein sehr schönes Perlen- Stirnband, schmückte ihr Haupt. Sie trug ein edles Hirschledergewandt, mit weiten Ärmeln, einem mit Perlen bestickten Brustteil und langen Fransen am Saum. Ihre Wangenknochen waren ziemlich rundlich im Gegensatz zu jenen des Mannes, der ein eher schmales Gesicht besass. Dieser hatte ein Teil seines glänzenden Haars ebenfalls zu Zöpfen geflochten und eine handgefertigte Perlenrosette mit einer Adlerfeder steckte  an seinem Hinterkopf. Er trug eine Hirschlederhose, seitlich mit Fransen verziert und ein dazupassendes Hemd ebenfalls mit Fransen und türkisblauen Perlenbändern über Schultern und Rücken. Seine Nase war kühn geschwungen, doch seine dunklen Augen besassen einen warmen Ausdruck. Auch sein Mund gefiel dem Mädchen. Er war voll und wirkte sinnlich. Auf einmal wurde sie verlegen. So stellte sie sich einen Indianer ihrer Träume vor. Irgendwie zog sie dieser Mann an. Sie wusste nicht, ob er der Reiz des Unbekannten war, oder sonst etwas. Jedenfalls besass Schwarzes Pferd zugleich eine stolze und doch sehr verbindliche Ausstrahlung. So ging er auch sogleich lächelnd auf sie zu und entblösste dabei seine schneeweissen Zähne, die durch seinen kupfernen Teint noch mehr zur Geltung kamen. Er schüttelte ihr warm die Hand und legte die andere dabei auf ihre Schulter. „Hokahe han maské!“ sprach er in der Sprache der Lakota und übesetzte es gleich ins Englische: „Das heisst: Willkommen Freundin!“ Nathalie war sehr berührt, von der Freundlichkeit und dem einnehmenden Wesen dieses Mannes. Intuitiv erfasste sie, dass der Ausdruck Freundin nicht einfach nur so dahin gesagt wurde. Der Indianer musste sich ebenfalls besonders mit ihr verbunden fühlen, vermutlich wegen ihres Indianerblutes und wohl auch, wegen ihrer scheinbar edlen Abstammung von den Animal ridern. Weisse Feder war ebenfalls ein sehr nettes Mädchen. Sie reichte Nathalie  die Hand und sprach : „Hokahé!“ Dann fügte sie in gebrochenem Englisch hinzu: „Es ist schön dich zu treffen.“ „Ganz meinerseits,“ gab Nathalie in Englisch zurück. Sie überlegte einen Moment und sprach dann zögernd: „Hau han... mis...“ dann kam sie ins Stocken. „Mis éya!“ ergänzte der Sohn ihres Mentor lachend. „Das heisst : Gleichfalls. Nathalie lachte befreit auf und meinte auf Englisch: „Ich kann noch nicht so gut Lakota, aber ich bin am Lernen.“ „Das kommt schon noch. Nun komm aber rein- Tima hiyu wo we pope!“ Das liess sich das Mädchen nicht zweimal sagen und folgte ihren Gastgebern ins Haus. Es musste eine grosse Ehre sein, wenn man auf diese Weise eingeladen wurde. „Mein Sohn und meine Enkelin freuen sich sehr dich kennenzulernen,“ flüsterte ihr Wandernder Bär zu. „Sie wissen, dass du eine Nachfahrin der Allessehende bist, das ist eine grosse Ehre auch für sie. Darum haben sie auch extra ihre Festgewänder angezogen. Er zwinkerte ihr zu: „Ich glaube... du gefällst meinem Sohn.“ Nathalie wurde bei diesen Worten sehr verlegen und auf einmal tauchte vor ihr das Gesicht Marc's auf. Sie scheuchte es aber wie eine lästige Fliege wieder weg, denn sie nahm es Marc ziemlich übel, dass er sich nie mehr gemeldet hatte. Das mit ihm wurde wohl doch nichts... Oh nein! Sie war noch vogelfrei und musste sich keineswegs schämen, wenn sie sich einen andern Mann zugetan fühlte. Das war bei Schwarzes Pferd der Fall und ihre Intuition sagte ihr, dass auch er sich ihr tatsächlich zugetan fühlte... Das würde in den kommenden Tagen noch mehr zum Ausdruck kommen, denn Schwarzes Pferd würde sie einiges über  das Einssein allen Lebens lehren. Er war als Rabe- Geborener (indianisches Sternzeichen für Waage) im Element Luft zu Hause und das Element Luft war es, mit dem sich Nathalie zuerst befassen musste. Warum ausgerechnet mit diesem Element... das würde sich noch herausstellen...

...Wieder sah sie vor sich das Bild, das sie im Motel vor ihrem geistigen Auge gesehen hatte: „Es war ein schwarzes Pferd, das sie auf dem Rücken trug und sie auf einen unbekannten Horizont zureiten liess...

 

Animalrider Fortsetzung (14.12.19)

6. Kapitel

Das Haus der Blackhorse- Familie war einfach, aber gemütlich eingerichtet. An den Wänden hingen Fotos von traditionellen, indianischen Festen und zwei gewobene Wandbehänge mit bunten Mustern darauf. Jedes dieser Muster hatte seine eigene Bedeutung, was Nathalie später erfuhr. Ein braunes Bärenfell lag vor einem russgeschwärzten Kamin, in dem ein wunderbar- wärmendes Feuer brannte. Der Wohnraum war durch einen farbigen Vorhang vom Schlafbereich abgetrennt. So entstand der Eindruck von zwei seperaten Räumen und dennoch konnte die Wärme in jeden Winkel des Hauses gelangen. Zwei Feldbetten, ein breiteres und ein schmales, mit weichen Schafsfellen darauf, bildeten die Schlafstellen.

Nathalie fragte sich, wo man sie wohl unterbringen wollte. Doch diese Frage wurde ihr ziemlich bald beantwortet, als Schwarzes Pferd sie auf eine Leiter aufmerksam machte, die auf eine Art kleine Galerie führte. „Hier oben schläfst du, wenn es dir recht ist,“ sprach er und deutete auf ein, doch recht konfortables Bett mit einem Reisigkissen, einer indianischen Wolldecke und ebenfalls zwei grossen Fellen darauf. Das Bett stand direkt unter einem kleinen Dachfenster. Es war eine sehr gemütliche Nische. Das neu erwachte Sonnenlicht, fiel durch die farbigen Gardinen, die vor jedem Fenster hingen. „Die Vorhänge, Decken und Wandbehänge haben meine verstorbene Frau und Weisse Feder zusammen gewoben,“ erklärte Schwarzes Pferd, als er sah wie Nathalies Blick bewundernd daran hängen blieb. „Natürlich kannst du die Vorhänge jederzeit öffnen, wenn du willst. „Oh nein danke...“ stotterte das Mädchen, irgendwie seltsam bewegt. „Es ist schön, so wie es ist. Die Vorhänge sind wunderbar!...“ „Dann...gefällt es dir?“ fragte Schwarzes Pferd mit fast kindlicher Unsicherheit. „Aber...natürlich sehr. Danke!“ Die Blicke der beiden begegneten sich und auf einmal glaubte Nathalie, das Schmetterlinge in ihrem Bauch tanzten. „Dann...sollten wir mal etwas essen!“ wechselte der junge Indianer das Thema. „Wir kochen über dem Feuer, es ist ein einfaches Leben hier. Eine Dusche und die Toilette ist übrigens gleich neben dem Hintereingang in einem kleinen Schuppen.“ „Ich zeig sie dir!“ meinte Weisse Feder spontan und nahm Nathalie zu deren Erstaunen bei der Hand. „Die Toilette ist sehr modern und ich achte immer darauf, dass sie sauber ist. Meine Mama sagte immer: „Etwas vom wichtigsten, wenn man Gäste hat ist eine saubere Toilette. Sie arbeitete lange im Haushalt von europäischen Leuten, die nach Amerika ausgewandert sind. Dort hat sie viel über deren Kultur und Lebenssicht gelernt. Sie hat mir alles beigebracht. Wir leben jetzt ja auch schon eine ganze Weile hier auf der Farm von Mr. Smith. Er ist ein sehr netter Mann und kommt manchmal auch zu uns auf Besuch. Vater ist sein bester Mann, wenn es um Pferde geht. Dad's Pferd „Shining star“ (Glanzstern) befindet sich übrigens hinter dem Haus in einer Koppel. Er ist über Nacht immer hier, unter Tags lassen wir ihn meist auf die grosse Koppel mit den andern Pferden...“

Weisse Feder führte Nathalie mit diesen Worten zu einer schmalen, hölzernen Hintertür. Als sie diese öffneten, wehte ihnen ein kalter Wind entgegen. Es war Nacht geworden, nur noch ein dunkelroter Steifen erhellte den Horizont. Nathalie atmete tief auf und...auf einmal fühlte sie, wie vertraut ihr dieses Land doch schon war. Die anfängliche Angst vor dem Unbekannten war einem Gefühl tiefer Geborgenheit und innerem Frieden gewichen. Sie hörte in der Stille der Nacht, das ferne Schnauben der Pferde und das leise Plätschern eines Brunnens und...auf einmal fühlte sie sich zu Hause...

Der genannte Schuppen, war gleich an die Hausfassade angebaut. Als sie ihn betrat, staunte Nathalie sehr. Die Toilette war wirklich so wie sie es sich von der Schweiz her gewöhnt war, sie war sehr sauber geputzt. In einem Becken lagen heisse Steine, die eine angenehme Wärme verströmten. Darauf lagen einige Holzstücke, die einen feinen, harzigen Duft verbreiteten. Neben der Toilette befand sich eine kleine Dusche, mit separatem Boiler, was das Mädchen ziemlich erstaunte. Sogar an weiche Handtücher und Waschlappen hatte man gedacht. Es war richtig heimelig. „Dad und ich haben das nur für dich gemacht,“ sprach weisse Feder und der Stolz in ihrer Stimme war nicht zu überhören. „Wir wollen dass du dich wohl bei uns fühlst. Vater sagt, du habest noch eine harte Zeit vor dir, denn du musst deine Wurzel und deine Vision finden. Das kann sehr anstrengend sein. Grossvater wollte, dass du hier darauf vorbereitet wirst. Darum arbeitest du eine Weile mit den Pferden, sie helfen dir dabei, deine Kraft zu finden...Willst du jetzt noch „Shining star“ sehen?“ „Ja gerne.“ „Er ist gleich da hinten!“ Weisse Feder führte Nathalie zu einem Zaun. Dort befand sich ein dunkles Pferd. Wegen dem schwachen Licht konnte die junge Frau nicht erkennen, ob es schwarz oder d'braun war. Sogleich als sie sich der Koppel näherten, spitzte das Tier, das vorher reglos und mit gesenktem Kopf dagestanden hatte die Ohren und trabte leise schnaubend auf sie zu. Nun erst sah Nathalie warum dieses Pferd den Namen „Shining star- Glanzstern“ erhalten hatte. Es hatte nämlich einen weissen Fleck auf der Stirn, der sich wie ein Stern vom dunklen Fell abhob. Weisse Feder streichelt das Tier liebevoll und sprach: „Glanzstern war einst ein wilder Mustang. Vater hat ihn gezähmt und zugeritten. Er ist nur ein sehr gutes Pferd, das sogar mich auf seinen Rücken lässt.“ Nathalie betrachtete die stattliche Grösse des Tieres, seinen muskulösen Körperbau und stellte sich vor, wie klein die zierliche Gestalt des Indianermädchen auf seinem Rücken wirken mochte. Sie streckte ebenfalls die Hand aus und liess Glanzstern erst ausgiebig ihre Hand beschnuppern, bevor sie ihm über das weiche Fell streichelte. Das Tier liess es geschehen. Eine Wärme zog in Nathalies Herz ein, während sie die geschmeidigen Halsmuskeln unter ihren Fingern spürte. Sie hatte Pferde schon immer ausserordentlich geliebt und sie freute sich sehr mit diesen edlen Geschöpfen zu arbeiten. Sie dachte an Schwarzes Pferd und ihre Freude wurde noch verstärkt, wenn sie daran dachte, dass er ihr erster Lehrmeister auf der Suche nach ihrer Bestimmung sein würde...

Schliesslich gingen sie und Weisse Feder wieder ins Haus, denn es wurde immer kälter, eine unangenehme Bise begann zu blasen.

Als sie den vom flackernden Schein des Feuer erhellten Wohnraum betraten, stieg ihnen ein leckerer Geruch in die Nase. Schwarzes Pfernd kniete neben dem Kamin und rührte in einem grossen Topf, worin eine nahrhafte Suppe mit Bohnen, Mais und Büffelfleisch kochte. Wandernder Bär kam ihnen lächelnd entgegen: „Mein Sohn ist ein sehr guter Koch,“ sprach er an Nathalie gewandt. „Das ist nicht unbedingt die Regeln unter den Indianischen Männern, ausser sie sind gerade draussen auf Jagd oder so. Doch Schwarzes Pferd hat das alles lernen müssen, da er ja alleinerziehend ist. Setzt euch da an den Holztisch, es wird gleich angerichtet!“ Die Mädchen taten wie ihnen geheissen. Vor ihnen standen tönerne Schalen und hölzerne Löffel. Ein angeschnittener Laib Brot befand sich in der Mitte des massiven Esstisches. „Reicht mir eure Schalen rüber!“ forderte sie Schwarzes Pferd auf. „Zuerst der Gast!“ Weisse Feder nahm Nathalies Schale und reichte diese ihrem Vater, der sie bis oben füllte. „Vielen Dank! -pila...maya“ sprach diese mit einem freundlichen Lächeln. „Das riecht wunderbar!“ Wieder kreuzte sich ihr Blick mit dem des jungen Indianers und beide wurden erneut verlegen. Als alle ihre Schalen gefüllt hatten, begannen sie zu essen.

Sie unterhielten sich über allerlei und Nathalie erfuhr, das Schwarzes Pferd von den Weissen Jonathan Blackhorse genannt wurde. Er war auch unter diesem Namen registriert. Er war nun bereits zehn Jahre hier auf der Farm und hatte schon Duzende von Mustangs gezähmt. „Es gibt nun wieder viel mehr wilde Mustangherden in den Great Plains,“ erklärte er Nathalie. „Nachdem sie in den Sechzigern fast ausgerotter wurden, begann man sie mehr zu schützen. Ab und zu werden die Mustangs dann eingefangen und zu Reitpferden ausgebildet. Dazu aber braucht es eine Erlaubnis. Die Mustangs sind manchmal noch sehr wild, doch wenn man sie als Geschwistern, ja gar Lehrer der Menschen sehen lernt und sie dementsprechend gut behandelt, können sie sehr gute Reittiere werden. So wie mein Rappe Glanzstern, den dir meine Tochter sicher gezeigt hat.“ Er lächelte erneut sein gewinnendes Lächeln und fuhr Weisse Feder, die neben ihm sass durchs Haar. „Ein sehr schönes Tier,“ bestätigte Nathalie. „Leider war es schon etwas dunkel, um es in seiner ganzen Pracht zu sehen.“ „Morgen wirst du Glanzstern genau sehen. Er ist für mich das schönste Pferd der Welt. Er und ich sind Eins, darum erhielt ich auch meinen Namen „Schwarzes Pferd“. „Das schwarze Pferd, so heisst es,“ mischte sich Wandernder Bär ins Gespräch „kommt von der Leere, von dort wo die Antwort wohnt. Es gibt dazu eine Legende, die ich dir erzählen will: „Einst vor langer Zeit, reiste ein Medizinmann namens „Traumwanderer“ zu einem entfernten Indianerstamm, um mit diesem die heilige Pfeife des Friedens zu rauchen. Am Fusse eines Hügels, entdeckte er dann eine Herde wilder Präriepferde. Schwazer Hengst kam auf ihn zu und fragte ihn, ob er auf seiner Reise eine Antwort suche. Er sagte: „Ich komme von der Leere, von dort wo die Antwort wohnt. Reite auf meinem Rücken und lerne die Macht kennen die darin liegt, in Dunkelheit einzutreten und das Licht zu finden.“ Traumwanderer dankte ihm und versprach ihm, ihn in der Traumzeit aufzusuchen, sobald er seine Kraft brauchte. Als nächster näherte sich Gelber Hengst und bot an, Traumwanderer nach Osten zu tragen, dorthin wo die Erleuchtung lebt. Traumwanderer könne die Antworten, die er dort finden werde, andern weitergeben und so zu ihrer Erleuchtung beitragen. Traumwanderer bedankte sich wieder und sagte, er werde auf seiner Reise sicher von diesem Geschenk der Kraft Gebrauch machen. Jetzt näherte sich Roter Henst. Er bäumte sich verspielt auf und erzählte von dem Vergnügen, das darin liegt, Arbeit und gewichtige Medizin mit der frohen Erfahrung des Spiels auszugleichen. Er sagte, dass es leichter ist die Aufmerksamkeit der Zuhörer für wichtige Mitteilungen zu fesseln, wenn man immer wieder Humor einfliessen lässt. Traumwanderer dankte ihm ebenfalls und versprach das Geschenk der Freude nicht zu vergessen.

Er näherte sich nun immer mehr seinem Bestimmungsort. Da kan Weisser Hengst an die Spitze. Traumwanderer stieg auf seinen Rücken. Weisser Hengst war Träger der Botschaft von allen andern Pferden und stand für die zur Macht gelangten Weisheit. Dieses wunderbare Pferde war die Verkörperung des ausgewogenen Medizinschilds...“

Wandernder Bär schwieg nun einen Moment und seine Worte schienen im Raum zu widerhallen. Nathalie und auch die beiden andern waren tief bewegt. Schliesslich sagte der Schamane: „Du wirst nun einen ganz ähnlichen Weg beschreiten cunksi, wie einst Traumwanderer und sehr viel Weisheit dadurch erlangen. Deine Visionen werden anders sein, aber sie werden dich auf jeden Fall weiterbringen. Mein Sohn hat ein ganz besonderes Pferd für dich ausgesucht, du wirst dich jetzt eine ganze Weile darum kümmern und so von seiner Weisheit profitieren. Es mag vielleicht Anfangs etwas schwer für dich sein, ein Tier als deinen Lehrmeister anzuerkennen, da ja die Weissen eher gewohnt sind dem Tier ein Lehrmeister zu sein...“ „Nicht alle Weissen sind so,“ lenkte Schwarzes Pferd ein. „Ich kenne schon ein paar weisse Männer, die mit den selben Methoden arbeiten wie ich. Doch es ist schon eher so, dass die Tiere in der weissen Kultur eine untergeordnete Rolle spielen. Das gilt es abzulegen. Wenn du in deinem Pferd einen Lehrer oder auch einen Bruder siehst, wirst du besser mit ihm klarkommen. Es wird dir dann aus eigenem Willen gehorchen und folgen. Du wirst dann sein itancan. Das ist sowas wie das Leitpferd, dem man bedingungslos vertraut. Was ich dir beibringen will Nathalie ist, wie Pferd und Reiter lernen eine Einheit zu werden, so wie wir mit allem Leben Eins sein sollten. Du wirst sehr viel durch diese Arbeit und vom Charakter des Pferdes lernen. Es hilft dir deine Fähigkeiten als Animal riderin einzusetzen und wie Vater bereits sagte, innerlich ausgewogener zu werden. Ich freue mich schon auf unsere gemeinsame Arbeit.“ Wieder lächelte er charmant und erneut rumorte es in Nathalies Bauch. Sie spürte, dass sie eine sehr intensiver Zeit in mancherlei Hinsicht vor sich hatte.

Als sie vor dem ins Bett gehen noch eine warme Dusche nahm und der süssliche Duft des Holzes ihre Sinne etwas zu vernebeln begann, erwachten in ihr auf einmal seltsame Gefühle. Sie durchströmten ihren ganzen Körper, liessen ihr Herz schneller schlagen ihren Puls in die Höhe schnellen. Auf einmal stellte sie sich vor Jonathan hier bei sich zu haben. Sie stellte sich vor wie er sie berührte und küsste. Es war seltsam, schon lange hatte sie nicht mehr auf diese Weise über einen Mann nachgedacht, ausser vielleicht als sie Marc traf, doch der verdiente es nicht, dass sie auf diese Weise an ihn dachte. Er kümmerte sich ja gar nicht um sie. Ganz anders Jonathan. Er hatte sich als sehr aufmerksam und liebevoll erwiesen. Ihr extra den schönsten Platz im Haus überlassen, den Dusch- und Toilettenraum mit heissen Steinen vorgewärmt und für weiche Tücher gesorgt. Ausserdem kochte er sehr gut. Er war(mal abgesehen von Marc) der einzige Mann, dem sie sich möglicherweise hingeben würde. Auch wenn sie ihn kaum kannte vertraute sie ihm bedingungslos. Er meinte es gut mit ihr, das spürte sie tief im Innern.

Sie trocknet sich ab und ging wieder ins Haus. Schwarzes Pferd sass noch am Feuer und schaute sie mit einem vielsagenden Ausdruck in den Augen an. „Gute Nacht,“ sprach sie leise, dann kletterte sie die Leiter hinauf und legte sich ins Bett. Es war weich und wunderbar warm. Noch eine Weile hörte sie unter sich Jonathan hantieren und seltsame Wärmewellen durchströmten dabei ihren ganzen Körper.

Es lag wie ein Zauber auf diesem Haus. Irgendwie fühlte sie sich wie in einem Traum befangen, von dem sie nicht wusste, ob sie bald aus ihm erwachen würde, oder ob er im Begriff war sich zu ihrer Realität, einer ganz neuen Realität zu entwickeln. Sie hörte auf ihren eigenen Herzschlag, der ihr auf einmal wie Trommelschlagen vorkam und ihr ganzes Sein durchdrang. Stetig war er, dieser Klang, stetig und von einer unergründliche Kraft. Und... zu diesem Trommelschlag schlief sie schliesslich selig ein...

In tiefer Trauer standen ich und die andren auf meinem Schiff, an der Reling und lauschten auf den dumpfen Klang der Trauertrommeln, die tief in unseren Herzen widerhallten. Etwas Schreckliches war passiert. Auf einem der andern Schiffe war erneut ein Streit ausgebrochen. Einige der Sternkinder hatten sich mit den Berglöwen in die Haare gekriegt. Es gab ein Blutbad, das seinesgleichen sucht. Die grossen Katzen, die eigentlich grosse Führer auf dem Weg zur Balance zwischen Körper, Seele und Geist sein sollten, hatten sich vom Zorn hinreissen lassen und drei Sternkinder mit ihren Klauen in Stücke gerissen. Das ist ein schreckliches, ein fürchterliches Omen! Wie nur soll das enden? Oh grosser Geist lass uns nicht alleine!

Noch weiss ich nicht, wie es zu diesem Krieg kam, wer Schuld daran war, aber meist trifft alle Beteiligten eine Schuld. Seit wir hier auf diesem endlosen Wasser fahren, erscheint es mir, als sei die Welt plötzlich verrückt geworden.

Das Schlimme an diesem Streit war, dass es in einem Brand endete, der eins unserer Schiffe gänzlich zerstörte. Nur wenige wurden gerettet, die andren starben alle.

Manchmal glaube ich die Last als Vorsitzender des Grossen Rates nicht mehr tragen zu können. Der Kummer und die Furcht, vor dem was noch kommen mag, zerfrisst mein Herz.

Wir gingen als Freunde, werden wir am Ende als Feinde die neue Welt beschreiten, die wir so herbeisehnen? Der Hirsch sagte, alles sei einem Wandel unterworfen. Doch das mir dieser Wandel mal solche Angst machen würde, hätte ich nicht gedacht.

Ich fühle mich so wehrlos, so unfähig weil ich unsere Situation nicht zum Besseren wenden kann. Ich bin wie ein Blatt, das auf einem endlosen Ozean dahintreibt...

Das Schlimme ist, dass auch Kai und Suna sich zerstritten haben. Suna versteht nicht, das Kai einen Tierbruder ermordet hat. Sie glaubt, man hätte es anders lösen müssen. Manchmal glaube ich sogar sie macht Kai dafür verantwortlich, dass Tiere und Menschen jetzt solche Schwierigkeiten miteinander haben, weil er gemordet hat. Ich versuche immer wieder sie dazu zu bewegen ihm zu vergeben, ihr zu erklären, dass jeder der sich an so einer Auseinandersetzung beteiligt schuldig ist, aber ich habe das Gefühl sie hört nicht auf mich.

Die beiden müssen wieder den Weg zueinander finden, denn wenn sie das hier überleben, dann ist es wichtig, dass sie ihren Fortbestand sichern. Man weiss ja nie was alles noch passiert, wie viele Sternenkinder... überhaupt noch übrig bleiben werden...

Ich fühle mich so alt und schwach, wie noch nie zuvor.

Überall um uns herrschen schreckliche Spannungen, immer wieder kommt es zu kleineren Scharmützeln, die aber alle noch in einer Katastrophe enden können, wie...dieser Streit zwischen Berglöwen und Menschen. Wie kann ich dem entgegenwirken, wie kann ich den Frieden aufrecht erhalten? Ich weiss es nicht...

Heute habe ich Bruder Krähe ausgesandt, um nachzusehen, ob irgendwo wieder Land aufgetaucht ist. Wird er wohl mit guten Nachrichten zurückkehren?...

 

Ohne zu wissen, das Nathalie ganz in seiner Näher war, stand Marc draussen vor einer weissen, zugigen Hütte im Indianer Reservat von Pine Ridge. Vor ihm die bizarren, rotbraunen Felsgebilde der Badlands.Wenn jeweils die Abendsonne auf diese Landschaft der Badlands fiel, entstand ein wundervolles Wechselspiel der Farben. Von safrangelb, über die verschiedensten Orangetöne bis zu scharlachrot. Das war immer ein besonderer Anblick. Doch heute, an diesem bewölkten, düsteren Morgen wirkten die Badlands wie eine gräuliche Mondlandschaft. Es war irgendwie ziemlich trostlos das alles und gab Mac ein Gefühl von Verlorenheit.

Er schloss den Reissverschluss seiner schwarzen Winterjacke, schlug deren Kragen hoch und zog seinen Kopf so gut es ging zwischen die Schulterblätter, um sich vom Wind zu schützen. Die starkte Bise ging durch Mark und Bein. Zu Marcs Füssen stand ein Rucksack mit den nötigsten Utensilien. Snake Man, dieser Verrückte wollte mit ihm in die Wildnis, ausgerechnet bei diesem eiskalten Wetter! War es wohl klug gewesen hierher zu kommen?

Nach dem geheimnisvollen Gespräch mit Snake Man- Weise Schlange, hatte Marc die ganze Nacht wachgelegen. Er hatte sich überlegt, ob das wirklich wahr war und sehr viel über sich nachgedacht. Das mit den vielen Leben die er einst durchlaufen haben sollte und das Snake man einst vor endlos langer Zeit sein Lehrmeister gewesen war, klang schon etwas fremd in seinen Ohren. Dennoch spürte er durch seine Sensibilität, dass er nach Amerika gehen musste. Das war ja eigentlich auch immer ein Traum von ihm gewesen, den er nun verwirklichen konnte. Allerdings fragte er sich schon, ob es ihn auch weiter bringen würde. Er war eine etwas zwiespältige Person, das hatte wohl eben mit der Schlangenkraft zu tun, die sein Leben prägte. Doch wie konnte er lernen damit richtig umzugehen und endlich den Innern Frieden finden, nach dem er sich so sehnte? Hatte Weise Schlange möglicherweise das Rezept dazu?

Weise Schlange, den man offiziell Frank Snakeman nannte, lebte in mehr als ärmliche Verhältnissen, in einer der Reservationshütten der Lakota Sioux. Es gab nicht mal warmes Wasser und dabei war es sehr kalt. Als Snake man ihm gesagt hatte, dass sie in die Wildnis gehen um nach der Wahrheit zu suchen, hatte Marc sich noch sehr gefreut. Doch nun da es so kalt war und sie wohl nur in einem kleinen Zelt schlafen würden, wurde ihm doch etwas mulmig zu Mute und tat seine Bedenken, wie für ihn üblich auch kund. Der Indianer aber meinte in seiner resoluten Art, dass er und einige andere seiner Brüder sogar schon ganz ohne Schutz in der Wildnis übernachtet hätten, um ihre Körper zu schulen und dadurch den Geist zu öffnen.

Er meinte: „Du jammerst wie ein Kind, dabei solltest du ein Mann sein!“ Anfangs ärgerte sich Marc sehr über diese Aussage, er fand sie beleidigend, doch irgendwie hatte Frank dann auch wieder eine sehr liebevolle, väterliche Art. So dass er ihm wieder verzieh.

„Bist du bereit?“ fragte der Indianer, als er aus dem Haus kam und neben Marc trat. „Ja, ich denke schon.“ „Dann lass uns gehen!“ „Haben wir keine Fahrgelegenheit, oder wenigstens Pferde?“ fragte Marc, als sich Weise Schlange zu Fuss auf den Weg machte. Ein strenger Blick war die Antwort. „Nein, wir gehen zu Fuss und zwar in den Badlands Nationalpark. Das schaffen wir schon. Es gehört ausserdem zu deiner Ausbildung. Es wird Zeit, dass du lernst auf Komfort zu verzichten, deinen Körper zu schulen und damit der Seele mehr Raum zu geben.

Ich werde dich ein Stück begleiten, doch dann musst du eine Weile allein klar kommen, nur so wirst du dein Totem, oder möglicherweise auch deine Totems finden.“ „Du meinst sowas wie Kraft- Tiere? Ich habe mal was darüber gelesen.“ „Ja, meist sind es Tiere, die dir begegnen. Sie werden dann deine Führer sein, auf deinem weiteren Lebensweg. Durch sie erfährst du auch den Weg, den du noch zu gehen hast.

Es kann eine Menge geschehen, wenn man auf Visionssuche geht. Du kannst verschiedenst Begegnungen haben, sie alle haben dir etwas zu sagen. Lausche auf die Natur, auf ihre Geschöpfe und vertraue dich ihrer Führung an. So lernst du wieder dein Erbe zu entdecken.“ „Mein Erbe? Was genau meinst du damit?“ Der Schritt von Weise Schlange wurde nun etwas bedächtiger und er meinte nachdenklich: „Ich sagte dir doch schon, dass du einst mein Schüler warst, nicht wahr?“ „Ja.“ „Nun gut, das war in einer Zeit, endlos weit zurück, als Tiere und Menschen noch Freunde, ja Geschwister waren. Sie haben sich gegenseitig geachtet und geschätzt, zusammen in Frieden gelebt. Die Tiere waren zuerst da, dann fielen die Sternkinder vom Himmel herab und die Tiere nahmen sich ihrer an. Sie wurden zu Lehrern selbiger...“ „Aber das sind doch alles Mythen!“ rief Marc ungläubig aus. Wieder warf Snake man ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. „Du liebst es noch immer deinen Lehrmeiste zu unterbrechen, wie damals als...ich noch Grosser Rabe war...“ Marc horchte auf. „Du warst also Grosser Rabe...? fragte er ihn vorsichtig. „Etwa ein...wirklicher Rabe, also ein...Tier?“ „Ja, doch was soll diese abfällige Ton cinksi? Kannst du dir nicht vorstellen, dass du einst Schüler eines Tieres warst.“ „Das klingt einfach zu... unglaublich! Verzeih mir Ate ( er sagte dieses Wort einfach so dahin). „Du nennst mich aber dennoch Vater in unserer Sprache. Warum?“ fragte Snake man. „Vielleicht weil du dich auch... erinnerst?“ „Ich mich erinnern, an was denn um Gottes Willen?!“ „An deinen Ursprung, an dein Dasein als Kai, einer der Allessehender, aufgenommen vom Raben Klan.“„Du sagtest mir, dass ich zu diesem Klan gehörte, aber ich dachte doch das sei ein Klan aus Menschen gewesen, die sich einfach mit der Raben- Totem verbunden fühlten.“ „Wir waren aber nicht alle Menschen. Wir hatten die Gestalt von Tieren. Ich war...damals ein Tier cinksi, ein Tier mit besonderen Fähigkeiten allerdings. Heute bin ich zum Menschen geworden. Du Marc, hast zu den Sternkindern gehört und nicht nur das, sondern zu warst auch ein Mitglied der Allessehenden. Wir nennen sie heute „Animal rider“. Du trägst dieses Erbe in dir. Du trägst das Zeichen der Allessehenden, doch du hast so Vieles vergessen. Es ist meine Aufgabe, dich wieder zu deinem Ursprung zurück zu führen...“ Marc atmete schwer, als er diese unglaubliche Geschichte hörte. Er musste sich zusammenreissen, um nicht laut auszurufen, wie absurd das alles klang. War er womöglich an einen Verrückten geraten? „Ich glaube ich habe genug gehört Snake man,“ meinte er kopfschüttelnd. „Ich kann das nicht glauben. Ich bin hergekommen um etwas über mich zu erfahren, etwas über mich zu lernen. Lassen wir es auf sich beruhen, es ist besser.“ „Noch immer ist dein Verstand wie eine Mauer vor deiner Seele,“ sprach der Indianer betrübt. „Doch die Zeit wird dir die Wahrheit offenbaren...“ Mit diesen Worten schritt er wieder tüchtiger aus und den Rest des Weges sprachen die beiden kaum mehr ein Wort miteinander.

Nathalie hatte in der Nacht einen seltsamen Traum: Sie ritt auf dem Rücken einen weissen Pferdes, das nur zwei schwarze Vorderläufe und einen dunklen Fleck auf der Stirn hatte. Sie besass keinen Sattel und lenkte das Pferd nur mit einem Halfter ohne Mundstück. Es war als wären sie und das Pferd eine Einheit. Es folgte jedem ihren Kommandos ohne Schwierigkeiten. Sein Gang war wiegend und sie fühlte sich wunderbar leicht, so als hätte sie kaum ein Gewicht.

Sie überquerten eine Wiese mit vielen tausend Blumen. Schmetterlinge gaukelten von Blüte zu Blüte. Einer von ihnen war besonders schön, er schillerte in allen Farben, als wäre ein Regenbogen in seinen Schwingen gefangen. Ohne ihr Dazutun, schritt ihr Pferd auf diesen Schmetterling zu. Dieser hielt in seinem Fluge inne und setzte sich dann zwischen die Ohren ihres Reittiers.

Auf einmal begann er zu sprechen: Seid gegrüsst, es ist schön dass ihr mich besucht.“ Nathalie erwiderte erstaunt: „Wer bist du?“ „Ich bin ein Bote der Verwandlung. Wie weit bist du schon verwandelt?“ „Was meinst du damit?“ „Ich werde es dir zeigen, komm!“ Der Schmetterling erhob sich nun wieder in die Lüfte und zeigte Nathalie eine Blume. „Ich hab hier meine Eier gelegt,“ sprach der Schmetterling und das Mädchen sah die weissen Eier auf den Blättern der königsblauen Blume. „Wie schnell werden sie wohl ausgebrütet sein? „Das weiss ich nicht,“ gab Nathalie zurück. „Doch du weisst es. Du als einzige weisst es.“ „Nein ich habe keine Ahnung.“ „Das ist eben dein Problem. Du willst es gar nicht herausfinden.“ „Ich würde schon gerne, aber ich weiss es wirklich nicht.“ „Weisst du denn was passiert, wenn die Eier reif sind?“ „Dann werden natürlich Raupen daraus schlüpfen, diese verpuppen sich dann und dann schlüpft der Schmetterling aus. Aber warum fragst du mich das alles?“ „Weil es damit zu tun hat was für dich im Augenblick von Bedeutung ist. Was bist du? Bist du Ei, Raupe, Puppe, oder gar...“ „Also ein Schmetterling sicher noch nicht,“ gab Nathalie zur Antwort. „Was aber bist du dann?“...

Das Mädchen hatte keine Zeit mehr zu antworten, den es erwachte nun aus seinem Traum.

Noch ganz in der Atmosphäre desselbigen gefangen, blickte sie hinauf zum Dachfenster über sich. Dieses war als helleres Viereck auszumachen, das den Blick auf einen wolkenlosen Sternenhimmel freigab. Nathalie war es ganz seltsam zu Mute. Sie lauschte in die Stille der Nacht hinein. Unter sich hörte sie die regelmässigen Atemzüge von Weisse Feder, deren Vater und von Wandernder Bär, der diese Nacht auch hier verbrachte. Die drei schliefen tief. Sie hörte das Feuer im Kamin knistern und weit in der Ferne glaubte sie ein Pferd schnauben zu hören. Was nur hatte dieser Traum zu bedeuten, was wollte er ihr mitteilen? Der Schmetterling hatte gefragt was sie sei. Was also war sie? Also ein Ei, so glaubte sie war sie wohl doch nicht mehr. Sie sah sich eher als eine Raupe, die bereits viel aktiver war. Sie frass viel, damit sie die Kraft der Verwandlung aufbringen konnte. Nathalie nahm ebenfalls immens viel an Nahrung zu sich, allerdings war ihre Nahrung geistiger Natur. Sie wurde gerade sehr Vieles inne und damit war es noch nicht vorbei. Sie wusste, dass da noch mehr auf sie wartete. Sie war auf dem Weg zur Puppe, doch bis sie ein Schmetterling war, würde es noch eine ganze Weile dauern. Denn, wurde sie zum Schmetterling, war ihre Verwandlung vollendet. Davon war sie aber noch weit entfernt...

Jedenfalls besass dieser Traum eine sehr wichtige Aussage. Vielleicht sprach sie ja mal mit Wandernder Bär darüber, oder... vielleicht sogar mit Schwarzes Pferd?

Wieder begann ihr Herz schneller zu schlagen, als sie an ihn dachte. Er hatte es ihr sehr angetan und sie wurde ganz kribbelig wenn sie daran dachte, dass er nun eine ganze Weile mit ihr arbeiten würde... Mit dem Gedanken an ihn schlief sie schliesslich wieder ein.

Am nächstnen Tag wurde sie von hellem Sonnenlicht geweckt. Gerade als sie aus dem Bett steigen wollte, kam Weisse Feder die Leiter hoch. Als sie sah, dass Nathalie bereits wach war, meinte sie fröhlich: „Guten Morgen! Das Frühstück ist fertig.Vater will bald mit dir auf die Weide. Er hat ein wunderschönes Pferd für dich ausgesucht, einen Mustang. Er wird dir gefallen.“ Mit diesen Worten ging das Indianermädchen wieder hinunter ins Wohnzimmer. Voll freudiger Erwartung, die von so manchem ausgelöst wurde, zog Nathalie alte, blaue Jeans und dazu ein ebenfalls ziemlich alten Pullover aus verschiedenfarbiger Wolle an. Es würde trotz Sonnenschein kalt da draussen sein. Immerhin waren die Winter hier noch strenger als in der Schweiz. Sie würde vermutlich so ziemlich den ganzen Tag im Freien sein und auch ziemlich schmutzig werden, wenn sie mit Pferden arbeitete. Sie kannte das noch von der Zeit als sie geritten war. Hoffentlich war sie noch in Form und machte sich nicht allzu lächerlich. Bestimmt hatte sie schon so manches vergessen... Noch über diese Dinge nachgrübelnd, kletterte sie die Leiter hinunter ins Wohnzimmer. Die andren drei sassen bereits am Tisch. Es gab ein schlichtes Frühstück mit fein duftendem Kaffee dazu.

Als Schwarzes Pferd sie freundlich anlächelte, verflogen ihre Ängste schlagartig. Er würde sich sicher als sehr verständnisvoll erweisen, wenn er ihr den Umgang mit den Pferden näher brachte. Sie konnte sicher viel von ihm lernen.

Die drei begrüssten Nathalie alle sehr herzlich. Sie baten sie Platz zu nehmen und bewirteten sie wie einen hohen Gast. Es war dem Mädchen fast peinlich. Womit hatte sie das bloss verdient?

„Heute werde ich dir dein Pferd vorstellen,“ sprach Jonathan schliesslich mit einem Leuchten in den Augen. „Es wird dir gefallen. Ich finde es passt sehr gut zu dir. Ich habe schon ein wenig mit ihm gearbeitet, doch es gibt da noch viel zu lernen. Er muss sich schliesslich auch noch an dich gewöhnen. Damit er dich mal als itancan anerkennt. Das ist, wie ich dir schon mal sagte das sogenannte Leitpferd. Jede Herde hat bei den Mustangs diesen itancan. Alle Mitglieder der Herde folgen ihm, denn sie wissen, dass er immer ihr bestes im Sinn hat. Wenn du dich mit einem Pferd zusammentust ist es als ob ihr eine kleine Zweierherde bilden würdet. Stimmt dieses Verhältnis, dann wird dein Pferd dir überall und bei allem folgen. Ich habe Blackfeet (Schwarzfuss), wie wir dein Pferd nennen aus einer der neuen Mustang Herden die wir gerade eingefangen haben. Es ist also ein Er?“ fragte Nathalie. „Ein Hengst?“ „Nein, er ist ein Wallach. Wallache sind etwas ruhiger, als Hengste. Blackfeet hat einen guten, eher ausgewogenen Charakter. Wenn du erst sein Vertrauen gewonnen hast, ist er sehr lernwillig. Aber natürlich braucht es Zeit bis aus einem Wildpferd ein Rettier wird. Darum habe ich bereits begonnen ihn an gewisse Dinge wie das Halfter, die Satteldecke und die andern Hilfsmittel zu gewöhnen. Er akzeptiert noch nicht alles, aber hat schon Fortschritte gemacht. Nach dem Essen beginnen wir gleich mit dem Training!“

Es dauerte nicht lange und Nathalie trat in Begleitung von Schwarzes Pferd hinaus in die kalte Morgenluft. Es war jetzt sieben Uhr. Nathalie trug eine warme, braune Winter-Lederjacke mit hellem Innenfutter ein Paar schwarze, lederne Handschuhe und ein wärmendes Stirnband um den Kopf. Jonathan war heute auch ganz anders gekleidet. Anstatt dem Festgewand mit den Fransen und Stickereien, trug er nun eine dunkelbraune, abgewetzte Lederjacke und einen hellen Cowboy Hut mit einem einfach bestickten Zierband. Reiter- Handschuhe schützen seine Hände vor der Kälte und lederne Beinschützer sein Jeans vor übermässiger Abnutzung.

Er wirkte sehr männlich und stattlich, fand Nathalie bewundernd. Sie blickte ihn von der Seite her an, als sie über eine zerzauste Wiese Richtung Haupthaus schritten. Er wirkte heute ernster, in sich gekehrter als gestern. Es war, als würde er über manches nachgrübeln. Vielleicht darüber wie er Nathalie den Umgang mit Pferden am besten näherbringen konnte, vielleicht aber auch... über das... was ihn und Nathalie sonst noch verband. Bei diesem Gedanken zogen sich ihre Bauchmuskeln erneut zusammen. Als sie sich verlegen abwenden wollte, schaute der Indianer gerade in ihre Richtung. Erneut erhellte ein Leuchten sein Gesicht und er meinte freundlich: „Ich hoffe ich kann meine Aufgabe gut erfüllen. Immerhin... habe ich eine „Animal riderin“ als Schülerin. Das ist schon etwas eigenartig. Ich soll dich Dinge lehren, die du doch eigentlich bereits beherrscht, den Dialog zu führen mit den Tieren...“ „Ich beherrsche das noch nicht wirklich,“ erwiderte das Mädchen. „Auch sehe ich mich noch keineswegs als Animal riderin, auch wenn dies mein Erbe sein soll. Du kannst mich sicher eine ganze Menge lehren, mit den Erfahrungen die du schon hast. Ich bin jedenfalls sehr froh, dass du mein Lehrmeister bist. Ich hätte nie gedacht, dass ich es so gut treffen würde. Ihr habt euch meiner so nett angenommen. Pilamaya ye!(Vielen Dank, von Frauen gesprochen). Jonathan lächelte warm und erwiderte: „Pilamaya yelo (Vielen Dank, von Männern gesprochen), dass Du hier bist. Es ist eine Ehre für uns.“ Nathalie wurde erneut verlegen und lief rot an. Sie mochte es nicht, wenn man sowas sagte. Sie war nun wirklich nichts Besonderes.

Die beiden gingen nun am Haupthaus und den Stallungen vorbei. Links und recht befanden sich Koppeln mit den unterschiedlichsten Pferden. Die meisten von ihnen waren eher gedrungen, allerdings sehr kräftig gebaut. Mit dichtem Fell und vom Wind zerzausten Mähnen. Es gab alle Farbschattierungen von dunkel bis hell, mit Flecken oder einfarbig. Immer wieder begegneten ihnen andere Ranchmitarbeiter, die sie jeweils freundlich grüssten. Jonathan schien beliebt zu sein, denn er wechselte mehrmals einige Worte mit den Leuten, oder rief ihnen etwas Nettes zu. Das wurde natürlich erwidert. Auch ein paar Indianer kreuzten ihren Weg, doch keiner von ihnen konnte Schwarzes Pferd von Aussehen und Ausstrahlung her das Wasser reichen fand Nathalie. War das vielleicht, weil ihre Wahrnehmung im Bezug auf ihn schon von einer rosa Brille getrübt wurde? „Der einzige...der es vielleicht mit ihm hätte aufnehmen können ist Marc,“ ging es ihr plötzlich durch den Kopf. „Er ist zwar kein Indianer, aber... doch was denke ich noch über ihn nach? Dieses Thema ist für mich erledigt!“ Jonathan meinte jetzt: „Blackfeet ist in einer separaten Koppel. Ich habe ihn heute früh morgens von seiner Herde getrennt, damit ihr euch ganz in Ruhe miteinander bekannt machen könnt.“

Sein Blick wurde auf einmal ernst und er meinte: „Bei uns ist es üblich... dass das Pferd sich seinen Menschen erwählt. Sollte dich Blackfeet, wider erwarten ablehnen, dann müssen wir eine andere Lösung suchen.“ Dieser Gedanke behagte dem Mädchen nicht, doch sie war optimistisch. Voller Spannung folgte sie deshalb Jonathan zu einem kleineren Gehege, hinter einem der Ställe.

Als sie Blackfeet schliesslich auf der Weide grasen sah, hielt sie verdutzt inne. Dies war das Pferd aus ihrem Traum!! Völlig entgeistert musterte sie den Mustang. Der Indianer sah das und fragte besorgt: „Was ist mit dir? Gefällt er dir nicht?“ Eine plötzliche Rührung ergriff das Mädchen und sie meinte mit erstickter Stimme: „Doch, doch! Er...ist das schönste Pferd auf der ganzen Welt! Ich habe die letzte Nacht genau von diesem Mustang geträumt! Ich fasse es einfach nicht!!“ „Du... hattest einen Traum von Blackfeet?“ „Ja!“ sprach Nathalie nun mit Tränen in den Augen. „Er war es, genau dieses Pferd mit dem weissen Fell, den beiden schwarzen Vorderläufen und dem schwarzen Fleck auf der Stirn.“

Nathalie war nun nicht mehr zu halten. Sie lief zu dem Gehege und streckte ihre Hand aus. Blackfeet hörte sogleich auf zu grasen und hob seinen edlen Kopf mit den warmen, braunen Augen. Er spitzte seine Ohren und blickte unverwandt in ihre Richtung. Seine weichen Nüstern blähten sich dabei ganz leicht. Nathalie sandte ihm Gedanken der Zuneigung und der Freude. Auf einmal, als hätte das Pferd ihre Gedanken aufgenommen, setzte er sich in Bewegung und trottete an den hohen, aus Baumstämmen gefertigten Zaun. Vertrauensvoll schnupperte er an ihren Hand, seine Nasenhaare kitzelten sie dabei leicht. Nathalie war zutiefst bewegt. Es war als würde ihr Herz weit aufgehen und ein unbeschreibliches Glücksgefühl durchströmte sie. Blackfeet hatte sie angenommen! Er war wirklich ihr Pferd!

Jonathan schaute erstaunt und berührt zu, wie schnell Blackfeet sich mit diesem Mädchen angefreundet hatte, obwohl er eigentlich noch gar nicht richtig zahm war. Ob er wohl das Zeichen der Animal Rider an ihr wahrgenommen hatte? Jedenfalls merkte der Indianer, dass etwas ganz Besonderes zwischen dem Pferd und dem Mädchen stattgefunden hatte. Nathalie sagte, sie habe von Blackfeet geträumt, das musste ja ein Zeichen sein.

Ganz vorsichtig, als wolle er um keinen Preis die wunderschöne Atmosphäre zerstören, fragte er: „Du sagtest du kennst Blackfeet bereits?“ „Ja,“ erwiderte Nathalie, mit weit entrückter Stimme. „Ich sah genau diesen Mustang... letzte Nacht in meinem Traum.“ Sie tätschelte liebevoll den weichen, muskulösen Hals des Tieres. „Ich bin auf ihm geritten, ohne Sattel und ohne Trense. Wir waren auf einer wunderschönen Blumenwiese und da war… dieser Schmetterling.“ „Ein Schmetterling?“ „Ja. Er fragte mich seltsame Dinge...“ „Willst du es erzählen?“ „Ja klar. Er fragte mich, was ich sei, ob Ei, Raupe, Puppe oder gar Schmetterling.“ „Was hast du geantwortet?“ „Dass ich sicher noch kein Schmetterling bin. Danach war der Traum fertig. Ich weiss nicht genau was das bedeuten sollte. Ich dachte dann darüber nach und kam zum Schluss, dass ich wohl erst erkennen muss, wo ich überhaupt stehe und was die nächsten Schritte sind. Doch das liegt irgendwie noch im Dunkel.“ „Du solltest diesen Traum ernst nehmen,“ meinte Schwarzes Pferd nachdenklich. „Er hat für dich eine wichtige Aussage. Ich glaube das du deinem ersten Totem begegnet bist.“ „Einem Totem?“ „Ja ein Helfer der dir den Weg weist. Kimimala- der Schmetterling steht für die Seele, den Wandel, die Eneuerung und die Weiblichkeit. Begegnet Kimimala einer Frau, so sagen wir Lakota, kann diese Medizinfrau des Körpers und des Geistes werden. Ich finde das passt zu dir. Kimimala will dir etwas Besonderes mitteilen, lausche auf seine Worte, seine Kraft ist für dich von grosser Bedeutung!“ Nathalie schaute zu Blackfeet herüber. „Er war es eigentlich, der mich zu diesem ersten Totem geführt hat. Was mag das bedeuten?“ „Es bedeutet wohl, dass ihr euch schon, bevor ihr euch getroffen habt kanntet. Das ist auf jeden Fall eine sehr gute Voraussetzung, wenn du mit Blackfeet arbeiten willst.“ Nathalies Interesse war nun wieder geweckt und sie fragte. „Was tun wir als erstes?“ „Als erstes werden wir mal schauen wie Blackfeet auf dich reagiert, wenn du zu ihm ins Gehege hinein gehst. Ich komme mit, denn er kennt mich schon etwas. Allerdings werde ich mich etwas zurückhalten, dass ihr euch ganz in Ruhe beschnuppern könnt. Danach wirst du mal einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang mit deinem Pferd verbringen, damit du es richtig kennen lernst. Das ist die erste vielleicht sogar wichtigste Übung. Komm!“

Jonathan öffnete die Tür der Koppel und trat langsam mit Nathalie ein. Blackfeet wurde nun etwas nervös. Er trabte einen Weile dem Zaun entlang und umkreiste die beiden Menschen stets mit dem Blick auf sie gerichtet. Nathalie wusste instinktiv, dass sie dem Tier durch Gedanken und Gebaren das Gefühl des Vertrauens vermitteln musste. „Komm nur zu mir,“ rief sie ihm in Gedanken zu. „Ich bin dein Freund. Hab keine Angst!“ Auf einmal, als hätte es erneut ihre Gedanken aufgenommen, hielt das Pferd in seiner Bewegung inne und fixierte das Mädchen. Seine Ohren waren dabei gespitzt, ab und zu legte es eins seiner samtigen, weichen Lauscher etwas nach hinten. Das, so wusste sie von ihrer Reiterzeit war ein Zeichen der positiven Haltung des Pferdes. Wenn es beide Ohren nach hinten gelegt hätte, steif dagestanden wäre und sie misstrauisch gemustert hätte, wäre das wohl ein Zeichen gewesen, dass Blackfeet sie nicht mochte, oder ihr zu sehr misstraute. Das aber war zum Glück nicht der Fall. Er war sehr interessiert an ihr, aber noch war da seine angeborene Vorsicht, der viele sogenannte Fluchttiere auszeichnete. Sie streckte nun erneut ihre Hand aus und spach mit sanfter Stimme: „Komm nur, ich tu dir nichts.“ Jonathan hielt sich etwas im Hintergrund und beobachtete die beiden. Er schien zufrieden zu sein, denn er erteilte Natahalie keine Anweisungen. Langsam ging das Mädchen nun einen Schritt nach vorn, hielt dann wieder inne. Blackfeet blieb noch immer stehen. Erneut sprach sie mit ihm und steckte ihm ihre Hand entgegen. Und dann auf einmal geschah es! Blackfeet setzte sich in Bewegung und trottete auf sie zu. Immer noch vorsichtig schnupperte er an ihrer Hand. Ging dann jedoch erneut einen Schritt zurück. Nathalie wusste, dass es noch etwas Geduld brauchte, behielt ihre Hand aber ausgestreckt. Erneut wagte das Pferd daran zu schnuppern. Jonathan trat nun ebenfalls langsam näher und steckte dem Mädchen einen Belohnungswürfel aus gepresstem Hafer hin. Sie nahm ihn und bot ihn Blackfeet an. Dieser nahm ihn und entspannte sich nun immer mehr. „Versuche ihm jetzt mal den Hals zu streicheln!“ wies sie Schwarzes Pferd an. Das Mädchen tat wie ihr geheissen. Blackfeet liess es geschehen. Erneut ergriff sie grosse Freude. Bestimmt würde alles gut werden. Der Indianer holte nun ein Halfter, das am Zaun hing, währen Nathalie und das Pferd in der Mitte des Geheges stehen blieben. Das Mädchen streichelte immer wieder die samtenen Nüster, die Nase und den Hals des Tieres. Anfangs hatte dieses noch leicht unter ihrer Berührung gezittert, doch nun war es ganz ruhig geworden. Es spitze seine Ohren und senkte etwas verträumt seine Augenlider, was Zufriedenheit ausdrückte. Nathalie war wie in Trance. Sie betrachtete traumbefangen das schneeweisse, weiche Fell von Blackfeet, das im Sonnenlicht wie Bergschnee glänzte und strich immer wieder über die schwarze Blesse auf seiner Stirn. Auf einmal erklangen in ihrem Herzen die Worte ihres Lehrers Wandernder Bär: Schwarzer Hengst kommt von da wo die Leere wohnt, Weisser Hengst aber ist der Bote aller Pferde, die Verkörperung des ausgewogenen Medizinschilds... War es Zufall, dass Jonathan gerade diesen Mustang für sie ausgesucht hatte, ein weisser Mustang mit schwarzer Zeichnung? Was sollte ihr das sagen?...

Der Indianer kam nun wieder mit einem Halfter zurück, an dem eine ziemlich lange Leine befestigt war. Er trat zu Blackfeet und strich diesem damit erst über den ganzen Körper, die Fesseln und den Hals. Der Mustang liess es geschehen, obwohl die Muskeln unter seinem Fleisch etwas zuckten. Schliesslich reichte Jonathan Nathalie das Halfter. „Vermutlich weisst du damit schon umzugehen, oder?“ „Ja,“ erwiderte das Mädchen, allerdings etwas verunsichert. „Dann streiche Blackfeet wie ich damit über den Körper. Wenn er es geschehen lässt, dann kannst du versuchen es ihm mal anzulegen.“ Das Mädchen staunte darüber, dass Schwarzes Pferd ihr das schon zutraute und tat wie ihr geheissen. Tatsächlich liess das Tier es sich auch von ihr gefallen. Schliesslich, nach einiger Zeit, forderte sie Jonathan mit stummen Gebärden auf Blackfeet den Nasenteil des Halfters über den Kopf zu streifen, es ihm dann aber wieder abzunehmen, ohne es zu befestigen. Diesen Vorgang wiederholte Nathalie mehrere Male, bis das Pferd immer weniger Nervosität zeigte. Schliesslich dann versuchte sie einen Schritt weiter zu gehen. Das Ganze dauerte seine Zeit und das Mädchen staunte über die Geduld des Tieres. Als die Sonne bereits in ihrer ganzen Pracht am Himmel stand, war Blackfeet dann soweit, dass man es wagen konnte ihm das Halfter ganz anzulegen. Jonathan war sichtlich zufrieden und meinte: „Das klappt ja schon ausserordentlich gut. Ich glaube sogar, wir können bereits zur nächsten Übung übergehen. Wir nennen sie: Horse follow closely. Es geht dabei darum das Pferd dazu zu bringen, dir zu folgen. Dazu musst du dieses rotweisse Tuch in die Hand nehmen. Es weckt die Aufmerksamkeit des Tieres. Dann lässt du ihm die Leine gerade so lang, dass sie sich nicht ganz strafft.“ Er reichte ihr das Tuch und gab ihr die Leine in die Hand. Nathalie ging ein paar Schritte zurück, bis sich diese langsam straffte. Das Pferd blieb stehen. Es war etwas seltsam für sie, denn sie war es sich von den Pferden, mit denen sie es früher zu tun gehabt hatte gewöhnt, dass sie sich ohne weiteres führen liessen. Doch der Mustang schien noch nicht ganz zu wissen, was man von ihm wollte. Ganz aus Gewohnheit zog sie an der Leine, doch das nützte nichts. Der Indianer gebot ihr Einhalt. „Nicht mit Zwang! Das Pferd muss dir aus eigenen Stücken folgen. Es braucht viel Geduld. Halte das Tuch in derselben Hand wie die Leine und achte darauf, dass Blackfeet es anschaut! Dann geh einige Schritte rückwärts, damit er begreift was du von ihm willst. Sieh ihn dabei freundlich und ermunternd an. Führe einen Innern Dialog mit ihm, denn ich weiss du kannst das.“ Nathalie tat wie ihr geheissen. Allerdings hatte sie langsam etwas Mühe sich zu konzentrieren und sie wurde etwas ungeduldig. Irgendwie gelang es ihr nicht Blackfeet ihren Wunsch richtig mitzuteilen. Einige Male probierte sie erfolglos diesen zum Vorwärtsgehen zu bewegen. Er nahm auch irgendwie eine störrische Haltung an, fand sie. Das ärgerte sie irgendwie. Und so liess sie sich immer wieder dazu verleiten, an der Leine zu ziehen. Doch das Pferd rührte sich nicht vom Fleck. Sie wurde immer nervöser, begann an sich zu zweifeln und das hatte zur Folge, das sie ärgerlich wurde. Jonathan gemahnte sie immer wieder zur Ruhe. Doch schliesslich riss ihr der Geduldsfaden und sie zog einmal heftiger am Seil. Das aber passte Blackfeet gar nicht. Er stemmte seine schwarzen Vorderläufe in die Erde und zog ebenfalls in die entgegen gesetzte Richtung. „Zerr nicht so an mir herum!“ vernahm Nathalie auf einmal unerwartet eine Stimme in ihrem Innern, Verdutzt blickte sie Blackfeet an, dessen Augen nun wahren Ärger ausdrückten...

7. Kapitel

Marc war auch ärgerlich, aus verschiedenen Gründen: einerseits ärgerte es ihn, das er sich auf so eine Verrücktheit eingelassen hatte, andererseits nervte es ihn, dass er wohl doch nicht so ein harter Kerl war, wie er geglaubt hatte. Er fror ziemlich und konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen in einem Zelt ohne jeglichen Komfort zu übernachten. Er war sich anderes gewöhnt. Ausserdem erschien ihm der Weg in den Badlands Nationalpark endlos lang, weil eisernes Schweigen zwischen ihm und Snakeman herrschte. Damit konnte er gar nicht umgehen. Er war ein geselliger Mensch. Irgendwie wurde er durch diese Stille, die nur von den Geräuschen der Natur durchbrochen wurde, auf sich selbst zurückgeworfen und das war ihm unangenehm, auch wenn er sich das niemals eingestanden hätte.

Er überlegte sich, ob er seinen Begleiter ansprechen sollte, doch da dieser sehr in sich gekehrt zu sein schien und Marc sich auch keine weitere Schwäche eingestehen wollte, liess er es bleiben. Er senkte den Kopf und lauschte auf die Rufe der Vögel und das Rauschen eines fernen Flusses. So fiel ihm auch auf, dass das Rauschen immer lauter wurde. Das wäre ihm unter andren Umständen kaum bewusst geworden. Auf einmal sah er vor sich Wasser im Sonnenlicht glänzen. „Der grosse weisse Fluss, man nennt ihn heute einfach River White,“ sprach sein Begleiter und Marc erschrak fast über das plötzliche Brechen des Schweigens. „An diesem Fluss werden wir unseren ersten Halt machen. Jemand anderer erwartet uns, er wird uns beim Bau einer Schwitzhütte helfen und unser Feuermann sein. Hast du schon mal etwas von Schwitzhütten gehört oder gelesen?“ „Ja...ist das nicht eine Art Reinigungshütte?“ „Richtig, das Inipi, wie wir es nennen dient der Reinigung von Körper und Geist. Es wird durch Steine, über die man Wasser giesst stark erhitzt und man wird dadurch empfänglicher, für die jenseitige Welt. Du kannst in der Schwitzhütte Visionen haben, oder auch einfach zu einer höheren Erkenntnis über etwas gelangen. Es ist für dich ein guter Anfang, um mehr über dich zu erfahren und für die Zeit in der Wildnis aufnahmefähig zu machen.

Wir müssen nur noch ein Stück dem Fluss entlang gehen, bei der nächsten Biegung ist es.“

Sie beschritten jetzt einen Pfad der nun mit Bäumen überschattet wurde. Die Umgebung war fruchtbarer, als die die sie durchquert hatten, das lag natürlich an dem Fluss, der sich wie ein silbern goldenes Band dahin zog. Snakeman- Frank war nun wieder redseliger. Er erzählte Marc, dass sich hier einst ein riesiger Binnensee befunden hatte, der durch die Auffaltung der Rocky Mountains ausgetrocknet war und sich in eine fruchtbare Sumpflandschaft verwandelt hatte. Zurück seien dann noch weisse Kalksteinformationen geblieben, die Badlands. Diese waren eine beliebte Stätte für die Forscher geworden, die hier viele wichtige Urzeitfunde gemacht hatten. Die Suche nach diesen Funden führte zu einer richtigen Ausbeutung der Gegend, die den Indianern heilig war. Schliesslich machte man im Jahre 1939 einen Nationalpark daraus, um der Ausbeutung ein Ende zu setzen. „Auch wenn die Landschaft eher karg ist, gibt es hier viele Tiere zum Beobachten,“ sprach Weise Schlange. „Es wird dir gefallen.“ „Davon war Marc noch nicht ganz so überzeugt, auch wenn ihn die Wildheit dieser Landschaft immer mehr anfing ihn in ihren Bann zu schlagen. Ab und zu stieg in ihm ein seltsames Gefühl der Vertrautheit und Geborgenheit auf, doch dieses wurde von seinem Verstand erneut hinweggewischt, der ihn mit lauter Stimme daran erinnerte, dass es eigentlich überhaupt nicht die Jahreszeit war um in der Wildnis zu übernachten und dies doch sehr viele Gefahren in sich barg. Irgendwie ärgerte sich Marc selbst über seinen Pessimismus, doch er konnte sich einfach nicht ganz aus dessen Fängen befreien. Snake man schien das zu merken, doch er sagte nichts dazu.

Nach einer Weile Marsch dem Fluss entlang, kamen sie zu einer Beuge und in dieser Beuge befand sich eine Art Bucht. In dieser Bucht lagen die Utensilien für eine Schwitzhütte: Einige biegsame Weidenstäbe für das Gerüst selbiger, Decken, die dann das Dach bilden sollten und Schnüre, um diese zu befestigen.

Ein anderer Indianer, etwas jünger als Frank und mit einem eher rundlichen Gesicht erwartete sie dort. Weise Schlange verschnellerte seinen Schritt und begrüsst den andren Indianer herzlich in der Lakota Sprache. Dann stellte er ihm Marc vor, der etwas scheu im Hintergrund stand.

Der andere Indianer begrüsste ihn mit den Worten: „Hau! Mein Name ist Laufender Hirsch, man nennt mich auch Jack. Wir bauen heute zusammen eine Schwitzhütte.“ Marc nickte und bedankte sich.

Weise Schlange erklärte: „Laufender Hirsch ist eben der der sogenannte Feuermann, oder Hüter des Feuers. Er wird uns die Steine in einem Ritualfeuer ausserhalb der Hütte erhitzen und uns immer wieder neue hereinbringen. Das erste was wir machen, ist dieses Feuer. Er muss ein grosses Feuer sein, das lange brennt. Dann bauen wir die Hütte zusammen auf. Wir werden dir zeigen wie. Ihr Gerüst besteht aus zwölf Weidenstäben und vier Ringen ebenfalls aus Weidenruten. In der Mitte der Hütte befindet sich eine Vertiefung, wo man die heissen Steine hineinlegt. Es müssen geeignete Steine sein, solche die nicht durch die Hitze zerspringen. Ich helfe dir sie auszusuchen. Es gibt genug hier am Fluss. Also los, beginnen wir!“

(Fortsetzung 17. September 2020)

Es dauerte eine ganze Weile, bis Holz gesucht, ein Feuer gemacht und die Hütte aufgebaut war. Doch Marc war geschickt und es machte ihm sogar Spass. „Wir machen ein Schwitzhüttenritual in sehr kleinem Rahmen,“ erklärte Snakeman ihm bei der Arbeit. „Während des Schwitzens wird nicht gesprochen, ausser du hältst es nicht mehr aus und musst raus. Natürlich aber ist es Ziel einige Runden und Aufgüsse durchzustehen, das stärkt den Geist und den Körper. Jede Runde steht für ein Thema: Das Danken für alles was einem geschenkt wurde, das Bitten für sich und andere und um Einsicht. Dann geht es um das Geben, das was man verschenken, versenden möchte und schliesslich folgt die Visionsphase, in der man sich für Eingebungen der geistigen Welt öffnet und nach Erkenntnis sucht. Man macht bei der ersten Runde 4, bei der zweiten 7, bei der dritten, 10 und in der letzten Runde „unendlich“ viele Aufgüsse. Das ist ziemlich anstrengend aber es lohnt sich stets. Danach bist du wie neu geboren. Nach dem Inipi Ritual kannst du dich im Fluss abkühlen.“ Im Fluss abkühlen, zu dieser Jahreszeit? Marc erschauderte bei dem Gedanken. Er konnte noch nich ahnen wie sehr er die Kälte dieses Flusses noch schätzen lernen würde...

„Wenn wir die Hütte aufgebaut haben,“ fuhr Snakeman fort „und alles weitere erledigt ist, werden wir zusammen noch einige Säckchen mit Kräutern anfertigen, in jedes Säckchen solltest du einen guten Gedanken knüpfen. Diese hängen wir dann über unseren Köpfen auf. Also wohlan! Machen wir, dass wir fertig werden!“

 

Schliesslich war es endlich so weit. Ein Teil der 32 Steine, die sie zusammen ausgesucht hatten lagen im Feuer und Jack kümmerte sich darum. Währenddessen entledigten sich Snake Man und Marc ihrer Kleider. Nur ein Tuch bedeckt noch ihre Scham und sie setzten sich in die kleine, ziemlich enge Hütte. Marc war sehr aufgeregt und liess sich nochmals alles durch den Kopf gehen, was Weise Schlange gesagt hatte. Dann kam Laufender Hirsch mit den heissen, rotglühenden Steinen. Er transportierte sie auf einer Astgabel aus jungem Holz. Als er fertig war, schloss er wieder leise, den nach Westen liegenden Eingang (Westen ist nur bei den Lakotas üblich, sonst nach Osten). Nun wurde es finster, wie im Bauche einer Kuh. Marc sah nur noch die glühenden Steine, über die nun auf einmal Funken tanzten. Weise Schlange hatte Kräuter darauf gestreut und ein intensiver Geruch erfüllte die Luft, den Marc aber als angenehm empfand. Irgendwie erschien es ihm, als würde dadurch die ganze Atmosphäre gereinigt. Wärme breitete sich aus. Er war froh darüber, denn er hatte doch ziemlich gefroren. Mit der Zeit jedoch würde die Hitze immer unerträglicher werden. Sein Lehrmeister hatte ihm gesagt, dass man manchmal nahe an einer Ohnmacht sein konnte, doch das öffne auch den Kanal für überirdische Wahrnehmungen. Marc war gespannt wie es ihm ergehen würde, da er gar nicht an solche Hitze gewöhnt war. Snakeman goss nun Wasser auf die Steine, was ein lautes Zischen zur Folge hatte und kurz darauf war die Hütte ganz von weisslichem Dampf erfüllt. Das Ritual begann!

Marc versuchte sich an die Erklärungen von Snake man zurück zu erinnern. Es folgte nun die erste Runde, bei welcher es ums Danken ging. Für was aber sollte er danken? Irgendwie wusste er nicht so recht, für was man in so einem Ritual alles dankte. Viele Dinge erschienen ihm zu banal, zu selbstverständlich, als dass er sie hier hätte erwähnen wollen. Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren, er machte sich wieder vielzuviele unnötige Gedanken. Die Hitze nahm stetig zu, langsam wurde es etwas unangenehm. Es fiel dem jungen Mann immer schwerer, einen klaren Gedanken zu fassen. Das Hirn wollte ihm irgendwie den Dienst versagen. Er atmete schwer und schon bald, sehnte er sich nach der Kühle da draussen. Irgendwie beunruhigte es ihn, dass er die Kontolle zu verlieren schien. Der irdische Verstand war für ihn die oberste Instanz. Wenn er aber ausgeschaltet wurde, was blieb ihm dann noch? Es konnte ihm alles entgleiten und das machte ihm wohl die allergrösste Angst. Warum nur war er hier? Warum hatte er sich auf diese Sache eingelassen? Eine Frage die er sich die letzten Stunden immer wieder gestellt hatte. Doch dann fiel sein Blick auf die glühenden Steine, die in der Mitte der Hütte, wie rote Edelsteine leuchteten. Es kam ihm auf einmal vor als würden sie in der Hitze wie Herzen pulsieren. Sein Lehrmeister hatte ihm auch gesagt, dass die Schwitzhütte wie der Bauch einer schwangeren Frau sei, die auf der Erde liegt.

 

Durch dieses Ritual kehrst du sozusagen in den Bauch der Mutter, auch in jenen der Mutter Erde zurück und verbindest dich dadurch auch wieder mit der göttlichen Mutter. Es findet eine Erneuerung und eine Neuschöpfung deiner Lebensenergie statt.“

 

War das wirklich wahr? Wenn ja, dann war die Ausbuchtung mit den Steinen wie das Herz der Grossen Mutter, dem mütterlichen Aspekt Gottes? Wenn Marc aber so nahe beim Herzen Gottes war, wie konnte ihm hier Gefahr drohen? Diese Gedanken kamen ihm einfach so. Sie entsprangen aus seinem tiefsten Inneren, und aus einer nie versiegenden Quelle des Göttlichen, die nichts mehr zu tun hatte, mit seinem irdischen Verstand.

Der Geruch der Kräuter und die dampfende Hitze die die Hütte erfüllte, benebelten seine Sinne. Er hatte sich, ohne es zu merken, dem heiligen Fluss anvertraut, der alles Leben erhielt und durchdrang und... plötzlich wusste Marc, wofür er danken wollte! Es gab so Vieles und nicht davon war banal oder unwichtig, alles hatte seine Bedeutung und nichts, aber auch gar nichts, war selbstverständlich! Marc hatte es geschafft, sich von der Schwere seines irdischen Verstandes zu lösen und befand sich in einem veränderten Bewusstseinszustand, der wahrhaft wundervoll war. Alles stand auf einmal in vollendeter Klarheit vor ihm. Schliesslich wurde die nächsten Ladung Steine vom Feuermann gebracht. Wieviel Aufgüsse es bisher waren, konnte Marc nicht mehr sagen. Als die frischen Steine ihre Hitze zu verbreiten begannen, wurde es ihm wieder bewusst, wie enorm diese feuchte Hitze hier war. Man konnt kaum atmen und langsam breitete sich Schwäche in seinem Körper aus. Doch dann erinnerte er sich daran, dass es im Ganzen vier Runden waren, die so ein Schwitzhütten- Ritual beinhaltete. Diese vier musste er unbedingt schaffen, denn er wollte bis zur Visionsphase kommen. Angetrieben von diesem Entschluss, mobilisierte er Kräfte, von denen er nicht mal gewusst hatte, dass er sie besass. Was war nun also das nächste? Ach ja, das Bitten! Das fiel ihm schon leichter als das Danken, was ihn selbst etwas nachdenklich stimmte. Er erbat Hilfe und Unterstützung für seine Freunde und Angehörige und auch für einige andere Anliegen. Der Dampf in der Hütte, wurde immer dichter, begleitet vom Zischen der heissen Steine.

Plötzlich geschah etwas Seltsames! Ein besonder grosser Funken löste sich von den Steinen und flog direkt auf ihn zu. Unmittelbar über seinem Kopf zerplatzte er in Einzelteile und erhellte für kurze Zeit sein Gesichtsfeld. Marc wusste nicht, ob er sich das nur einbildete, doch es war ihm, als würde dieses Leuchten noch eine Weile im Raum stehen bleiben und auf einmal erlebte er eine weitere, ungewöhnliche Erleuchtung! Er bat den Grossen Geist, Manitou, die Göttliche Macht, oder wie man es auch nennen mochte, um die Erleuchtung und das Erkennen seines Weges. Von einer nie gekannten Demut, Liebe und Sehnsucht erfüllt, schloss er seine Lider...

Und dann... geschah es! Vor seinem inner Auge tauchte auf einmal eine riesige Libelle mit schillernden Regenbogen- Flügeln auf, die den ganzen Raum einzunehmen schien. „Ich bin die Zerstörerin von Illusionen!“ sprach sie mit mächtiger Stimme, die mehr nach einem Drachen, als als nach einer zarten Libelle klang. Sie flog mit gewaltiger Schnelligkeit auf Marc zu, so dass er zurück zuckte und drang dann in ihn ein, wie ein glühender Speer! Dieser Speer durchbohrte sein Herz und seine Seele. Er schrie unvermittelt auf, dann verlohr er das Bewusstsein...        

 

Nathalie war vollkommen aus der Fassung, als sie diese Stimme vernahm, die tatsächlich von ihrem Pferd Blackfeet zu kommen schien. Sie liess den Strick sinken und erwiderte instinktiv: „Es tut mir leid...Ich wollte nicht...Ich bin wohl etwas müde.“

Das Pferd entspannte sich wieder und fixierte sie interessiert mit seinen dunklen Augen. Nathalie fand es sehr seltsam, dass sie gerade jetzt wieder mit dem Tier sprechen konnte, jetzt da sie eigentlich mit ihm aneinandergeraten war.

„Ich mag es nicht, wenn du mich so behandelst!“ sprach dieses nun im Geiste zu ihr „Du sendest die widersprüchlichsten Botschaften. Was willst du eigentlich genau von mir?“ Nathalie die noch immer sehr erstaunt war, erwiderte: „Ich möchte, dass du zu mir kommst. Wir sollen ja eine Zweierherde bilden, wie Schwarzes Pferd sagte.“

„Schwarzes Pferd ist ein Freund. Bist du auch ein Freund?“

„Aber natürlich! Wir haben uns doch auf Anhieb gut verstanden.“

„Das stimmt, da war etwas ganz Besonderes zwischen uns... Du...trägst auch so ein Zeichen... Ich weiss nicht genau was es ist, doch ich weiss, dass tiefes Wissen in dir verborgen liegt. Was also willst du nun genau von mir? Sag es einfach!“

„Das du zu mir kommst Blackfeet, nur dass du zu mir kommst. Du kannst mir wirklich vertrauen. Ich bin ein Freund. Nicht ganz ohne Fehl, aber ein Freund.“ Diese Antwort hatte Nathalie so innbrünstig gegeben, dass es bei Blackfeet wirklich anzukommen schien. Und... oh Wunder, als sie erneut einige Schritte rückwärtsging, folgte ihr das Pferd sogleich!! „Wan!“(Schau mal einer an!) rief Jonathan aus! Gut gemacht!“

Noch bis zur Mittagszeit fuhren Nathalie und Jonathan mit ihren Übungen fort. Seit das Mädchen wahrlich den inneren Dialog mit Blackfeet führen gelernt hatte, klappte alles viel besser. Schon sehr bald folgte ihr das Tier wie ein Schatten. Der Indianer verlieh seinem Erstaunen darüber immer wieder Ausdruck, denn nicht bei jedem Mustang ging die Übung: Horse follow closely so schnell vonstatten. Nathalie war überglücklich. Für sie war es, als hätte sie einen riesigen Schritt gemacht. Sie bewegte sich immer mehr auf das Stadium der Puppe zu, das spürte sie. Seit der wunderbaren Annäherung an Blackfeet, veränderte sich nun alles. Er war auf dem besten Weg ihr den Pfad zu einem ausgewogenen Medizinschild zu weisen. Er war so liebenswert und geduldig und vertraute ihr immer mehr.

Schliesslich beschlossen sie sich eine ausgiebige Pause zu gönnen. Jonathan meinte, das Blackfeet für heute genug geleistet hätte und liess ihn wieder zu den andern Pferden, um etwas zu Grasen. Nathalie beauftragte er, den ganzen Nachmittag in der Nähe von Blackfeet zu verbringen und ihn einfach nur zu beobachten. „So lernst du ihn noch besser kennen,“ sprach er.

Zuerst aber, war eine Mittagspause angesagt. In einer Scheune, die gegenüber des grossen Haupthauses stand, befanden sich einige Sitzgelegenheiten für die Cowboys und Pferdetrainer. Ein Mann stand hinter einer Theke und schöpfte, gegen einen kleinen Entgelt, etwas zu essen aus. Es gab würzigen Eintopf mit weissen Bohnen, Büffelfleisch und dazu knuspriges, dunkles Brot. Die Teller bestanden aus silbernem Blech. Auf den langen Holztischen, die jetzt ziemlich voll mit Leuten waren, standen Krüge mit Trinkwasser. Es gab auch einen Automaten an dem man, nach Wunsch, andere Getränke holen konnte. Auch Kaffeekrüge standen auf einem Tisch.

In der Luft lag der Duft von Leder, Kühen und Pferden, vermischt mit dem Geruch des Eintopfes und des Kaffees. Es war eine besondere Mischung, doch Nathalie fühlte sich sehr wohl hier. Alle waren sehr nett und Jonathan unterhielt sich freundlich mit ihr. In seinem Blick lag Bewunderung, wenn er von dem erfolgreichen Training mit Blackfeet sprach. Er lobte das Mädchen immer wieder für seine Geschicklichkeit, im Umgang mit Pferden. Nathalie wurde mit der Zeit richtig verlegen. „Ich hätte es selbst nicht für möglich gehalten, dass es so gut funktioniert,“ sprach sie. „Blackfeet war einmal so richtig sauer, als ich zu heftig am Seil zog. Tatsächlich habe ich es aber geschafft, mit ihm zu kommunizieren, wie einstmals mit dem Hirsch, bei uns im Wildpark. Ich kann das jetzt auch immer mehr steuern. Das konnte ich bisher nicht.“

„Es liegt in deinem Blut begründet,“ sprach Schwarzes Pferd. „Denk immer daran!“ „Dennoch weiss ich nicht, ob ich das auch mit anderen Tieren kann. Blackfeet ist mir jetzt vertraut und wir haben uns angefreundet, doch ein fremdes oder gar wildes Tier, wird dann schon schwieriger.“

„Du brauchst einfach genug Zeit und Geduld. Eines Tages wirst du dann mit jeglichem Lebewesen kommunizieren können. Davon bin ich überzeugt!“

Auf einmal hielt er im Sprechen inne und schaute zur Tür, durch die gerade ein älterer Mann mit silbrigweissem Haar und einem grauen Resistant- Cowboy Hut (Resistant ist eine bekannte Marke für Cowboy Hüte) eintrat. Er hatte einen Schnurrbart, trug anthrazitfarbene Jeans, ein eisblaues Hemd und darüber eine lange, erstaunlich elegante, schwarze Jacke. Als er Jonathan und seine Besucherin erblickte, kam er freundlich lächelnd, an ihren Tisch herüber.

„Das ist Peter Smith mein Boss. Ihm gehört das alles hier,“ erklärte ihr Jonathan. „Er ist sehr nett, du wirst sehen.“

„Hau!“ rief der ältere Herr in der Lakota Sprache. „Wer ist deine charmante Begleitung Jonathan?“ Er setzte sich wie ein alter Freund zu ihnen und schüttelte beiden die Hände. „Das ist Nathalie. Ich habe dir schon von ihr erzählt. Sie bleibt etwas hier und geht mir bei den Pferden zur Hand.“

„Ach ja natürlich! Mein Gedächtnis lässt immer mehr zu wünschen übrig. „Wie fühlst du dich hier?“ fragte er dann an Nathalie gerichtet.

„Sehr gut. Ich kenne mich ein wenig mit Pferden aus.“

„Sie ist drauf und dran einen Mustang zu zähmen und das nach nur einem Tag Training,“ sagte der Indianer und Stolz schwang in seiner Stimme mit.

„Erstaunlich! Nun... aber wer liesse sich nicht gerne von dieser netten Lady zähmen?“ Er zwinkerte Jonathan zu, der irgendwie verlegen wurde. Auch Nathalies Wangen nahmen einen rosigen Schimmer an.

„Habt ihr schon gegessen?“

„Ja. Es hat seh gut geschmeckt,“ erwiderte das Mädchen.

„Das freut mich. Leider muss ich schon wieder weiter. Ich hoffe dein Aufenthalt hier gestaltet sich angenehm. Wenn etwas ist oder ihr etwas braucht, könnt ihr jederzeit zu mir kommen. Nenn mich einfach Peter.“

Nathalie nickte zustimmend und sprach: „Ich danke dir Peter, dass ich hierbleiben darf.“ „Wir sind um jede Hilfe froh. Wir laufen uns sicher wieder einmal über den Weg. Toksa!(bis bald und tschüss!).

Jonathan und Nathalie erwiderten den Gruss und der Ranch Besitzer, ging herüber zu einigen anderen Leuten und wechselte mit ihnen ebenfalls ein paar Worte.

„Peter ist ein sehr guter Freund. Er hat schon sehr viel für mein Volk getan,“ meinte Schwarzes Pferd. „Nur dank ihm, können meine Tochter und ich so gut leben. Ich würde auch gerne Vater zu uns nehmen, aber er denkt, dass die Leute ihn in Pine Ridge mehr brauchen. Er gibt ihnen Mut, pflegt noch die alten Traditionen und hilft vielen, mit seiner Medizin. Es kann sein, dass du auch mal einige Tage nach Pine Ridge gehen musst, um dort zu arbeiten. Das wird nicht so einfach. Die Reservationen sind kein guter Ort...“ Wieder war er nachdenklich geworden. Er riss sich jedoch selbst aus den düsteren Gedanken, indem er weiterfuhr. „Aber zurück zu dir! Es wäre, wie gesagt, von Vorteil, wenn du den Nachmittag und auch die Nacht bei Blackfeet bleiben würdest. In der Nacht ist er dann ja im Stall. Wir geben dir eine warme Decke mit, etwas zu essen und etwas zu trinken. Die kommenden Tage arbeiten wir dann weiter mit deinem Pferd und du bist für seine ganze Pflege zuständig.“

„Das habe ich mir schon gedacht. Natürlich tu ich alles was du mir sagst, du bist jetzt mein Lehrmeister.“ Mit diesen Worten lächelte Nathalie den Indianer gewinnend an. Schwarzes Pferd wandte etwas verlegen den Blick ab. Sie staunte, dass ihr das Flirten mit Jonathan so leichtfiel. Sie hegte wirklich schon innige Gefühle für ihn. Eigentlich erstaunte es sie, wie schnell das geschehen war. Jonathan ging es scheinbar ähnlich, sonst hätte er sich nicht so von ihr aus der Fassung bringen lassen. Sie war gespannt, wie es mit ihnen beiden weiterging.

Schliesslich verliessen sie die Scheune wieder und machten sich erneut auf den Weg zu Blackfeet, der sich nun wieder mit den andern Pferden in der grossen Koppel aufhielt. Er graste zufrieden. Als er sie sah, hob er kurz den Kopf und liess ein Begrüssungs-Schnauben hören, dann wandte er sich wieder dem Fressen zu.  

Schwarzes Pferd sprach: „Nun suche dir einen geeigneten, bequemen Platz, von wo aus du Blackfeet gut beobachten kannst, ohne zu viel Aufmerksamkeit auf dich zu lenken. Dann schau ihm einfach zu! Du erfährst dadurch einiges über die Gewohnheiten deines Pferdes.

Mein Volk hat immer sehr nahe mit den Pferden zusammengelebt und man konnte dadurch beidseitig viel profitieren. Die Menschen erkannten sofort, wenn einem Tier etwas fehlte und das Tier warnte durch sein Verhalten von Gefahren oder sonstigen Veränderungen im Umfeld. In der heutigen Zeit, hat einfach niemand mehr richtig Zeit. Dabei ist Zeit beim Pferdezähmen, von immenser Bedeutung.

So lasse ich dich nun allein. Ich schaue dann später wieder vorbei.“

Nathalie tat, wie ihr geheissen. Sie fand einen geeigneten Platz unter einer Präriepappel (wagacan), dem wichtigsten Baum der Lakota, der im Sonnentanz eine zentrale Rolle spielte. Man nannte ihn hier Baum des Lebens, sah ihn als Symbol für die Weltachse. Der Baum spendete Nathalie etwas Schatten und Schutz. Von hier aus hatte sie einen guten Blick auf Blackfeet und begann mit ihren Beobachtungen.

Ziemlich bald fiel ihr auf, dass dieser wohl mit einer rot-weissen Stute Freundschaft geschlossen hatte. Die beiden grasten immer in unmittelbarer Nähe voneinander. Immer wenn etwas die Aufmerksamkeit des einen auf sich zog, hob auch das andere Pferd seinen Kopf. Wenn Blackfeet davontrabte, um sich woanders den Bauch vollzuschlagen, trabte die junge Stute ihm hinterher und umgekehrt. Die beiden hatten einen sehr liebevollen Umgang miteinander, legten ab und zu die Hälse übereinander oder stupsten sich mit den Nasen sanft an.

Blackfeet war ein eher ruhiges Tier, das sich bedächtig bewegte, er war sehr geduldig mit den anderen Pferden. Ausserdem war er sehr aufmerksam und interessiert an seinem Umfeld. Wenn jemand an die Koppel kam, Tier oder Mensch, hob er meist interessiert den Kopf. Er war aber nicht sehr nervös. Da gab es andere Mustangs, welche wegen jeder Kleinigkeit aufschreckten. Nur als man Blackfeets Freundin abholte, um mit ihr zu trainieren, wurde er einen Moment lang unruhig und wieherte ihr hinterher, doch er beruhigte sich schnell wieder, denn er wusste ja, dass sie wiederkommen würde. Das war dann ja auch der Fall.

Den ganzen Tag machte Nathalie interessante Beobachtungen und der Charakter ihres Pferdes kristallisierte sich immer mehr heraus. Mit der Zeit fühlte sie Müdigkeit und sie verfiel in einen Art Dämmerzustand, der zwischen Schlafen und Wachen lag.

Auf einmal tauchte vor ihrem innern Auge ganz deutlich der Kopf eines weissen Wolfes auf. Sie schreckte hoch und das Bild verschwand wieder. Was hatte das wohl zu bedeuten?...

 

Mein Name ist Sunkmanitutanka- die Wölfin. Man nennt mich aber auch Suna.

Mein Herz ist voll von tiefer Trauer, denn mein alter Lehrmeister Mato (der Bär), ist gestern von uns gegangen. Niemand weiss weshalb genau, ob es der Kummer war, der ihn die Freude am Leben verlieren liess oder es einfach Zeit für ihn war, zu gehen. Er wurde auf einmal krank und keiner konnte ihm mehr helfen. Bevor er in die Anderswelt einkehrte, bat er mich für ihn diesen Bericht weiterzuführen.

Mato hat mir sehr viel beigebracht, auch das Schreiben und so will ich seinem innigen Wunsche nachkommen. Dies sind die ersten Zeilen die ich nun niederschreibe:

Wie mein Lehrmeister und guter Freund, bereits schrieb, ist schon sehr viel Elend passiert, seid wir hier auf diesem endlos scheinenden Meer treiben. Es hat schon viele Verluste gegeben, auf Seiten der Menschen sowie der Tiere.

Mein Herz schmerzt, dass mein Geliebter Kangi für einen der Toten verantwortlich ist. Ich habe es ihm lange nicht verzeihen können, weil ich ihm den Vorwurf machte, dass er es war, der diese Unstimmigkeiten hervorrief. Doch mittlerweile ist mir bewusst geworden, dass es irgendwann sowieso so weit gekommen wäre. Die Extremsituation der wir die letzten Monde- ich weiss nicht mehr wie viele es waren, ausgesetzt waren, förderten das Böse nur schneller zu Tage. Alles was geschah, geschah weil es schon länger Spannungen zwischen Tieren und Menschen gab. Die Schlange, Schwarzer Zahn, hat schon seit einiger Zeit einen Anlass gesucht, um Unfrieden zu stiften. Kangi sagte er habe ihn in Notwehr getötet. Vermutlich kam er dazu, als Schwarzer Zahn das andere Sternkind mit seinem Biss tötete und geriet so selbst in Lebensgefahr. Nach wie vor glaube ich, er hätte auch fliehen und den Rat von der Untat der Schlange in Kenntnis setzen können, so dass jener über Schwarzer Zahn richten konnte. Doch es ist nun mal, wie es ist, Kangi ist schon immer anders mit Konfrontationen umgegangen. Ich liebe ihn jedenfalls aus tiefstem Herzen und ich weiss, dass er mich jetzt braucht, jetzt da er schon so lange in dem dunklen Bauch unseres Schiffes eingekerkert ist. Er leidet schon sehr darunter, ist er doch ein Mensch der seine Freiheit als höchstes Gut erachtet.

Ich hoffe man wird ein Einsehen mit ihm haben, wenn wir die neue Welt betreten und ihn endlich frei lassen.

Einige Tiere haben bereits angekündigt, dass sie ihren Weg ohne die Sternkinder fortsetzen wollen, wenn diese endlose Irrfahrt ein Ende hat. Ebenso haben auch einige Sternkinder gesagt, dass sie die Tiere nicht mehr als Lehrer bräuchten, sondern nur noch als Nahrung. Das sind Zustände, die es noch nie zuvor gab. Ich glaube, dass Mato deswegen an Kummer starb. Er war immerhin der Vorsitzende des Grossen Rates der Tiere und doch konnte er nichts gegen das Böse unternehmen, das nun immer mehr zum Ausdruck kommt.

Vater Grauwolf hat jetzt seine Position übernommen. Ich bin froh darüber, denn er ist Menschen und Tieren, gleichwohl zugetan und wird tun was er kann, um die Unruhen in den Griff zu bekommen. Allerdings weiss ich nicht, ob das wirklich möglich sein wird.

Ich hoffe deshalb aus dem tiefsten Grunde meines Herzens, dass wir bald das ersehnte Land finden, von dem die Krähe uns gestern, nach einem endlosen Flug, berichtet hat. Es soll eine grüne Insel aus dem Wasser aufgetaucht sein, die sich nun hoffentlich immer mehr vergrössert. Geregnet hat es jedenfalls seit vielen Tagen nicht mehr. Das ist ein gutes Zeichen, das Wakan Tanka (der Grosse Geist) sich uns erneut zugeneigt hat. Auch wenn... wir es eigentlich gar nicht verdienen, sind wir doch alle auf irgendeine Weise schuldig geworden. Onsimalaye! (Sei gnädig „Gott“)....

 

Das Bild des Wolfes liess Nathalie nicht mehr los. Es war ihr gewesen, als wolle er ihr etwas mitteilen, doch sie schaffte es einfach nicht, so weit in sich zu gehen, um es zu erfahren. Warum erschien ihr ausgerechnet ein Wolf? Hatte Wandernder Bär nicht gesagt, dass sie die Wolfskraft besitze und vor endlos langer Zeit sogar selbst „Die Wölfin“ genannt wurde? Was also wollte dieser weisse Wolf von ihr? War es ein weiteres Totem, wie der Schmetterling, den sie im Traum gesehen hatte? Irgendwann würde sie das noch herausfinden...

So langsam begann es wieder zu dämmern. Verträumt blickte Nathalie hinaus in die Weite der Prärie, deren Büffelgras, wie ein endloses Meer, im Winde hin und her wogte. Es wurde jetzt immer kühler. Die Sonne näherte sich dem Horizont und nahm eine rotorange Färbung an, die alles in zauberhaftes Licht tauchte. Es wirkte wie ein Weichmacher, der alles noch schöner erscheinen liess. Das weisse Fell von Blackfeet, bekam einen Rosèschimmer. Wie Standbilder kamen er und die andern Pferde dem Mädchen im Lichte der untergehenden Sonne vor...

Noch ganz in ihren Träumereien gefangen, erschrak sie fast, als Jonathan, geräuschlos wie ein Schatten, hinter ihr auftauchte. Er legte ihr sanft die Hand auf die Schulter, die sich angenehm warm anfühlte.

„Es tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe,“ sprach er respektvoll. „Doch es wird Zeit Blackfeet in den Stall zu bringen. Konntest du einige wichtige Beobachtungen machen?“

„Ja, es war sehr schön. Ich glaube Blackfeet jetzt noch viel besser zu kennen.“

„Du wirst ihn noch besser kennenlernen, wenn du die Nacht in seinem Stall verbringst. Vorher aber führen wir ihn von der Weide und füttern ihn, dann kommst du zu uns zum Abendessen und kehrst danach in den Stall zurück. Wir müssen dir genug warme Decken mitgeben, denn es wird eine kristallklare Nacht und das bedeutet eisige Kälte.“

Nathalie erhob sich und zusammen gingen sie zur Weide, wo Blackfeet sie bereits erwartete. Sie gingen langsam zu ihm hinein und legten ihm das Halfter an. Wie ein Hund folgte er Nathalie sofort.

Nach einer Mahlzeit, die sich wakapapi nannte und aus gestampftem Fleisch, Mark und Trockenbeeren bestand, half Schwarzes Pferd Nathalie ihren Schlafplatz einzurichten. Sie erhielt einen Schlafsack und einige warme Decken, aus farbiger Wolle. In einer Ecke des Stalles breiteten sie diese aus. Das Pferd beobachtete alles mit regem Interesse. „Ich werde diese Nacht bei dir schlafen Blackfeet,“ erklärte Nathalie ihm in Gedanken und wusste das sie willkommen war.

Als sie alles eingerichtet hatten, erhob sich Jonathan und wandte sich zum Gehen. Er trug nun ein weisses, sportliches Hemd, mit kurzen Ärmeln, das seine kräftigen, bronzefarbenen Arme sehr gut zur Geltung brachte. Nathalie merkte erneut die Magie, die zwischen ihnen lag. Es war wie ein dauerndes Vibrieren der Luft und in ihr erwachten wieder die seltsamsten Gefühle. Er sah sie an und in seinem Blick lag sehr viel. Er zögerte noch einen Moment, bis er wirklich ging, als würde es ihm besonders schwerfallen. Machte er sich womöglich Sorgen, oder war da sonst etwas?

„Ich danke dir für alles was du für mich tust,“ sprach Nathalie leise. „Ich weiss gar nicht womit ich mich erkenntlich zeigen könnte.“ Sie trat näher zu ihm heran und es kam ihr vor, als wären ihre beiden Herzen wie Magneten, die einander anzogen. Bisher hatte Nathalie das erst einmal erlebt, doch das schien ihr nun weit entfernt. Sie wollte einem inneren Impuls folgen, doch dann wurde ihr bewusst, dass es im Augenblick andere Prioritäten gab. So nahm sie einfach Jonathans Hände und küsste ihn liebevoll auf die Wange.

Er senkte verlegen den Blick und wandte sich dann etwas zu schnell ab.

„Vergiss nicht die Jacke anzuziehen!“ sprach Nathalie noch besorgt. „Es ist sehr kalt.“ Schwarzes Pferd nickte und zog seine Lederjacke über, dann verliess er den Stall. Noch einmal, blickte er sich nach ihr um und in seinen Augen schien ein Glanz zu liegen, der es mit den aufgehenden Sternen hätte aufnehmen können.

Nathalie seufzte und wandte sich mit klopfendem Herzen ab. Wieder durchströmte diese Hitze ihren ganzen Körper. Diese Nacht war eine magische Nacht. Sie hätten weiter gehen können, sie wären bereit gewesen, doch sie war ja schliesslich hier, um eine nähere Bindung zu ihrem Mustang zu knüpfen. Dieser schaute sie mit seinen dunklen Augen wissend an und tat sich dann am Hafer gütlich.

So brach die Nacht herein und es wurde langsam immer kälter. Nathalie wickelte sich noch mehr in die Decken, ausserdem trug sie noch ihre Jacke und bequeme Hosen. Das war auch nötig, denn es gab ja keine Heizung hier. Blackfeet hatte mittlerweile aufgehört zu fressen und senkte nun seinen Kopf, um zu ruhen. Nathalie sah ihn nun nicht mehr, sie hörte ihn nur atmen und ab und zu ein Rascheln, vermutlich von Mäusen. Zum Glück hatte sie keine Angst vor Mäusen. Allerdings musste sie sich doch an die neue Situation gewöhnen, fand also demzufolge noch lange keine Ruhe. Viele Gedanken kreisten in ihrem Kopf. Sie dachte an das, was sie mit Jonathan erlebte, an dieses wunderbar warme Gefühl, das sie stets in seiner Gegenwart hatte. Was würden sie wohl noch zusammen erleben? Wie viele Entwicklungsschritte würde sie noch machen können, bis sie...wieder nach Hause zurück kehrte? Nach Hause... wo war denn eigentlich ihr Zuhause? In der Schweiz, in diesem alten Museum, dieser einsamen Wohnung? Oder doch hier in Amerika, wo noch der Geist ihrer indianischen Vorfahren lebendig war und sie sich so verbunden fühlte, mit allen Geschöpfen?

Auf einmal erkannte sie in der Stille dieser Nacht, die nur vom regelmässigen Atem ihres Pferdes durchbrochen wurde, dass sie in ihrem bisherigen Dasein viel einsamer gelebt hatte. Natürlich waren da ihre Freunde, ihre Familie. Doch das Bewusstsein, dass sie hier erlangt hatte, führte weiter, über Familie und Freunde hinaus. Es war das Bewusstsein, Teil einer Weltfamilie zu sein. Es war ein einzigartiges Erlebnis und sie glaubte Gott, Wakan Tanka, dem Grossen Geist, oder was für Namen es sonst noch für ihn gab, in diesem Bewusstsein viel näher gekommen zu sein. Noch erahnte sie nur, was für ein Gefühl dieses Einssein war, doch sie musste zuerst lernen, es auch wahrlich zu leben.

Sie wollte nicht nach Hause. So viel wartete hier noch auf sie, so viel gab es noch zu lernen, bis... sie wahrlich zur Animal Riderin werden konnte. Sie würde in die Schweiz zurückkehren müssen, schon wegen ihrem Job, wegen ihren Angehörigen usw.

Aber sie wusste, dass es nicht für immer sein würde. Sie war nun entschlossen den Weg der Animal Riderin zu gehen, was auch immer dieser noch für sie bereithalten mochte. Das konnte sie nur hier in South Dakota...Wieder dachte sie an Schwarzes Pferd und... irgendwie sagte ihr ein Gefühl, dass auch er eine wichtige Rolle in dieser Geschichte innehaben würde.

Langsam entspannten sich ihre Muskeln und Nathalie verspürte in sich auf einmal eine einzigartige Klarheit. Und dann...tauchte auf einmal erneut der Weisse Wolf auf!...

 

(Fortsetzung 14. Juni 2021)

 

8. Kapitel

 

„Hilf mir ihn hinunter zum Fluss zu tragen!“ rief Snakeman Laufender Hirsch zu. „Er ist ohnmächtig geworden!“ Etwas Enttäuschung schwang in seiner Stimme mit, waren sie doch erst bis zum Ende der zweiten Runde gekommen.

Laufender Hirsch kam, ganz seinem Namen getreu, herbeigeeilt und zusammen brachten sie den leblosen Körper von Marc hinunter zum Fluss, der eiskalt durch sein Bett floss. Sie legten Marc ins seichte Wasser und benetzten sein Gesicht immer wieder, bis die Lider des jungen Mannes zu zittern begannen und er die Augen langsam öffnete. Marc war es, als würde er aus einem ganz besonderen Traum erwachen, einem Traum, der ihm ein ganz anderes Bewusstsein vermittelt hatte. Er spürte unter sich die Steine des Bachbetts, die Festigkeit der Mutter Erde und das kalte, belebende Wasser, das seinen halbnackten Körper umspülte. Es war ein wahrlich wohltuendes Gefühl nach dieser Hitze in der Hütte, doch mit der Zeit war sein Körper genug abgekühlt und er begann langsam zu schlottern. Laufender Hirsch holte ihm ein Tuch und er wickelte es um sich. Dann schaute er die beiden Indianer mit leuchtenden Augen an. „Ich hatte eine Vision, also die hat mich glatt umgehauen! Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass das bei mir so schnell gehen würde. Ich kam ja nicht einmal zur dritten Runde. Ich werde das wohl irgendwann nachholen müssen.“

„Du hattest tatsächlich eine Vision?“ fragte Weise Schlange erfreut.

„Ja...anders lässt es sich wohl nicht beschreiben.“ Marc erzählte nun alles ausführlich und die Indianer hörten gebannt zu. „...Als ich schliesslich den Grossen Geist - Gott bat, mir meinen Weg zu weisen, kam dann diese riesige Libelle! Sie drang mit solcher Wucht in mich ein, dass ich total erschlagen war und wohl auch deswegen ohnmächtig wurde,“ endete Marc seinen Bericht. „Natürlich hat mir auch die Hitze zugesetzt. Ich bin ja schliesslich nicht daran gewöhnt. Doch ohne diese heftige Vision, hätte ich schon noch etwas länger durchgehalten,“ fügte er zu seiner Verteidigung hinzu. Snakeman lächelte und umarmte seinen Schüler spontan. „Ich freue mich sehr für dich mein Sohn. Ich weiss, du besitzt diese Fähigkeiten. Die Libelle ist, wie sie ja selbst sagte, die Zerstörerin von Illusion und Selbsttäuschung. Sie ist ein Bote des Windes, der Erleuchtung und fordert dazu auf, das Alte zu durchbrechen. Es ist wundervoll, dass dir ohne jegliche Übung bereits so ein wichtiges Totem in der Vision erschien. Die Libelle ist nun in dein Innerstes eingedrungen. Sie hat dadurch etwas in dir wachgerufen, das lange verschüttet lag. Durch sie wirst du lernen, dich selbst immer weniger zu täuschen und dich in klarerem Licht zu sehen.“      

„Irgendwie habe ich wirklich das Gefühl, etwas hat sich in meinem Inneren gewandelt,“ sprach Marc nachdenklich,“ während er wieder die Jeans und den schwarzen Wollpullover über seinen Körper zog. „Es ist... als hätte ich mich für etwas geöffnet, für etwas, das ich bisher nicht kannte. Ihr müsst wissen, eigentlich war ich nie ein sehr gläubiger Mensch. Ich wusste wohl irgendwie, dass es einen Gott gibt, aber er hat mich nicht berührt. Es ist seltsam..., bei diesem Schwitzhütten- Ritual, scheint er mich auf einmal das erste Mal richtig berührt zu haben. Ich erkannte, dass dieser Gott, ein ganz anderer Gott ist, als ich bisher dachte. Er lebt um uns, in uns. Er ist kein ferner Gott. Er ist mir die ganze Zeit näher gewesen, als ich dachte. Er lebt im wärmenden Feuer, das die Steine der Schwitzhütte erhitzte, im plätschernden Wasser dieses Flusses hier, in der Erde, die unter unseren Füssen liegt und der Wind ist sein Atem. Er ist überall gegenwärtig, nicht einfach ein alter bärtiger Mann, der über uns im Himmel thront. Er ist... mehr als das. Er ist überall, doch ganz besonders in unserem Herzen. Das... habe ich gefühlt...“ Auf einmal trieb es Marc Tränen in die Augen. Er wischte sie beschämt weg. Snakeman und Laufender Hirsch schienen sehr berührt von seinen Erzählungen und sein Mentor nickte dem jungen Mann lächelnd zu.

„Dennoch“... fuhr Marc fort. „Ist das noch etwas das mich trennt von diesem grossen, unbegreiflichen Geist, den wir Gott nennen. Ich merke, dass da noch immer eine grosse Last ist, die mich eigentlich schon das ganze Leben lang begleitet. Etwas Schweres, für das ich noch keine Erklärung finde. Ich muss... dieses Schwere ergründen. Ich muss mich davon befreien, das habe ich deutlich gespürt. Eine Erkenntnis habe ich gewonnen, doch... da ist noch viel mehr das ich lernen will, das ich lernen muss, um alles... zu verstehen. Ich habe eine Aufgabe, eine Aufgabe, die nur für mich allein bestimmt ist. Doch wie kann ich sie finden?“ Er wandte sich hilfesuchend an Snakeman.

Dieser senkte den Blick und starrte eine Weile lang auf das schäumende Wasser des Flusses, das den steinigen Uferrand überspülte. Dann wandte er sich plötzlich wieder um und sprach: „Du solltest werden wie Wasser, als Schlange- Geborener ist das Wasser eigentlich dein Element. Doch dein Wasser ist noch immer kristallisiert, wie Eis im Winter. Du bist wie dieser Fluss, doch du kannst nicht wirklich fliessen. Du solltest lernen zu fliessen, lernen dich zu befreien von diesen kristallinen Formen...“ Er hatte diese Worte in einem seltsamen Ton gesagt, als hätte irgendeine unsichtbare Macht es ihm eingegeben. Er legte Marc den Arm um die Schultern und führte ihn etwas abseits, um mit ihm allein zu sprechen. „Kannst du mir sagen, wie Eis sich auflösen lässt?“ stellte er dann Marc die etwas rätselhafte Frage. Dieser überlegte, dann erwiderte er: „Vielleicht durch Wärme, durch die Sonne?“

„Das ist richtig. Was also ist für dich die Sonne, was könnte deine kristallinen Formen schmelzen? Diese Frage solltest du dir stellen cinksi! Was… ist deine Sonne?“ Marc dachte nach, doch irgendwie war sein Kopf auf einmal wieder leer. Er wusste nicht was er dazu sagen sollte. Ja, was war eigentlich seine Sonne?...

Snakeman erhob sich nun und sprach: „Du solltest dich auf die Suche nach dieser Sonne machen Marc! Darum werde ich dich eine Weile allein in die Wildnis schicken!“ „Allein...in die Wildnis!“ rief der junge Mann aus. „Aber ich kenne mich doch hier überhaupt nicht aus. Da kann ja, wer weiss was, passieren!“

„Ich werde stets in deiner Nähe sein, aber diese Etappe des Weges, musst du allein gehen.“

„Aber ich dachte du bist mein Lehrmeister, der mir zur Seite steht?“ „Ich stehe dir auch zur Seite, aber manchmal vielleicht etwas anders, als du dir vorstellst. Ich bleibe in der Nähe, das verspreche ich, doch du wirst nichts von mir merken. Ich würde dich bei dieser Sache nur ablenken. Du musst lernen, mal ganz mit dir allein zu sein, das warst du dein ganzes Leben lang nie. Du hattest immer deine Freunde, die um dich waren, die Mädchen, die mit dir das Bett teilten. Du warst stets darauf aus in Aktion zu sein, mit dem Sport, deinen Bastelarbeiten...Viele Dinge wären wunderbar, wenn sie dich nur nicht stets vom Wesentlichen ablenken würden.

Du kannst deine Fähigkeiten nur dann wahrlich entfalten, wenn du dich mit dir allein beschäftigen musst und es keinerlei Ablenkungen gibt. Das hat man im Schwitzhütten Ritual gesehen. Erst als du dich ganz auf dein Innerstes besonnen hast, nichts mehr dich ablenkte, hattest du diese Vision. Gehe auf die Suche nach einer weiteren Vision, die dir noch mehr Antworten zuteilwerden lässt! Ich begleite dich noch ein Stück, bis zu einem Platz, der dir etwas Sicherheit von Wind und Wetter bietet. Es ist ein Ort, den ich auch schon aufgesucht habe, um meine Vision zu finden. Es ist eine Höhle, nicht fern von hier. Sie ist sehr abgelegen, du solltest dort nicht gestört werden. Ein kleiner Bach mit Quellwasser, befindet sich in der Nähe, der schliesslich in den grossen River White mündet. Dort kannst du dich waschen und hast etwas zu trinken. Ich gebe dir Proviant mit. Nicht sehr viel, nur gerade so viel, dass du nicht verhungern musst. Denn es ist wichtig, dass auch dein Körper nicht zu sehr von Nahrung belastet ist, wenn du auf Visionssuche gehst. Das schärft deine Wahrnehmungen.“

„Aber was ist, wenn mich ein wildes Tier angreift?“

„Vertraust du mir?“ stellte Weise Schlange die Gegenfrage.

„Also...ehrlich gesagt, ich weiss nicht so recht... Das alles ist... so verrückt.“

„Erforsche dein Herz! Vertraust du darauf, dass ich nur dein Bestes im Sinn habe? Du bist für mich wie ein Sohn, das sagte ich dir schon einmal.“

Er sagte das mit solcher Aufrichtigkeit in der Stimme, das Marc sich plötzlich schämte, so misstrauisch gewesen zu sein. Sein Herz kannte doch eigentlich die Antwort. Snakeman hatte nur sein Bestes im Sinn. Er kannte ihn schon so lange, ewig lange, das spürte er deutlich. „Vielleicht ist es gerade das was ich lernen muss,“ dachte er bei sich. „Einfach nur zu vertrauen, ohne mir stets so viele Gedanken zu machen. Vor was fürchte ich mich eigentlich? Ich weiss doch das Weise Schlange mich nie im Stich lassen würde. Im Laufe meines Lebens habe ich wirklich verlernt mich einfach fliessen zu lassen. Ich bin nicht umsonst hier und bestimmt ist es so, dass ich meine Suche eine Weile allein fortsetzen muss, ohne jegliche Ablenkungen durch andere Menschen etc.“

Marc atmete tief durch und meinte dann: „Okay, du hast sicher recht Ate (Vater). Ich muss diese Etappe allein gehen und... auf die Suche nach meiner Sonne gehen. Was aber, wenn ich doch in Not kommen sollte?“ „Dann ruf mich einfach cinksi,“ lächelte Frank. „Ruf mich einfach und ich bin da...“

 

*****************

Nathalies Geist war auf einmal hellwach und sie schaute dem Wolf nun direkt in die Augen. Ihr Geist befand sich plötzlich irgendwo draussen in der Wildnis und das Tier war nun deutlich zu sehen. Es war fast rein weiss, nur mit einigen wenigen grauen Härchen. Seine Augen schauten sie eindringlich an. „Schön dass du nochmals den Weg zu mir gefunden hast Nathalie.“

„Wer bist du und was willst du von mir?“ fragte sie erstaunt.

„Willst du mit mir eine Reise machen?“

„Was für eine Reise denn?“

„Das wirst du noch sehen. Willst du?“

„Ja, wenn du meinst,“ gab Nathalie zur Antwort und staunte über das bedingungslose Vertrauen, dass sie diesem Tier entgegenbrachte. Der Wolf tat einen plötzlichen Satz und verschmolz mit dem Mädchen.

Dieses wurde sich auf einmal gewahr, dass sie nun selbst der Wolf war und doch war ihr Totem- Tier ebenfalls gegenwärtig. Sie trabte durch den Wald. Es war das einzigartigste Gefühl, dass sie bisher erlebt hatte. Ihr Gang war leicht und federnd. Sie spürte unter ihren weichen Pfoten Ballen, jede feine Unebenheit des Waldbodens. Alles nahm sie viel deutlicher wahr, jedes Geräusch, jeden Geruch. Es war als würde sie die Bäume sprechen und das Gras wachsen hören. Eine wundervolle Kraft und Freiheit, durchströmte sie und sie zog die würzige Luft durch ihre feine Nase ein. Alles war viel klarer, viel bewusster, als es im Menschdasein jemals möglich war. Und... sie erhielt das erste Mal Einblick in die geheimnisvolle Welt eines Tieres. Das Ganze faszinierte sie ungemein. Würde sie einst wirklich dazu fähig sein, diesen Zustand auch im wahren Leben zu erlangen? Würde sie sich einst wirklich in ein Tier verwandeln können? Das alles erschien ihr noch immer so unglaublich, so fern der Welt, die sie kannte.

„Du bist fähig, das was ich dir zeige, auch in deinem irdischen Dasein zu erleben,“ sprach nun die Stimme des Wolfes dicht an ihrem Ohr. „Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde die unglaublich sind, unfassbar für die Menschen. Wir Tiere sehen mehr als ihr. Wir wissen um viele Geheimnisse, die euch verborgen sind. Geniesse diesen Zustand, in dem du dich jetzt befindest, er erlaubt dir Einblick in diese, unsere Welt zu erhalten. Eine Welt die jenseits eurer Wahrnehmungen liegt und doch Wirklichkeit ist.“

„Ist das denn wirklich die Wirklichkeit?“ fragte Nathalie „Oder spielt sich das nur in meinen Vorstellungen ab?“ „Es ist die Wirklichkeit, alles ist verbunden und alles kann zu einer Einheit verschmelzen.Wenn wir diese Einheit erlangen, dann können alle Grenzen fallen. Nur wenn in dir diese Grenzen wahrlich fallen, wirst du zur Animal Riderin. Nun komm, ich will dir noch etwas zeigen!“

 

Nathalie schlüpfte nun wieder aus dem Wolf heraus und dieser führte sie zu einer dunklen Höhle. „Bist du bereit, diese Höhle mit mir zu betreten?“ fragte er.

Nathalie schaute auf die dunkle Öffnung, die reine Schwärze zu sein schien und... auf einmal fühlt sie schreckliche Angst in sich aufsteigen. Etwas erwartete sie dort drinnen, etwas das ihr zwar vieles eröffnen würde, das aber auch sehr schmerzhaft und düster war. Sie wollte einen Schritt darauf zu machen, doch ihre Beine wollten ihr nicht richtig gehorchen. „Was... ist da drinn?“ fragte sie furchtsam.

„Deine Vergangenheit, eine sehr ferne Vergangenheit,“ erklärt der Wolf.

„Aber… was soll ich dort?“

„Etwas über deinen Ursprung herausfinden.“

„Was aber nützt mir das? Ich sollte doch im Jetzt leben.“

„Manchmal muss man seine Vergangenheit erkennen, um wahrlich im Jetzt leben zu können.“

„Was ist diese Vergangenheit, von der du sprichst?“

„Geh mit mir in die Höhle und du wirst es verstehen.“

„Aber… ich habe schreckliche Angst,“ sprach Nathalie nun und weinte beinahe.

„Ich bin bei dir, es wird dir nichts geschehen.“

„Wer bist du denn genau?“

„Man könnte sagen ich bin dein geistiger Führer, dein Haupttotem.“

„Was ist damit gemeint?“

„Jeder Mensch hat ein Haupt- Totem, das ihn durch sein ganzes Leben begleitet. Dieses Totem ist der innerste Ausdruck seiner selbst. Es gibt viele Totems, die dich auf deinem Wege begleiten können, doch sie können nach einer gewissen Zeit wieder verschwinden, sich verwandeln, oder dir einfach nur bei einer besonderen Aufgabe beistehen, die es zu bewältigen gilt. Doch das Haupttotem bleibt immer. Ich begleite dich schon so lange Nathalie, schon so lange. Nun ist es meine Aufgabe dich in die Vergangenheit zu führen. Willst du mir folgen?“

Nathalie war tief berührt von dem was sie hier vernahm und schaute den Wolf an. Seine Augen blickten gütig und sanft.

„Also gut!“ sprach sie auf einmal fest entschlossen. „Ich stelle mich der Vergangenheit, was sie auch immer für mich bereithält.“

„Dann lass uns gehen!“ sprach der Wolf erfreut und betrat die Höhle.

Nathalie folgte ihm.

Sie durchquerten einen dunklen Gang mit allerlei Getier, Spinnweben und sonstigen unangenehmen Dingen. Doch das helle Fell des weissen Wolfes, wies Nathalie stets den Weg.

 

Schliesslich sah sie in der Ferne ein Licht auftauchen und... kurz darauf standen sie in einer seltsamen Welt. Sie befanden sich auf einem Felsvorsprung, von dem aus sie einen guten Rundblick hatten. Alles schien fast nur aus Wasser zu bestehen. Weit in der Ferne erblickte sie eine einsame, grüne Insel inmitten des Ozeans. Wie auf Adlerschwingen gelangten sie dorthin und Nathalie blickte sich um. Einige Zelte aus Decken und Tierhäuten befanden sich hier. Man hatte ein Art Dorf erbaut.

Mit Erstaunen beobachtete Nathalie wie Tiere und Menschen hier gleichermassen ein und aus gingen. Am Ufer hatten eine Menge mächtiger Schiffe angelegt. Besonders eines davon, erinnerte sie irgendwie an die Arche Noah, aus der biblischen Geschichte.

Ein besonders eindrückliches Zelt befand sich in der Mitte des seltsamen Dorfes.

„Wollen wir mal dort hinein? Fragte der Wolf. „Der Grosse Rat ist eben zusammengekommen. Eine Art Gerichtsverhandlung findet statt.“

„Eine Gerichtsverhandlung?“ fragte Nathalie.

„Ja, du solltest sie sehen.“

„Wenn du meinst.“

Sie und der Wolf, betraten das Innere des provisorischen Zeltes und in diesem Augenblich fiel ihr Blick auf ein junges Mädchen, das gerade das Wort ergriffen hatte. Es war ein sehr schönes Mädchen, mit Augen wie Regenbogenobsidian, langem, glänzendem Haar und bekleidet mit einem weissen Hirschledergewand. Über ihren Schultern hing ein Bogen und ein Köcher mit Pfeilen. Der Bogen war mit Sehnen verstärkt und geschmückt mit weichem Fell. Die Pfeile bestanden aus Holz und ihre Schäfte waren aus weissen Federn.

Das Mädchen schien aufgeregt zu sein. In der Mitte des Zeltes kauerte ein Jüngling, ebenfalls sehr hübsch, der optisch sehr zu dem Mädchen passte. Doch es ging ihm nicht gut. Der ganze Glanz war aus seinen Augen gewichen...

 

Heute wurde über Kais weiteres Schicksal entschieden. Er musste vor den Rat treten.   Es gab wie üblich eine Verhandlung, wobei Ankläger und Verteidigung, sich gegenüber standen. Ich habe noch nie so etwas Schreckliches erlebt! Da war so viel Hass, soviel Unstimmigkeit, zwischen Tieren und Menschen. Die Ankläger forderten für Kai erneut die Todesstrafe. Der Rat der Weisen tat alles, um zu vermitteln, doch es gelang ihm nicht. Es wurde wild durcheinandergerufen. Die Ankläger, alles Tiere, sagten, dass sie sich vom Verbund der Klans lossagen würden, wenn Kangis Mordtat nicht auf gerechte Weise gesühnt werde.

„Ein Leben, für ein Leben!“ schrie die Schlange, die wir Braunhaut nennen und die der Sohn von Schwarzer Zahn ist, der sein Leben verlor. Der Anführer der Berglöwen beschuldigte Kai zusätzlich, der Aufwiegelung der Menschen, gegen die Tiere. Der Dachs stimmte ihm zu, ebenso auch der Luchs. Sie alle beschimpften Kai und meinten, dass sie das Vertrauen in die Sternkinder endgültig verloren hätten.

Die Sternkinder ihrerseits, beschimpften die Tiere und sagten, dass sie den Respekt vor ihnen verloren hätten und sie in Zukunft allein leben würden.

„Wir werden keine Rücksicht mehr nehmen, wenn ihr Kai das Leben nehmt!“ schrien sie. „Wir werden euch alle jagen und uns mit euren Fellen schmücken! Wir haben gute Waffen, ihr könnt uns nicht aufhalten!“ 

 

Mein Geliebter kauerte währenddessen voller Verzweiflung inmitten des Kreises von Feinden und Freunden. Er brachte kein Wort heraus. Die langen Tage der Gefangenschaft, hatten in ihm etwas gebrochen. Das Feuer in seinen Augen war erloschen, er war nur noch ein Schatten seiner selbst. Ich empfand schrecklichen Schmerz und Wut, über diese ganze Situation und schliesslich konnte ich es nicht mehr mitansehen. Ich trat neben Kai und erhob meine Stimme. „Wie könnt ihr alle nur so voller Verachtung sein!“ schrie ich. „Habt ihr denn alles vergessen, was uns einst verband? Habt ihr vergessen, was wir voneinander lernten, wie wir in Frieden und Eintracht zusammenlebten! Ihr Tierbrüder und Schwestern! Ihr wart unsere Vorbilder, unsere Lehrer und unsere Freunde. Ihr habt uns alles beigebracht, um zu überleben, dank euch konnte diese Erde für uns zu einer Heimat werden. Ihr seid so voller Zorn, dabei müsste das alles doch gar nicht sein. Das mit Schwarzer Zahn war ein unglücklicher Zufall. Er hat ein Menschenkind getötet, er war es der uns den Krieg erklärte...!

„Die Sternkinder haben uns schon längst den Krieg erklärt!“ kreischten die Tiere. „Sie haben unnötig viel von uns getötet und mit unseren Fellen vor den andern Zweibeinern geprahlt.“

„Ich weiss das!“ rief ich doppelt so laut, um die wütenden Stimmen zu übertönen. „Doch deshalb könnt ihr doch nicht alle Sternkinder bestrafen!“

Ich wandte mich nun an meine Menschengeschwister: „Ihr seid genauso schuldig an diesem Streit hier, alle tragen ihre Schuld daran. Ihr stösst unüberlegte Drohungen aus! Drohungen die noch mehr Unfrieden stiften! Wo ist euer Respekt für die Tiere geblieben? Sie haben uns so viel geholfen, sich uns sogar als Nahrung angeboten, damit wir nicht verhungern müssen! Sie sind die Alten, von denen wir lernen dürfen. Schwarzer Zahn war ein Feind des Friedens, genauso wie jene Menschen Feinde des Friedens sind, die sich nicht an die Ur- Gesetze halten. Wir sind eine grosse Familie, wir alle!“

„Diese Tiere sind nicht unsere Familie! Nicht mehr!“ schrien die Sternkinder. „Ihre Zeit ist abgelaufen. Nun sind wir dran. Wir sind stärker und klüger. Wir haben viel gelernt und darum, brauchen wir sie nicht mehr!“

„Ihr Elenden!“ brüllte der Herr der Pumas und seine Stimme, liess alle erzittern. Er setzte zum Sprung an. Doch da erhob sich der Rat und stellte sich zwischen die streitenden Menschen und Tiere. Vater Grauwolf sträubte sein Nackenfell und knurrte bedrohlich, Grosser Adler öffnete seine weissen Schwingen und fixierte den Berglöwen mit seinen scharfen Augen, Bruder Bison gesellte sich zu ihnen und senkte seine Hörner, genauso wie der Hirsch es tat. Die Schlange, Goldenes Auge zischte gefährlich. Alter Kojote fletschte wie Vater Wolf die Zähne. Zu ihnen gesellten sich flügelschlagend der Rabe, die Krähe und die weise Eule. Selbst die Schildkröte half mit, die Streitenden auseinander zu halten. An ihrer Seite das freundliche Reh. Ich stellte mich ebenfalls in die Reihe des Grossen Rates, ebenso wie einige anderen der Allessehenden.

Vater Grauwolf ergriff das Wort: „Wir werde nicht zulassen, dass ihr euch gegenseitig in Stücke reisst. Solange wir da sind, werden wir jeglichen Anfeindungen entgegentreten. Wir haben einst eine Aufgabe übernommen, eine überaus wichtige Aufgabe! Das gilt für alle Tiere, doch ebenso auch für die Menschenkinder. Es ist unser Ziel in Frieden zusammenzuleben, in einer Gesellschaft wo jeder seinen Platz hat. Keiner hier ist weniger wert als der andere.“

Sein Blick fixierte nun vor allem die Menschen, welche die letzten unüberlegten Äusserungen gemacht hatten. „Die Sternkinder dürfen sich nicht anmassen sich über die Tiere zu erheben und die Tiere sollen sich ihrer wichtigen Aufgabe als Alte wieder wahrlich bewusstwerden! Sunkmanitutanka hat weise gesprochen. Wir sind alle eine grosse Familie. Wir sind EIN Körper, der alle seine Teile braucht. Es braucht die Menschen und die Tiere gleichermassen. Wenn sich der eine gegen den anderen stellt, werden beide irgendwann scheitern. Dieser Streit um Kai, ist doch eigentlich nur ein Vorwand gewesen, um schon längst bestehende Feindschaften, zu schüren. Es geht hier eigentlich gar nicht wirklich um Kai, oder... Schwarzer Zahn, es geht um tiefsitzendere Differenzen, die beigelegt werden müssen...“

Protest wollte sich erheben, doch der Rat gab unmissverständlich zu verstehen, dass es jetzt genug war.

Bruder Bison trat vor und blickte einen Moment lang bedächtig in die Runde. Er war eine stattliche Erscheinung, mit seinem schwarzbraunen, zottigen Fell, dem massige Körper und dem kräftigen Nacken. „Es ist Zeit, dass wir alle wieder dankbarer werden,“ sprach er. „Wir haben so Vieles von Wakan- Tanka erhalten. Nach langer Irrfahrt hat er uns diesen Flecken Land hier gegeben. Er hat dafür gesorgt, dass wir überleben. Abgesehen von den Toten, die wir selbst zu verantworten haben, sind alle heil hier angekommen und das Land vergrössert sich täglich. Bald werden wieder Bäume wachsen, grünes Gras wird die Erde überziehen und ein neues Zeitalter beginnt für uns. Wir haben ein zweites Leben erhalten und können ganz von vorne beginnen. Es ist eine gute Gelegenheit einander wieder näher zu kommen. Wir brauchen uns gegenseitig, um alles wieder aufzubauen. Wendet euch wieder mehr dem Grossen Geist zu, betet zu ihm und versucht in euch den Frieden zu finden, dann findet ihr ihn auch mit den andern Mitgeschöpfen. Nehmt euch ein Beispiel an Schwester Reh! Hat nicht ihr Vorfahre einst durch seine Liebe und Freundlichkeit den Dämon des Hasses und des Zorns besiegt?“

Das Reh trat nun etwas scheu vor und sprach: „Mein Vorfahre wusste um das grosse Gut der Liebe und des Mitgefühls. Wir müssen uns wieder auf diese Werte besinnen, nur so können wir wieder zueinander finden. Alle sind dazu aufgerufen das zu tun. Bitte bemüht euch darum!“

 

Einen Moment lang glaubte ich die Worte würden wahrlich zu den Herzen der verfeindeten Parteien vordringen, denn sie waren ganz still geworden. Doch schliesslich erhob die Schlange Braunhaut erneut das Wort: „Das alles mag ja schön und gut sein Schwester Reh, doch wenn wir in Frieden leben wollen, müssen auch jene zur Rechenschaft gezogen werden, die gegen das Gesetz verstossen haben.“ Ihr heimtückischer Blick fixierte Kai. „Er ist und bleibt ein Mörder, der meinen Vater umgebracht hat. Was auch immer mein Vater getan hat, Kangi hatte nicht das Recht ihm das Leben zu nehmen. Wo kämen wir hin, wenn jeder einfach den andern umbringen würde, aus welchen Gründen auch immer.“

„Aber Kai hat in Notwehr gehandelt!“ rief ich aus. „Natürlich war es nicht richtig, aber er hat nicht den Tod verdient deswegen!“

„Da wäre ich nicht so sicher,“ zischte die Schlange und ihre Mitstreiter stimmten ihr zu. Wieder drohte der Streit zu eskalieren. Doch der Rat war auf der Hut.

Die Eule, auch genannt der weise Nachtadler, ergriff nun zum ersten Mal das Wort: „Ich glaube nicht, dass der Tod Kais der richtige Weg wäre. Dann müssten wir immer wieder jemanden zum Tode verurteilen, unter anderem...auch dich Bruder Puma, denn du und deine Klans Mitglieder haben ebenfalls getötet. Sollen wir euch nun ebenfalls alle dem Tode überantworten?“

Die Berglöwen wollten entrüstet protestieren. Doch die Eule sprach ungerührt und mit klarer Stimme weiter. „Natürlich würdet ihr nun gerne allerlei Gründe anführen, die euch ja schliesslich zu dieser Tat getrieben haben. Doch würden wir eurem Verständnis von Gesetz nachkommen, dann müssten wir euch, trotz der besten Gründe, hinrichten lassen. Wenn wir aber erst einmal mit dem Töten beginnen, müssen wir immer wieder töten. Das ist nicht unsere Aufgabe und nicht unser Ziel, unser Ziel ist es, den Frieden zu bewahren und Leben zu fördern, nicht es zu zerstören. Das ist auch im Sinne des grossen Manitus. Ihr solltet euch mal an das erinnern, was uns einst von unseren Vorfahren überliefert wurde. Bruder Krähe wird euch bestimmt gerne die alten Schriften zeigen, über die er Wächter ist. Darin stehen Gesetze die nach wie vor Gültigkeit haben und immer haben werden z.B.:

-Lasst euch bei eurem Handeln nicht von Eigennutz leiten.

-Erkennt immer das Wohl des ganzen Volkes.

-Habt nicht nur die gegenwärtige, sondern auch die zukünftigen Generationen im Blick, die Geborenen und die noch Ungeborenen!

 

Das sind Grundpfeiler unserer Gesellschaft, sie waren es schon immer. Vergesst das nicht! Tod zieht nur noch mehr Tod nach sich, Hass zieht nur noch mehr Hass nach sich und Krieg, zieht nur noch mehr Krieg nach sich. Denkt doch an eure Nachkommen, an die Nachkommen der Tiere und der Menschen! Wenn wir jetzt keinen Weg zusammen finden, wird das tiefgreifende Konsequenzen für sie haben. Wollt ihr ihnen das wirklich antun, nur wegen dieser dummen Geschichte?“

Die Worte der Eule schienen nun endlich Wirkung zu zeigen, denn die meisten der Anwesenden, wurden auf einmal sehr kleinlaut. Irgendwie wollte niemand mehr so richtig protestieren. Die Augen von Braunhaut, funkelten als einzige immer noch von ungebrochenem Hass erfüllt. Die Schlange wandte sich zischend ab und verliess das Zelt. Alle schauten ihr nach, doch keiner machte Anstalten ihr zu folgen.

„Nun gut...“ ergriff der Herr der Pumas das Wort. „Wir werden Kais Tod nicht weiter fordern. Doch wir erwarten, dass er, sobald das Land gross genug geworden ist, verbannt wird. Wir haben ebenfalls getötet und werden deshalb von uns aus, genauso weggehen. Mein Klan und ich treten aus der Klan Gemeinschaft aus. Wir werden in Zukunft unsere eigenen Wege gehen, als... Einzelgänger. Wir werden die Sternkinder von uns aus nicht mehr angreifen, doch wenn sie uns bedrohen, dann werden wir uns wehren.“

„Dasselbe gilt für uns,“ sprach Spitzohr- Anführer des Luchsklans. „Wir gehen in Zukunft ebenfalls unsere eigenen Wege. Wir sind den Sternkinder nicht von Grund auf feindlich gesinnt, doch wir trauen ihnen nicht mehr und werden auch nicht mehr ihre Lehrmeister sein.“

Der Dachs sprach: „Wir werden versuchen hier zu bleiben, doch sollten die Anfeindungen von Seiten der Menschen zu gross werden, werden wir ebenfalls von hier weggehen und nie mehr wiederkehren.“

„Was ist mit dem Klan der Schlangen?“ fragte die weise Schlange Goldenes Auge. „Wird er hierbleiben, oder auch gehen?“

Die zwei übriggebliebenen Schlangenbrüder, die mit Braunhaut gekommen waren erwiderten: „Das ist für uns schwierig zu entscheiden. Einige sind der Meinung von Braunhaut, andere wiederum, fühlen sich noch immer mit dem Rat verbunden, da du Goldenes Auge ja zu ihm gehörst. Letztere werden wohl hierbleiben und versuchen in Frieden mit den Sternkindern zu leben, andere aber werden gehen.“

„Werdet ihr gehen?“

„Wir werden vorläufig bleiben und unser Bestes versuchen.“

Ein Funken der Freude blitzte in den Augen der Grossen Schlange auf. „Das ist gut,“ sprach sie. „So geht nun, wir müssen uns beraten!“

Alle ausser dem grossen Rat, mussten nun den Raum verlassen, auch ich. Ungeduldig wartete ich das Urteil ab, auch wenn ich bereits ahnte, wie es vermutlich ausfallen würde.

Einige Zeit später kam Kai mit gesenktem Haupt aus dem Zelt heraus. Ich lief sofort zu ihm.

„Ich...muss von hier fortgehen, sobald das Land gross genug ist,“ sprach er mit leiser Stimme.“

Tief erschüttert schloss ich ihn in die Arme. „Ich habe so etwas geahnt. Vielleicht ist es ja auch besser so. Auf jeden Fall komme ich mit dir! Ich werde dich nie wieder verlassen.“ Kangi seufzte tief und als er seinen Kopf gegen den meinen lehnte, spürte ich seine warmen Tränen auf der Haut.

So sind wir nun also führerlos und heimatlos geworden. Wir müssen unseren eigenen Weg finden, ohne den Beistand des Rates, ohne den Beistand unserer Freunde den Tieren. Ach Mato! Würdest du doch noch leben! Vielleicht könntest du uns helfen. Warum nur bist du so früh von uns gegangen? Warum hast du mir so eine Last aufgebürdet? Was soll ich denn noch weiter in dieses Buch schreiben? Es gibt bald nichts mehr, worüber ich noch schreiben kann. Mein Herz fühlt sich an wie ein tiefes, schwarzes Loch. Ich bin ohne Hoffnung, ohne Perspektive. Genauso wie mein Geliebter Kai, der durch unglückliche Umstände in diese Lage geriet. Wir sind wie entwurzelte Bäume, die keine Heimat mehr haben. Denn unsere Heimat wurde uns entrissen!...

 

Nathalie beobachtete tief erschüttert was an der Verhandlung passierte. Sie beobachtete dieses Mädchen, mit dem sie sich so verbunden fühlte. Ihr altes Ich, wie es kämpfte um Kais Leben. Sie lauschte seiner feurigen Rede, die so viel an Kraft enthielten! Irgendwie war sie stolz auf diese Stärke, eine Stärke, die sie heute wohl nicht mehr gehabt hätte. Oder vielleicht doch?

„Du warst eine starke Persönlichkeit Nathalie,“ sprach der weisse Wolf zu ihr. „Du hast noch immer diese Kraft in dir, du musst sie nur wiederfinden! Damals an dieser Verhandlung, hatte sich dein Leben ganz grundlegend verändert. Du wurdest zusammen mit deinem Geliebten zur Verstossenen, obwohl du dich stets so verbunden fühltest mit allen Geschöpfen um dich. Es spielte für dich als Allessehende keine Rolle, ob jemand Mensch oder Tier war. Du liebtest alle gleichermassen. Doch nicht alle dachten so wie du und so nahmen sie dir und Kai etwas sehr Fundamentales weg. Du warst damals lange orientierungslos und voller Kummer. Du wusstest anfangs nicht, wie du dein Leben auf die Reihe kriegen solltest. Irgendwie haben es dein Geliebter und du dann einigermassen geschafft. Aber etwas blieb, ein tiefer, innerer Schmerz, ein Gefühl grösster Verlassenheit und Schuld. Das wirkt noch heute in dir nach und... in Kai...“

„Ist...Kai...auch wiedergeboren wie ich?“

„Ja, er ist dir sogar schon begegnet.“

Nathalie horchte auf und dann begann sie fieberhaft nachzudenken. Wer war es, von dem der Wolf sprach? Sie hatte da so ein Gefühl, doch nur ganz unterschwellig, kaum wahrnehmbar. Schliesslich sagte ihr ihr Verstand, dass es keinen Sinn hatte, darüber nachzudenken. Diese Antwort lag noch im Verborgenen und vielleicht war es auch besser so. Dennoch fragte sie ihr Totemtier: „Weiss du denn, wer es ist?“

Der Wolf schien zu lächeln als er erwiderte: „Ja ich weiss es wohl.“

„Kannst du es mir nicht sagen?“

„Nein, das musst du selbst herausfinden.“

„Das war ja klar,“ gab Nathalie etwas enttäuscht zurück.

„Dann sollen wir wieder gehen?“ fragte das Totemtier.

„Ja, ich glaube ich habe verstanden, was du mir zeigen wolltest. Vieles steht jetzt viel klarer vor mir. Ich danke dir.“ Nichts zu danken Sunkmanitutanka... Nichts zu danken...“

Animalrider Fortsetzung (20.4.22)

9. Kapitel

Das Schwitzhütten- Ritual wurde nicht mehr weiter geführt, Snakeman hielt es nicht mehr für nötig. So brachen sie die Hütte wieder ab und beschlossen über Nacht erstmal hier zu campieren. Es wurde eine kalte Nacht. Marc konnte lange nicht einschlafen und lauschte auf all die fremden Geräusche rundum. Er war angezogen in den dicken Schlafsack geschlüpft und wickelte die Decken, die ihm zur Verfügung standen eng um sich, um nicht zu stark zu frieren. Sein Lehrmeister Frank lag dicht neben ihm, damit sie beide jeweils etwas von der Körperwärme des andern profitieren konnten. Mit der Zeit wurde es etwas wärmer in dem kleinen Zelt, doch es war immer noch kalt. Marc starrte mit weit offenen Augen in die Finsternis über sich. Es gab nirgends eine Lichtquelle und er war froh nicht allein zu sein. Laufender Hirsch war wieder fortgegangen und... bald würde ihn auch noch Weise Schlange verlassen. Er dachte schon jetzt mit ziemlichem Unbehagen daran. Dennoch fürchtete er sich nicht mehr so wie anfangs. Irgendwie hatte er eine andere Einstellung zu dem Ganzen gewonnen. Seit dieser...Vision. Noch immer erschauderte er vor Ehrfurcht wenn er daran zurückdachte. Was genau hatte die Libelle gemeint? Welche Illusionen würde sie bei ihm zerstören? Musste er sich wohl davor fürchten, oder... würde es ihn endlich von einer Last befreien, die ihn schon das ganze Leben begleitete? Auf einmal wurde ihm mit selsamer Intensität bewusst, dass er eigentlich stets auf der Suche nach seinem innern Frieden gewesen war und dennoch... trotz allem was er stets getan hatte, trotz all seiner Freunde, Geliebten und Handwerksarbeiten, hatte er ihn nie gefunden. Plötzlich begann sein Herz heftiger zu schlagen. Es war ein Gefühl, als ob er diesem innern Frieden nun wahrlich auf der Spur kommen würde. Er war ihm näher als jemals zuvor und... auf einmal hatte er das erste Mal die Hoffnung ihn auch wahrlich zu finden...

Am nächsten Tag war die Welt um sie überzogen mit Frost, er bedeckte den Boden und die Bäume wie ein weisser Film. Einzelne Nebelschwaden lagen wie geisterhafte Gestalten über dem Fluss. Der Atem der beiden Männer stand wie Wolken vor deren Mund, während sie das Zelt abbrachen. Marc stellte erfreut fest, dass er sich schon etwas an die Kälte hier gewöhnt hatte. Irgendwie war in ihm ein Enthusiansmus, über den er sich wunderte. Er begann dieses wilde Land immer mehr zu lieben. Man war hier vollkommen entfernt von jeglicher Hektik und Stress. Die ruhige und doch starker Gegenwart seines sehnigen Lehrmeisters, der noch immer erstaunlich fit für sein Alter war, tat ihm ausserdem sehr gut. Irgendwie fühlte er sich mit ihm nun viel tiefer verbunden. Anfangs hatte er ihn noch für verrückt gehalten, doch nun begann er dessen Wesen immer mehr zu ergründen und zu verstehen. Es tat ihm ehrlich leid, dass Frank ihn bald verlassen wollte, Furcht empfand er deswegen aber immer weniger. Es würde schon gutgehen. Ausserdem hatte Weise Schlange ihm versichert in der Nähe zu bleiben.

Schliesslich gingen sie wieder los. Sie verliessen den Fluss und erklommen einen Hügel. Marc blickte sich um. Das Licht der Morgensonne tauchte die bizarre Landschaft der Badlands in einen zarten rosaroten Schein und spiegelte sich auf der, von Reif überzogenen Umgebung wieder. Es war noch immer kalt, doch je mehr die Sonne emporstieg, umso wärmer wurde es und das Licht wurde immer greller. „Wir können froh sein, dass es nicht geschneit hat,“ sprach Frank. „Sonst könnten wir nicht hier sein, es wäre zu gefährlich.“ „Ist die Höhle weit weg von hier?“ fragte Marc. „Der Angesprochene grinste etwas spöttisch, dann erwiderte er: „Es kommt drauf an, was man als weit bezeichnet. Ich finde sie liegt nicht weit weg, doch es ist kein einfacher Aufstieg.“

Tatsächlich kam Marc an jenem Morgen noch ziemlich ins Schwitzen und der Weg kam ihm sehr lange vor, weil es so steil war.

Um die Mittagszeit herum, erreichten sie dann endlich ihr Ziel. Die Höhle lag ziemlich versteckt, ein schmaler Eingang zwischen zwei weisslichen Felsblöcken, die breite Schatten warfen. Snakeman, der ein Gewehr bei sich trug, gab Marc mit einem Handzeichen zu verstehen, dass er einen Moment draussen warten solle.

Nach einer Weile kehrte er wieder zurück. „Die Höhle ist zur Zeit von keinem Tier bewohnt. Du kannst also ohne Angst hierbleiben. Es wäre jedoch ratsam stets ein Feuer am Brennen zu haben.“

Er führte Marc nun in die doch recht kleine Höhle hinein, in der man gerade knapp aufrecht stehen konnte. Sie war in sich abgeschlossen, besass also keine weiteren Kammern, was dem jungen Mann eine gewisse Geborgenheit vermittelte. Es gab nur oben an der Decke eine kleine Öffnung, durch die etwas Tageslicht herein fiel. Es malte einen hellen Kegel auf den gräulich- weissen Boden der Höhle und erhellte den sonst dunklen Raum auf angenehme Weise. Dennoch gab es noch viele dunkle Flecken und Winkel die nicht vom Licht erreicht wurden. Es war wie in Marcs Leben, da gab es noch vieles, dass noch verborgen, das noch im Dunkeln lag. Diese Winkel galt es zu erforschen, wie diese Höhle.

Es herrschte eine recht angenehme Temperatur hier drin, man war geschützt von Wind und Wetter. Bestimmt würde er in dieser Nacht weniger frieren. „Ich lasse dir einige Decken und den Schlafsack hier,“ sprach Frank. „Ich zeige dir jetzt noch die Umgebung. Komm!“

Sie verliessen die Höhle wieder. „Wir Lakota bleiben jeweils vier Tage und vier Nächte allein in der Wildnis, ohne zu essen und zu trinken. Doch da du kein Lakota bist, werden wir für den Anfang mit drei Tagen und zwei Nächten beginnen, in denen du aber ebenfalls nur wenig trinken, doch vor allem kaum etwas essen solltest. Es wird dir womöglich sehr lange vorkommen, doch es lohnt sich. Du wirst viele Antworten finden, lernen mit der Natur im Einklang zu leben und zum Grossen Geist zu sprechen. Es gibt einen kleinen Bach hier hinten!“ Er führte Marc um die Höhle herum und sie kamen zu einem Gebirgsbach, der ziemlich steil über die kahlen Felsen hinab floss. Etwas unterhalb des Plateaus auf dem sie sich befanden, hatte sich ein kleiner Zwischenbecken gebildet. „Dort kannst du dich gut waschen,“ sprach Weise Schlange. „Das Wasser ist ausserdem klar und sauber, man kann es ohne weiteres trinken. Es wird dir hier an nichts fehlen. Hier noch dein Proviant!“ Marc nahm den Beutel, den er ihm hinhielt mit gemischten Gefühlen entgegen. Die Unsicherheit kehrte wieder zurück, jetzt da ihn sein Mentor endgültig verlassen wollte. „Wirst du wirklich immer in der Nähe sein?“ „Ja, aber Ziel ist es, dass du alleine klarkommst. Ruf mich also nur, wenn du wirklich in Not bist und ich bin zur Stelle!“ Er legte seinem Schüler noch einmal warm die Hand auf die Schulter. Toksa mein Junge, wir sehen uns in drei Tagen, sofern nichts dazwischen kommt.“ Dann drehte er sich um und entschwand Marcs Blick. 

Dieser blieb einen Augenblick lang ratlos stehen. Er wusste nicht was er genau tun sollte. Schliesslich entschloss er sich, alles für die kommende Nacht herzurichten. Er suchte Feuerholz, das er unter der Öffnung in der Höhle aufschichtete und schnitt sich drei Stäbe, zwei längere und einen etwas kürzeren zurecht. Diese Stäbe sollten als Stützpfähle für ein kleines dreieckiges, auf einer Seite abfallendes Dach dienen, das er aus einer der Decken bildete. Als er dieses im hintern Teil der Höhle aufgestellt hatte, richtete er sich in dessen Schutz ein Nachtlager ein. Es bot einfach etwas mehr Geborgenheit, als wenn er einfach so in der Höhle geschlafen hätte. Ausserdem würde durch die Öffnung in der Decke doch stets ein ziemlich kühler Wind blasen, das provisorische Dach schütze ihn dagegen.

Als alles fertig war, setzte er sich hinaus vor die Höhle und blickte über das, an eine Mondlandschaft erinnernde Umland. Die Badlands waren faszinierend. Sie fielen eigentlich von der Landschaft der Great Plains ab, anstatt daraus empor zu steigen. Es war Marc als hätte er ein anderes Reich betreten, ein Reich das auf der einen Seite an ein Totenreich erinnerte, auf der andren Seite aber doch eine unbeschreibliche Lebendigkeit und besondere Heiligkeit besass. Immer mehr begriff er, warum den Indianern dieses Reich heilig war, es schien als verbinde es zwei Welten miteinander, die Sichtbar und Unsichtbare.

Was sollte er hier nun also tun? Snakeman hatte gesagt er sei hier um mit dem Grossen Geist sprechen. Doch was sollte er diesem sagen? Was für Antworten galt es zu finden? „Suche deine Sonne!“ hatte Frank gesagt. Doch wie sollte Marc das bloss anpacken? Er begann zu grübeln und zu grübeln und kam doch nicht zu einem richtigen Ergebnis.

So entschloss er sich einfach etwas die Natur zu beobachten.

Weit über ihm kreiste ein Weisskopfadler, an einem der gegenüberliegenden Hügel, erblickte er sogar eine Herde Dickhornschafe. Eine Schlange schlängelte sich zwischen den nahen Felsen hindurch, auf der Suche nach etwas Sonne. Marc wusste nicht was für eine Schlange es war. Ihre Schuppen glänzten in den unterschiedlichsten Braun-tönen. Sie war sehr schön gezeichnet. Der junge Mann beobachtete sie mit einer Mischung aus Ekel und Bewunderung. Er war diesen Tieren immer sehr zwiespältig gegenüber gestanden. Er mochte sie nicht besonders, aber trotzdem faszinierten sie ihn irgendwie.

Vor seinem Innern Augen tauchte auf einmal eine Szene auf, eine Szene worin eine braune Schlange eine wichtige Rolle gespielt hatte. Sie kam tief aus seinem Unterbewusstsein, wo die Erinnerungen längst vergangener Zeiten schlummerten. Doch er dachte nicht weiter darüber nach, denn seine Aufmerksamkeit wurde plötzlich von etwas anderem in Anspruch genommen. Ein fuchsähnliches Tier mit einem schwarz- beige-schwarz meliertem Fell war auf einmal ganz in der Nähe aufgetaucht. Marc verhielt sich ganz still und beobachtete es. Es war ein Kojote!

Der junge Mann staunte über die Zutraulichkeit des Tieres und machte eine Bewegung. Der Kojote wich etwas zurück, verschwand aber nicht. Er fixierte Marc mit seinen braunen, samtenen Augen, als wolle er ihm etwas sagen. Der junge Mann holte etwas Dörrfleisch hervor und warf es dem Tier hin. Dieser zögerte einen Moment und machte einen Schritt auf das Fleisch zu. Dann jedoch hielt er erneut inne. Es schien als wolle er sich vorsichtig antasten, um ganz sicher zu gehen, dass ihm keine Gefahr drohte. „Ich tu dir nichts,“ sprach Marc. „Nur keine Angst!“ Er liess dem Tier die nötige Zeit, bis es sich entschloss den Happen, allen möglichen Gefahren zum Trotz, doch zu fressen und freute sich wie ein Kind darüber. Der Kojote wohl selbst erschrocken über seine Kühnheit, drehte sich blitzschnell um und lief davon. Etwas traurig schaute ihm Marc nach. Sowas hatte er noch nie erlebt.

Nach einer eher unruhigen Nacht allein in der Höhle, wollte Marc hinunter zum Bach gehen, um sich zu waschen. Er zog sich ganz nackt aus, denn hier war er ja ganz mit sich allein. Als er seine Arme unten beim kleinen Becken in das kühle Nass tauchen wollte, hielt er auf einmal inne. Da war er wieder, der Kojote! Er trank ein Stück weiter oben aus dem Bach. Als er Marc sah, blickte er ihn erneut tiefgründig an, verschwand aber nicht. Der Junge bedauerte, dass er nichts zu essen bei sich hatte. Doch er musste es sowieso einteilen, wenn es ihm für die restlichen Tage reichen sollte. Er verspürte jetzt schon eine unangenehme Flauheit im Magen, denn er hatte seit seiner Ankunft hier kaum etwas zu sich genommen. Der Kojote schien jedoch anderes im Kopf zu haben. Er kümmerte sich nicht mehr um den Menschling der ihn beobachtete, sondern begann Jagd auf die kleinen Fische im Bach zu machen. Es war lustig mit anzusehn, wie er manchmal mit allen Vieren in die Luft sprang und die Fischlein zu packen suchte. Nicht selten verlor er dabei auch mal das Gleichgewicht und landete dann mit dem Bauch im kühlen Nass. Dann schüttelte er sich und Wassertropfen spritzten nach allen Seiten. Es kam Marc vor, als betrachte das Tier das Ganze mehr als ein Spiel, als eine Jagd. Manchmal musste er herzlich lachen, wenn er die wilden Possen des Kojoten beobachtete. Irgendwie schloss er dieses Tier immer mehr ins Herz. Was ihn besonders berührte war das Vertrauen, dass dieses ihm entgegenbrachte. Es liess sich durch ihn gar nicht stören, das war schon einzigartig.

Den ganzen Tag blieb der Kojote dann in der Nähe der Höhle, immer mal wieder erschien es irgendwo. Als Marc draussen vor der Höhle ein Feuer machte, kam er herbeigetrabt, liess sich eins Stück weit weg vom Feuer nieder und beobachtete Marc unverwandt. Sein Blick drang bis tief in Marcs Herz vor und brachte etwas in seinem Innern zum Klingen. Auf einmal fühlte er sich als Teil dieser Umgebung, als Teil der ganzen Welt. Während er diesem Kojoten so gegenüber sass und sie sich gegenseitig musterten, schien eine weitere Grenze in ihm zu fallen. Er hatte plötzlich das Gefühl verwandt mit diesem Tier zu sein. Und aus seinem Herzen stieg eine Stimme empor: Alles ist Eins, es gibt keine Trennung! Doch schon meldete sich wieder sein Verstand: Unsinn, Tier und Menschen sind vollkommen verschieden! Dieser Kojote will nur etwas zu fressen, nur deshalb ist er hier! Doch diesmal gebot Marc der Stimme seines Verstandes Einhalt. „Alle sind Eins,“ flüsterte er und dachte bei sich: „Das spüre ich deutlich. Für mich ist dieser Gedanke nicht fremd. Er ist mir sogar sehr vertraut. Aber warum nur? Kann es doch sein, dass ich ein Animal Rider bin, wie Snakeman es sagte?“ Wieder wollte der Verstand aufbegehren, doch hier war kein Ort des Verstandes, es war ein Ort der Seele. Marcs Seele barg tiefes Wissen in sich, Wissen das er nun immer mehr zu ergründe glaubte. Das alles hatte einen tieferen Sinn, nichts geschah zufällig. Ohne es bewusst zu tun, trat er in inneren Dialog mit seinem Verstand. „Du nimmst dich immer viel zu ernst,“ sprach er zu ihm. „Du bist es, der mein Leben viel zu sehr prägt.“ Und der Verstand gab ihm eine erstaunliche Antwort: „Tja, da könntest du recht haben. Doch du bist es der mich stets nährte und pflegte.“ „Das werde ich in Zukunft nicht mehr in so ausgeprägter Weise tun,“ gab Marc mit seltsamer Entschlossenheit zurück. „Es wird Zeit das ich meine Seele mehr pflege. Lass mich also in Ruhe, wenn ich dich nicht brauchen kann!“

„Ein guter Entschluss,“ vernahm Marc nun auf einmal eine andere Stimme. Er schaute sich um woher sie kam und sein Blick blieb an dem Kojoten hängen, der immer noch da sass und ihn unverwandt anblickte.“ „Was um alles in der Welt...! erwiderte er auf telepathischem Wege. „Hast du etwa mit mir geredet?“ Es war als würde ein verschmitztes Lächeln über das Gesicht des Tieres huschen. Doch... das musste eine Täuschung sein. „Ja,“ kam die promte Antwort, die zweifellos von Seiten des Kojoten herrührte. „Ich habe schon länger versucht mit dir zu sprechen, doch du hast mich nicht gehört.“ „Du... hast versucht mit mir zu sprechen? Aber... du bist doch ein wildes Tier!“ „Das stimmt. Normalerweise bin ich auch sehr scheu, doch an dir habe ich ein Zeichen wahrgenommen, das in mir ein Gefühl der Vertrautheit wachrief. Ich habe dieses Zeichen bisher nur an wenigen Menschen gesehen. Es scheint... als wären wir irgendwie verwandt, als würden wir uns schon ewig kennen. Es erinnert mich an eine Zeit, die weit, weit zurückliegt. Damals als die Erde noch jung war und meine Vorfahren noch frei durch die Wildnis streiften, ohne Furcht vor den Menschen...“ „Es ist seltsam, doch so ein ähnliches Gefühl hatte ich auch.“ „Ich weiss. Ich habe deine Gedanken gesehen. Du hast dich entschlossen dem Herz mehr Raum zu geben. Das ist sehr gut so.“ Marc erwiderte „Ich muss einfach mal einen Schritt weitergehen. Mein bisheriges Leben... war irgendwie nie wirklich erfüllend. Hier in diesem Land habe ich etwas gefunden, das ich schon längst glaubte verloren zu haben.“ Der Kojote blickte über das weite, bizarre Land der Badlands und es war, als würde er weit in die Vergangenheit schauen, wo sein und auch Marcs Ursprung lag... „Dieses Land ist erfüllt vom Atem unserer Vorfahren, deiner und meiner;“ hörte der junge Mann die Stimme des Tieres in seinem Innern. „Hier liegen unsere Wurzeln, unsere Seele...“ „Auch meine Seele?“ fragte Marc. „Ja, auch deine. Du spürst es doch auch.“ „Ja und doch ist es schwer zu glauben.“ „Du musst es nicht glauben, sondern fühlen!“ gab der Kojote zurück. „Das Leben besteht nicht nur aus dem Denken, es ist viel mehr als dass...“ Er erhob sich nun und wandte sich zum Gehen. „Wirst du wiederkommen?“ fragte Marc. „Ganz bestimmt.“ „Also bis dann!“ Der Kojote erwiderte nichts mehr und verschwand hinter dem nächsten Felsen... Marc aber blieb fassungslos zurück...

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Nathalie erging es ähnlich. Noch immer konnte sie nicht glauben, in was sie da Einblick erhalten hatte. Der Wolf war mit ihr in ihre Vergangenheit gereist, da war sie sich ganz sicher und doch...war da wie bei Marc immer wieder der Verstand, der das für unmöglich hielt. Wenn sie nämlich wahrlich in die Vergangenheit gereist war, in jene Zeit als sie noch zu den Allessehenden gehört hatte, gab es kaum mehr Zweifel, dass sie wirklich eine Animal Riderin war. Das erschien ihr immer noch so unfassbar, dass sie sich immer wieder fragte, ob sie sich dieses Erlebnis nicht nur eingebildet hatte. Allerdings war es so real gewesen... so eindrücklich, dass sie wiederum kaum glauben konnte, das sie solch eine Einbildungskraft besass. Irgendwie brauchte sie jemanden mit dem sie sprechen konnte. Doch sie war hier ja ganz alleine nur mit Blackfeet. Mit Blackfeet! Ja klar! Warum nicht mit ihm reden? Vielleicht gelang es ihr diesmal wieder, wenn sie es von Herzen wollte. Schon wieder beschlichen sie leise Zweifel. Und... wenn es nun doch nicht mehr ging? Ausserdem schlief ihr Pferd ja und sie wusste nicht, ob sie es wecken durfte. Dennoch sehnte sie sich nach der beruhigenden Nähe Blackfeets. So erhob sie sich leise und ging sachte zu ihm hin. Als sie dicht neben ihm stand, ging eine Bewegung durch den warmen Pferdekörper und sie glaubte im Dunkel seine Augen glänzen zu sehen. „Es tut mir leid... das ich dich wecke,“ sprach sie zu ihm und irgendwie fühlte sie sich den Tränen nahe. „Aber...ich weiss einfach nicht was ich tun soll, was mit mir passiert. Ich weiss einfach nicht mehr was ich mir einbilde und was Wirklichkeit ist...“ Blackfeet stupste sie sanft mit seiner weichen Nase an und sie spürte seinen warmen Atem. Und dann... glaubte sie seine Stimme ein weiteres Mal zu vernehmen: „Du quälst dich viel zu sehr. All das was passiert hat einen tieferen Sinn. Was immer du erlebst, es will dir etwas sagen. Nichts ist zufällig, auch wenn vor allem die Menschen gerne von Zufall reden. Für uns Tiere gibt es diese Zufälle nicht. Alles ist Einer grossen Ordnung unterworfen. Wir alle sind Teil dieser Ordnung, auch du. Wovor fürchtest du dich denn so?“ „Davor dass ich einem Hirngespinnst nachjagen könnte. Alle sagen mir, ich sei eine Animal riderin, alle reden davon, was für besondere Fähigkeiten ich habe. Gerade traf ich ein weiteres meiner innern Totem Tiere, ein Wolf. Er führte mich...in die Vergangenheit, in meine Vergangenheit als Allessehende, die zwischen der Welt der Tiere und der Welt der Menschen wandeln konnte. Alles was ich sah, scheint mir so unglaublich und... trotzdem habe ich irgendwie das Gefühl etwas müsse dran sein...Ach ich weiss auch nicht! Es ist so verworren!“ „Vielleicht machst du es verworrener als es wirklich ist,“ sprach Blackfeet. „Du willst immer Beweise, eine Bestätigung dafür, dass das alles stimmt, weil du es dir tief im Innern auch wünscht. Doch vielleicht solltest du dich darauf besinnen, was dir an Schönem zuteil wird. Nimm einfach alles an was dir begegnet, ohnen eine Wertung zu machen. Versuche weniger zu denken und mehr zu fühlen und aus diesem Gefühl heraus zu handeln. Vertraue dich dem Fluss des Lebens einfach an, dann wird er dich stets zu richtigen Ort tragen...“ Nathalie vernahm diese Worte voll Weisheit, die aber eigentlich keine Worte waren, wie sie sie kannte, sondern mehr Bilder, Gefühle die ihr von Blackfeet zuflossen und die ein verborgener Teil in ihr zu Worten formte. Immer wieder erstaunte es sie, welch klare Botschaften ihr die Tiere übermitteln und, wie es Marc bei dem Kojoten ergangen war, fühlte sie genau, dass irgendeine Mauer in ihr fiel.

„Du hast recht Blackfeet!“ sprach sie tief berührt. „Ich sollte einfach alles auf mich zukommen lassen. Ob ich nun wirklich diese Animal riderin bin, oder auch nicht, spielt doch eigentlich keine Rolle. Wichtig ist, was ich aus all dem mache, was ich erfahren darf. Ich danke dir! Ich bin so froh, dass du da bist.“ Es freut mich auch, dass du da bist. Doch nun wird es Zeit für dich endlich zu schlafen.“ „Darf ich bei dir in der Nähe bleiben?“ „Wenn du möchtest...“ Das Pferd ging in die Knie und legte sich zu Nathalies Freude so hin, dass sie gemütlich bei ihm anlehnen konnte. Sie zog die Decken näher heran und deckte sich damit zu. Den warmen Pferdekörper der sich unter dem regelmässigen Atem Blackfeets hob und senkte, im Rücken spürend, schlief das Mädchen dann selig ein.

Am nächsten Morgen, als die goldenen Sonne alles in wundersames Licht tauchte, erwachte Nathalie. Sie sass noch immer gegen Blackfeet gelehnt und ihr war, als wäre sie in dieser Nacht neu geboren worden. Alles erschien ihr wie ein wunderbarer Traum, der sie in den tiefsten Tiefen ihres Seins verändert hatte. Sie erhob sich langsam und ging zur Tür, deren oberer Teil wie ein Fenster geöffnet werden konnte. Es musste noch früh sein, denn die Stallungen lagen noch still da, noch kaum ein Mensch war zu sehen. Nathalie atmete tief auf, als wolle sie alles hier in sich aufsaugen. Ein kalter Wind blies, doch er wurde durch das Vordach des Stallgebäudes etwas gedämpft.

Blackfeet erhob sich ebenfalls und trottete neben das Mädchen. In seinen Augen lag irgendwie ein anderer Ausdruck. Es kam Nathalie vor, als hätte die gemeinsame Nacht sie und ihr Pferd wirklich mehr zusammen geschweisst. Sie tätschelte seinen Hals und meinte dann: „Ich glaube ich gehe dann mal zurück ins Haus. Wir sehen uns dann später wieder.“ Sie packte alles zusammen und trat hinaus auf den Hof, worüber nun die Bise in ihrer ganzen Stärke blies. Fröstelnd schloss sie ihre Jacke und ging hinüber zu Jonathans Haus.

Als sie dort ankam, empfing sie Wandernder Bär lächelnd. Schwarzes Pferd war nirgends zu sehen und Weisse Feder schlief noch. Nathalie freute sich ihren Lehrmeister wieder zu sehen und nahm nur zu gerne das einfache Frühstück entgegen, dass er selbst zubereitet hatte. Der warme Kaffee lockerte ihre steifen Muskeln und eine wohlige Wärme zog in ihren Körper ein. Sie glaubte noch nie bisher so glücklich gewesen zu sein und genoss nun alles doppelt so sehr. Sie fühlte sich von einer Last befreit und das...verdankte sie ihrem Pferd Blackfeet!

„Was war eigentlich gestern Abend mit Jonathan los?“ riss sie Wandernder Bär aus ihren schwelgerischen Gedanken. „Er war irgendwie vollkommen durcheinander, nachdem er dich zu Blackfeet gebracht hatte. Ich habe ihn noch nie so gesehen, jedenfalls erinnere ich mich nicht daran.“ Nathalie dachte an den magischen Moment, als sie und der Indianer sich fast geküsst hätten und ihre Bauchmuskeln zogen sich wieder zusammen, wie so oft wenn sie an ihn dachte, oder mit ihm zusammen war. Dennoch stellte sie sich ahnungslos, indem sie mit den Schultern zuckte. „Ihr versteht euch wirklich gut, nicht wahr?“ fragte Jack sie mit einem schelmischen Glitzern in den Augen. „Ja-a, wir mögen uns wirklich, das stimmt.“ „Wohl doch etwas mehr als mögen, denke ich.“ Nathalie grinste verlegen und nickte. „Nun...jedenfalls ist mein Sohn heute sehr früh aufgestanden, er sagte, er wolle noch etwas vorbereiten, für... dich.“ „Für mich?“ „Ja. Was auch immer das sein mag.“ Nathalies Neugier war angestachelt und sie fragte: „Aber was könnte er für mich vorbereiten? Weisst du es nicht?“ „Nein, er liess mich auch im Unklaren darüber. Doch etwas läuft da...“ Er rückte nun etwas näher zu ihr heran, wie ein alter Freund und meinte leise: „Jonathan ist wirklich ein guter Junge und... er verschenkt sein Herz nicht leichtfertig, auch wenn er stets auf alle einen sehr charmanten Eindruck macht. Viele Mädchen hatten schon Interesse an ihm, aber...er hat sich seit dem Tod von Windblume nicht mehr auf eine andere Frau eingelassen. Dich aber..., sieht er auf ganz besondere Weise an. Es erinnert mich an jenen Blick, den er erst einmal hatte und zwar eben bei seiner ersten Frau. Du bist drauf und dran sein Herz zu erobern Nathalie, sei dir dessen bewusst!“ „Er... ist auch daran mein Herz zu erobern,“ gab Nathalie leise zurück und senkte etwas verlegen den Blick.“ Ein Strahlen erhellte das Gesicht des alten Indianers. „Das freut mich sehr...wirklich,“ sprach er. Dann aber wurde er ernst: „Was ist mit... Marc?“ „Marc? Was hat jetzt der damit zu tun?“ „Denkst du nicht sehr oft an ihn?“ „Nein...kaum noch. Er hat seine Chance vertan. Er bedeutet mir nichts mehr, auch wenn ich eine Zeit lang glaubte er sei der Richtige. Doch seit ich Jonathan kenne... ist die Erinnerung an ihn verblasst. Ich glaube nun, das Jonathan der bessere Mann ist.“ „Nun ja... Marc ist auch kein schlechter Kerl.“ „Was soll das jetzt heissen Ate(Vater)? Schwarzes Pferd ist doch dein Sohn, was nimmst du Marc in Schutz?“ „Oh ich möchte nur, dass du ihm nicht feindlich gesinnt bist. Natürlich freut es mich ausserordentlich, dass mein Sohn dein Herz erobert...“

Er hielt plötzlich inne, denn ein wundersamer Musik drang an ihre Ohren. Sie stammte von einer indianische Flöte. Es klang zugleich wehmütig und doch erfüllt von Freude. Die Töne schwangen sich empor wie silberne Wellen, die tief in Nathalies Herz drangen. Es war, als wäre diese Melodie nur für sie bestimmt. Sie glaubte in ihr den Klang ferner Wellen zu vernehmen, das Rauschen eines Märchenwaldes, den Gesang der Vögel und das sanfte Auf-und Abfallen einer grünen Hügellandschaft. Es war ihr Wesen, das diese Melodie besang. Der der sie spielte, musste sie sehr gut kennen.

„Das ist Jonathan...“ flüsterte Wandernder Bär. „Er spielt nur für dich. Bei uns Indianern ist es Brauch, dass die Männer für ihre Angebetete spielen. Es ist ihm wirklich ernst mit dir!“ Nathalies Herz tat einen Freudensprung und sie wollte am liebsten gleich aus dem Haus laufen, um sich bei Jonathan zu bedanken, doch dann entschied sie anders. Sie ging zum Fenster und öffnete dieses. Ein Stück entfernt stand Jonathan. Tief in sich gekehrt spielte er auf der Flöte, seine Augen waren dabei geschlossen, als wolle er sich für die Inspiration öffnen, die ihm dabei half seine tiefsten Gefühle für Nathalie auszudrücken. Diese Gefühle waren so wundervoll, so voller Innigkeit, dass dem Mädchen Tränen in die Augen stiegen, während sie andächtig lauschte. „Er wird noch einmal für dich spielen,“ sprach Jack „und das dritte Mal, wird er eine Decke über den Schulten haben. Wenn du diese Decke nimmst und um dich legst, heisst dass, dass du bereit bist Jonathans Gefährtin zu sein.“ „Ist das eine Art Verlobung?“ fragte Nathalie nun doch etwas unsicher geworden. „Das muss nicht unbedingt sein, ihr habt ja noch etwas Zeit. Doch solltest du die Decke nehmen, seid ihr offiziell ein Paar.“ „Das... ist ein wunderschöner Brauch,“ flüsterte Nathalie. „Ja, das ist es. Nun lausche aber auf dein Lied. Es ist wirklich einzigartig!“ Ja, das war es wahrhaftig, noch nie glaubte die junge Frau etwas Schöneres gehört zu haben! Jonathan spielte nur für sie, für sie ganz allein, es war wie im Traum.

Schliesslich setzte der junge Indianer seine Flöte ab und schaute auf, als ob er selbst gerade aus einem Traum erwachen würde. Ihre Blicke kreuzten sich und wieder schienen ihre Herzen im Gleichklang zu schlagen. Als Jonathan dann wieder zurück ins Haus kam, sprach Nathalie leise: „Das war wunderschön.“ Der Indianer lächelte etwas verlegen , sagte aber nichts. Das Mädchen spürte den Impuls ihn zu umarmen und zu küssen, doch sie fühlte, dass sie nichts überstürzen durfte. Das Ganze war ein Ritual, mit dem ihr Schwarzes Pferd seine Liebe beweisen wollte. Es war Brauch, das sich die Frau anfangs etwas zurückhielt und eigentlich war das auch gut so. „Frühstück?“ fragte sie und der Indianer nahm dankend an. Weisse Feder war mittlerweile auch aufgestanden und schon bald war wieder ein munteres Gespräch im Gang. „Wie ist es dir eigentlich diese Nacht ergangen?“ fragte Jack und Nathalie erzählte, was sich alles zugetragen hatte. Die andern hörten gefesselt zu.

Schliesslich mussten sie sich wieder an die Arbeit machen. Nathalie ging mit Jonathan erneut zu den Stallungen, um Blackfeet zu holen. Immer wieder schauten sie sich an und lächelten sich zu. Bei der Arbeit berührten sich immer wieder ihre Hände. Flüchtig nur, doch wenn es geschah durchzuckte es Nathalie wie ein Blitz. Die Gefühle, die die beiden füreinander empfanden, hatten sich noch verstärkt. Sie wurden leidenschaftlicher, intensiver. Bei der Arbeit fehlte die Konzentration. Zum Glück war Blackfeet ein verständnisvolles Pferd. Nathalie glaubte in ihrem Bauch und ihrem Herz tobe ein Sturm. Sie schaute den eindrücklichen Indianer an ihrer Seite an, seine dunklen Haare glänzten in der Sonne, sein bronzebrauner Körper, weckte in ihr bisher ungekannte Gefühle. Sie dachte nun wirklich nicht mehr an Marc. Er wirkte blass, im Gegensatz zu diesem edlen, sanftmütigen, liebevollen Mann, der hier bei ihr war und... für sie allein auf der Flöte gespielt hatte. Es war eine Liebeserklärung gewesen, eine wundervolle Liebeserklärung, die ihr bisher nie jemandem gemacht hatte.

 

Das zweite Mal kam schneller als sie dachte.

Während der Mittagszeit stellte sich Jonathan inmitten des grossen Hofes auf und... spielte genau dasselbe Lied wie am Morgen . Nathalie wurde richtig verlegen, als sich alle Leute die hier arbeiteten um sie versammelten, um dem wundervollen Liebeslied zu lauschen, das Schwarzes Pferd zweifellos für dieses Mädchen aus Europa spielte. Sie lächelten Nathalie wohlwollend zu und freuten sich mit ihr. Sie war tief bewegt und doch war es ihr etwas peinlich.

Als Schwarzes Pferd zu Ende gespielt hatte, lächelte sie ihn nur an, sagte aber nichts dazu. Sie zierte sich absichtlich. Es gehörte zum Spiel...

Der darauffolgende Abend verlief ohne grosse Zwischenfälle und Nathalie begann sich tatsächlich schon zu fragen, wann Jonathan wohl das dritte Mal spielen würde.

Am Abend des darauffolgenden Tages, kehrten sie und der Indianer wie üblich in die warme Hütte zurück. Wandernder Bär und Weisse Feder erwarteten sie bereits . Diesmal gab es ein saftiges Steak mit Kartoffeln und dazu Salat. Es schmeckte vorzüglich und der Raum war erfüllt vom Duft der Grilladen.

Schliesslich ging Nathalie ins Bett. Doch als sie eine Weile da lag und doch nicht einschlafen konnte, hörte sie erneut das ihr mittlerweile so bekannte Flötenspiel! Es gab hier oben ein kleines Seitenfenster. Sie öffnete es und sah Jonathan, bekleidet mit dem Festtagshemd unter ihr stehen und spielen. Als sie das Fenster öffnete schaute er zu ihr empor, seine Augen glänzten im Zwielicht. Über seiner Schulter trug er tatsächlich eine Decke, wie es Wandernder Bär angekündigt hatte. Ihr Herz begann auf einmal wie wild zu klopfen, ihr Puls raste. Sie zog sich etwas über und ging hinunter. Weisse Feder und Wandernder Bär waren bereits schlafen gegangen, vielleicht waren sie auch wach, aber dann liessen sie es Nathalie nicht merken. Das Mädchen öffnete die Tür und trat hinaus in die kalte Nacht. Eine Bewegung ging durch Jonathans Körper, doch er spielte weiter. Nach einiger Zeit trat die junge Frau langsam näher, nahm die Decke und legte sie um sich. Sie fühlte sich dabei als müsse sie gleich zerspringen vor Aufregung und Glück. Jonathan ging es wohl gleich, denn es kam Nathalie vor, als zittere er auf einmal leicht beim Flötenspiel. Schliesslich setzte er das Instrument ab und sah ihr tief in die Augen. Sie nahm sanft seine Hand und sprach: „Komm mit mir hinein! Es ist kalt hier draussen...“

Der Indianer folgte Nathalie, ohne ein Wort zu sprechen, doch seine Augen leuchteten und es war, als würden sie durch einen Traum wandeln. Nathalies Herz klopfte und wieder spürte sie, wie die Hitze ihren ganzen Körper zu durchströmen begann. Sie breitete sich bis in den kleinsten Winkel aus, sammelte sich in ihren Lenden, in ihrem ganzen Unterleib und liess sie immer erregter werden. Nun war der Moment da! Er schien das Gleiche zu empfinden wie sie, denn er atmete ebenfalls schneller.

Als sie die Leiter, die zu Nathalies Schlafstätte führte erreichten, hielt er noch einmal inne und fragte leise: „Willst... du das wirklich?“ „Natürlich will ich!“ flüsterte sie zurück. Sie konnte es kaum mehr erwarten ihn endlich ganz zu spüren. Seine zurückhaltende, einfühlsame Art, die er mit seiner Frage noch einmal unter Beweis gestellt hatte, verstärkte die Zuneigung für ihn noch. Ja! Er war der bessere Mann als Marc!

Fast fahrig, zog sie ihn hinter sich her die Leiter hinauf. Der silberne Schein des Vollmondes, der gerade hinter den Wolken hervorgekommen war, tauchte alles in silbernes Licht. Es war wahrlich magisch! Alle Gedanken verschwanden aus Natalies Kopf, sie fühlte nur noch.

Sie zog Jonathan aufs Bett und nun waren sie beide nicht mehr zu halten. Sie rissen sich die Kleider vom Leib und liessen sich ganz von der Flut der Leidenschaft treiben, die sie überkam wie süsse Wellen des Glücks.

Sie fühlte Jonathans nackte, goldbraune Haut auf ihrer, betrachtet seine angeschwollene Männlichkeit . Er küsste ihren ganzen Körper: Schultern, Hals, Nacken, ihre Brüste und die Schenkel, schien alles von ihr in sich aufnehmen zu wollen. „Du bist...so wunderschön...“ flüsterte er. „So wunderschön!“ Nathalie gab sich ganz seinen Berührungen hin, küsste auch ihn am ganzen Körper. Seine Lippen waren weich und nachgibig, sein Körper stark und männlich. Er roch nach Leder und Holz, ein Duft den sie als sehr angenehm empfand. Sie zog ihn zu sich herunter, seine dunklen, langen Haare, die er frisch gewaschen hatte, fielen wie ein Schleier über sie. Die beiden schauten sich tief in die Augen. Sein samtschwarzer Blick erregte sie noch mehr. Sie schlang ihre Beine um ihn und spürten wie ihre Herzen im Gleichklang schlugen.

Dann fühlte sie ihn in sich eindringen, fest und hart und doch zärtlich. Sie umklammerte ihn mit den Beinen noch fester und stöhnte vor unbeschreiblicher Glückseeligkeit. Alles was ihr bisher Kopfschmerzen bereitete hatte, rückte in weite Ferne. Sie war jetzt nur noch hier, allein mit Jonathan, der ihr durch die Stösse seiner Lenden grösste Lust bereitete. Es war das erste Mal, seit sie so ein wundervolles Erlebnis hatte. Sie war zwar nicht mehr Jungfrau, aber das allererste Mal, war wirklich nichts Besonderes und deshalb auch das bisher letzte Mal gewesen.

Dieser junge Indianer aber, der so liebevoll und doch leidenschaftlich wie ein Vulkan war, gab ihr etwas, das sie nie bisher gekannt hatte, etwas...dass sie eigentlich bei einem andern Manne einst gesucht hatte, es aber nicht bekam. Doch der Letzte an den sie jetzt denken wollte, war jener Mann. Sofort schob sie deshalb den Gedanken beiseite und gab sich ausschliesslich Jonathans Liebkosungen hin. Er stöhnte leise und Schweiss perlte auf seiner Stirn, während er sein Gesäss hin und her bewegte und die Lust Nathalies sich bis zum Höhepunkt steigerte. Sie unterdrückte einen Schrei, um die andren im Haus nicht zu wecken, doch es fiel ihr unsagbar schwer. Schliesslich dann entlud er sich mit lautem Stöhnen in ihr.

Nathalie war überglücklich und kuschelte sich an ihn, während er zärtlich die Arme um sie legte. „Es war wunderschön mit dir,“ flüsterte sie. „Ich liebe dich...“  

Animalrider Fortsetzung (30.6.22)

10. Kapitel                                          

Als der Kojote wieder verschwunden war, spürte Marc auf einmal eine tiefe Leere in sich. Er vermisste das Tier, dass doch tatsächlich mit ihm gesprochen hatte. Er glaubte es immer noch kaum, dass dies wirklich passiert war. Hatte er sich das nicht nur eingebildet? Nein, es war irgendwie so real gewesen! Frank, sein Mentor, hatte ihm mal gesagt, dass das Sprechen mit Tieren zu den Fähigkeiten eines Animal Riders gehöre. Doch bisher hatte Marc noch nie zuvor mit irgendwelchen Tieren gesprochen.

Auf einmal musste er an Nathalie denken und ein seltsames, warmes Gefühl, zog in sein Herz ein. Warum dachte er jetzt gerade an sie? Was hätte sie wohl zu seinen Erlebnissen gesagt? „Wenn sie wüsste, dass ich hier in Amerika bin, irgendwo in den Badlands, fernab vom Rest der Welt, auf der Suche nach meiner Vision... würde sie mich wohl für verrückt halten?“ Irgendwie glaubte er, dass sie wohl die einzige gewesen wäre, die das alles verstanden hätte. Er dachte an seine Freunde und Kameraden, an seine Familie und... plötzlich wurde ihm klar, dass er niemandem all das was er hier erlebte, hätte anvertrauen können, ausser... ja ausser eben Nathalie…

Er schaute hinauf in den Himmel, über den einige Wolken zogen und auf einmal sah er ganz deutlich das Gesicht Nathalie vor sich. Es war ein so schönes, ausdrucksvolles Gesicht. Plötzlich überkam ihn grosse Trauer und Wut, Wut auf sich selbst. „Ich Narr!“ sprach er vor sich hin und ein schluchzender Seufzer entrang sich seiner Brust. „Ich habe alles kaputt gemacht! Ich habe mich an mein altes Leben geklammert, obwohl Nathalie mir ein ganz neues Leben hätte geben können. Ich aber, habe sie stattdessen abgewiesen. Warum nur habe ich das getan? Warum wies ich den einzigen Mensch ab, der mich bis tief auf den Grund meiner Seele, verstanden hätte? Was wissen meine Freunde, ja auch meine Familie schon von mir? Ich habe ihnen nie mein wahres Ich gezeigt. Ich war nicht echt, aus Furcht womöglich zu viel von mir selbst preiszugeben. Auch bei Nathalie habe ich das schlussendlich getan Und... nun ist es zu spät!“ Diesmal schluchzte er laut auf und ihm war, als würde sich auf einmal seine ganzes Inneres nach aussen kehren. Hier in dieser einsamen Wildnis, nur allein mit der Natur und dem Grossen Geist, konnte er nichts mehr verstecken. Er war nackt, nackt und jegliche Ablenkung fehlte.

Er sah seine Schuld vor sich, all die Fehler, die er in seinem Leben schon begangen hatte. All die Dinge die er getan hatte, dabei das Wichtigste ausser Acht lassend. Er warf sich zu Boden und das erst Mal in seinem Leben, weinte er, weinte er wie ein kleines Kind. Er schrie seinen Schmerz hinaus, schlug mit den Fäusten auf den kühlen Boden- die kühle Erde unter sich, die geduldig und ohne Klagen, seine Schläge absorbierte. Er sehnte sich nach dieser Ruhe, dem Frieden dieser stillen Erde. Er wälzte sich hin und her, benetzte sie mit seinen Tränen, die nun auf einmal in Strömen flossen; ganz in seinem Elend gefangen und doch wissend, dass dieses Tränen ihn auch befreien würden. Die Steine auf seiner Seele und seinem Herzen, lösten sich immer mehr auf und wurden vom Strom seiner Trauer hinfort geschwemmt. Es wurde ihm zunehmend leichter zumute, jetzt da er all sein Leid, all seine Trauer und Wut dem Grossen Geheimnis, das alles durchdrang darbrachte.

Noch eine Weile wälzte er sich hin und her und dann kehrte auf einmal eine wundervolle Ruhe in ihn ein. Er drehte sich auf den Rücken und blieb einfach ausgestreckt liegen, den Himmel und die Wolken betrachtend, die bereits die rosa Färbung der Abendsonne annahmen.

„Was ist meine Sonne?“ fragte er in die Stille hinein. „Was ist meine Sonne?“ Und dann auf einmal glaubte er, der Antwort näher zu sein als jemals zuvor. „Nathalie hat etwas mit dieser Sonne zu tun. Ich muss meine Sonne finden. Ich muss sie finden...!“

Diese Worte widerhallten in seinem Kopf, immer und immer wieder. Schliesslich übermannte ihn eine seltsame Müdigkeit und... er schlief ein.

 

Und schliesslich... hatte er einen seltsamen Traum: Er befand sich in einem tiefen Canyon der Badlands. Die zackigen Felswände erhoben sich links und rechts von ihm. Und dann auf einmal sah er sie! Eine grosse Antilope mit einem hellbraunen Fell und einem weissen Bauch, der von einen schwarzen Streifen umrahmt wurde.

Ihre Hörner waren lang und spitz. Die samtenen, tiefgründigen Augen blickten ihn unverwandt an. Irgendwie glaubte er zu ihr hin gehen zu müssen. „Wer bist du?“ fragte er.

„Ich bin Das Tier deines richtigen Handelns,“ war die etwas rätselhafte Antwort.

„Was... ist damit gemeint?“

„Ich bin es, die dir helfen will, deine Sonne zu finden.“

„Was ist meine Sonne denn genau?“

„Das ist eben die grosse Frage. Einen Teil der Antwort hast du schon gefunden.“

„Ja... es hängt mit Nathalie zusammen, aber ich weiss nicht genau was es sonst ist.“

„Oh doch, eigentlich weisst du es schon.“

„Nein! Das tu ich nicht. Sonst wäre ich wohl nicht hier, oder?“

„Deine Seele weiss es, doch du musst deine Seele auch hören. Versuche dich mal ganz von aller irdischen Schwere zu lösen und in dich hineinzuhorchen. Was... hörst du dann?“ Marc versuchte zu tun, was die Antilope ihm sagte. Schliesslich meinte er: „Es ist irgendwie, als würden Nathalie und ich uns schon viel länger kennen als nur dieses Leben. Da ist so eine Verbundenheit zwischen uns gewesen, als wir uns das erste Mal trafen...“

„Doch du hast die Gefühle, die dich damals bewegten, nicht ernst genommen,“ gab die Antilope schlicht zur Antwort.

„Nein... wohl leider nicht,“ gab Marc zerknirscht zurück.

„Du hast sie nie mehr angerufen, nicht wahr?“

„Nein,“ erwidertet der junge Mann, mit nun erstickter Stimme.

„Warum aber, hast du das nicht getan?“

„Ich kann es auch nicht richtig beschreiben.“

„Könnte es vielleicht sein, dass du eine ganz bestimmte Angst hattest?“

Marc versuchte ganz auf seine Seele zu lauschen und dann erwiderte er. „Ja... ich glaube, dass da eine Angst ist. Ich... kann auch nicht genau sagen welche.“

„Was sagte denn deine Seele dazu?“

„Sie sagt mir..., dass ich wohl Angst vor dem wirklichen Einlassen, auf einen Menschen habe.“

„So ist es. Du fürchtest dich davor, zu viel von dir preiszugeben und dadurch verletzt zu werden.“

„Ja, das mag stimmen.“

„Es stimmt. Du suchst deine Sonne?“

„Ja, das sagte ich bereits.“

„Kannst du dir noch immer nicht vorstellen, was diese Sonne sein könnte?“

Marc dachte angestrengt nach.

Die Antilope hakte nach. „Was wäre nun, da du deine Seele befragst, das richtige Verhalten gegenüber Nathalie gewesen?“

„Ich hätte sie anrufen sollen und... ihr vielleicht erklären, was mich bewegt, was... ich wirklich für sie empfinde. Doch...das konnte ich nicht. Ich hätte es nicht ertragen können, wenn sie mich abgewiesen hätte.“

„Du hattest also Angst von ihr abgewiesen zu werden?“

„Ja, das sagte ich doch gerade!“

„Aber wäre es nicht doch besser gewesen, das Risiko einzugehen?“

„Nun ja... vermutlich schon.“

„Du siehst das richtig Marc. Es wäre das richtige Handeln gewesen. Du solltest wirklich lernen richtiger zu handeln, denn du hast alle Antworten in dir. Du hättest Nathalie deine Liebe zeigen sollen. Es kann immer sein, dass man abgelehnt wird, was in eurem Falle aber wohl nicht passiert wäre.“

„Du meinst, sie hätte meine Gefühle erwidert?“

„Ja, das hätte sie wohl. Doch nun... hast du eine Chance leider vertan. Es wird nun viel länger dauern, bis du sie erneut erobern kannst. Und das nur... weil du nicht richtig gehandelt hast. Nun gilt es in Zukunft besser zu handeln, nicht nur im Bezug auf Nathalie. Nur wenn du das richtige Handeln lernst, kannst du auch deine Sonne finden.“

„Aber was ist nun diese Sonne?“

„Willst du in Zukunft lernen besser zu handeln?“

„Ja. Das will ich, jedenfalls bemühe ich mich.“

„Dann wirst du deine Sonne bald finden. Ich werde dich jetzt wieder verlassen. Denk über meine Worte nach und... besuche mich Morgen noch einmal, während du meditierst, dann werde ich dir Einblick in deine Vergangenheit erlauben, in eine...viel fernere Vergangenheit, als jene die du bereits kennst. So leb denn wohl und erwache wieder! Es wird in der Nacht kalt draussen...“ 

 

Mitten in der Nacht, es mochte vielleicht so um ein Uhr sein, erwachte Nathalie, weil sie neben sich eine Bewegung wahrgenommen hatte. Sie öffnete die Augen und tastete nach Jonathan, dessen Körper sie bisher auf wunderbare Weise gewärmt hatte. Sie hatte ein Gefühl tiefer Geborgenheit dabei gespürt und sie wusste..., dass sie sich bisher noch nie so tief auf einen Mann eingelassen hatte, wie sie es bei ihm getan hatte. Doch diesmal spürte sie Jonathan nicht mehr neben sich liegen. Erstaunt schaute sie sich nach ihm um. Sie sah ihn am kleinen Fenster sitzen und in die glasklare Nacht hinausstarren. „Warum bist du nicht im Bett?“ fragte sie leise. „Kannst du nicht schlafen?“

Er lächelte sie etwas gequält an, sie spürte das mehr, als dass sie es sah. Langsam erhob er sich, setzte sich auf den Bettrand und nahm liebevoll ihre Hand. Das silberne Mondlicht, welches durch das Dachfenster flutete, erleuchtete seine ebenmäßigen Züge. Wieder staunte Nathalie, welche Sanftheit von ihm ausging.

Leise sprach er: „Es stimmt, ich konnte nicht schlafen. Vieles beschäftigt mich zu Zeit. Ich dachte darüber nach, dass du nur noch eine gute Woche hier bist und dann...verlässt du mich wieder. Wir haben viel zu wenig Zeit.“

„Aber ich werde schon bald zurückkehren, das verspreche ich dir. Wir werden auch stets Kontakt halten.“

„Ja. Doch... das ist nicht dasselbe. Ich werde dich sehr vermissen. Gerade finde ich eine neue Liebe und dann... muss sie auch schon wieder gehen.“

„Ich muss leider nochmals zurück in die Schweiz, meine ganze Familie und meine Freunde sind dort. Ausserdem arbeite ich noch im Museum. Ich kann dort nicht einfach von heute auf Morgen aufhören. Es gibt da noch eine Kündigungsfrist von drei Monaten. Doch ich werde ganz bestimmt hierher zurückkehren und will auch mal an diesem Ort leben. Ich weiss nun, dass ich den Pfad der Animal Riderin gehen will.“

Die Augen von Schwarzes Pferd leuchteten im Mondlicht auf. „Du hast dich also tatsächlich dafür entschieden?“

„Ja. Dies ist mein Weg, meine Berufung. Ich will aber nichts überstürzen. Da gibt es einfach noch Dinge, Verpflichtungen daheim, die ich zuerst erfüllen muss. Ausserdem muss ich mir hier dann ja eine ganz neue Existenz aufbauen. Wie das genau aussehen soll, weiss ich noch nicht.“

„Du kannst bei uns leben, bei Weisser Feder und mir.“

„Das weiss ich natürlich zu schätzen aber ich brauche auch einen Job und alles.“

„Du kannst Pferdetrainerin sein.“

„Ich weiss nicht, ob das wirklich das ist, was ich machen sollte. Ausserdem glaube ich kaum, dass dein Boss mich so einfach einstellen würde. Ich habe ja gar keine Grundausbildung als Pferdetrainerin.“

„Ich unterweise dich.“

Nathalie lächelte und streichelte zärtlich sein Gesicht. „Ich weiss, dass du das alles für mich tun würdest. Aber...ich glaube einfach, dass ich als Animal Riderin einen anderen Auftrag habe. Einer der noch näher bei den Menschen ist. Doch das ändert nichts an meiner Liebe zu dir.“ Sie schlang die Arme um ihn und zog ihn zu sich aufs Bett zurück. Erneut übermannte sie die Leidenschaft und ihre Körper vereinigten sich ein weiteres Mal im Strudel von Hingabe, Lust und Begehren...

Als Nathalie am nächsten Tag erwachte und feststellte, dass Jonathan immer noch neben ihr lag, fühlte sie sich geborgen und glücklich. Sie betrachtet seinen nackten, schlafenden Körper. Er lag auf dem Bauch und über die durchtrainierte Schultermuskulatur spannte sich seine Haut in bronzenem Schimmer. Er war wirklich ein schöner Mann! Sanft streichelte sie sein langes Haar, das ihn in glänzendschwarzen Wellen umspielte. Es war wunderbar weich und duftete irgendwie etwas nach frischem Harz. In diesem Moment kam Weisse Feder langsam die Leiter hoch. Sie wollte sie wohl wecken. Es war ihr und auch Wandernder Bär- William wohl nicht entgangen, dass Schwarzes Pferd nicht wie üblich in seinem Bett lag.

Als das zwölfjährige Mädchen, die beide nun sah, huschte ein leises Lächeln über ihre Lippen und sie zog sich diskret wieder zurück. Nathalie lächelte ebenfalls und küsste Jonathan wach. „Es wird wohl Zeit fürs Frühstück“, sprach sie. Der Indianer war sofort hellwach und schaute etwas erschrocken drein. „War Weisse Feder hier?“

„Ja, doch sie war sehr diskret. Sie hatte wohl damit gerechnete, dass du früher oder später in meinem Bett landen wirst,“ scherzte Nathalie. „Nun komm aber, wir sollten uns bereit machen, die Pferde warten sicher schon auf uns.“

Kurz darauf, betrat das Pärchen, nach einer Dusche und dem Ankleiden, das angenehm warme Wohnzimmer. Jonathans Tochter, auch Ellie genannt, benahm sich ganz natürlich und lächelte ab und zu verschmitzt. Nathalie war froh, dass sie so positiv mit dieser Sache umging. Auch Wandernder Bär war sehr freundlich, aber sie fand, dass er ab und zu sehr nachdenklich wirkte. Sie spürte das intuitiv und fragte sich, was wohl in William vorging. Freute er sich denn nicht mit ihnen? Nein! Das konnte sie nicht glauben. Er hatte sie ja darauf aufmerksam gemacht, dass Jonathan ihr wohl den Hof machen würde und...das Ergebnis war ja abzusehen gewesen. Noch immer dachte sie an die leidenschaftliche Nacht, die sie mit dem jungen Indianer verbracht hatte, spürte noch immer seine Berührungen, seine Küsse auf der Haut. Sie legte ihm die Hand auf den Oberschenkel und er umfasste sie mit seiner. Nathalie kam sich vor wie ein turtelnder Teenager. Wandernder Bär betrachtete das Geschehen eher schweigend. War er ärgerlich? Nein, dafür blickten seine Augen zu freundlich! Es war eher etwas wie... Mitleid, Trauer oder sowas. Aber warum nur? Sie beschloss ihn später darüber zu fragen.

Als die vier das Frühstück fertig gegessen hatten, ging Weisse Feder als erste aus dem Haus, um noch einige Besorgungen zu machen. Nathalie und Jonathan wollten wie üblich zu den Stallungen. Doch Wandernder Bär hielt sie noch einmal zurück. „Morgen hätte ich dich eigentlich gern mit in das Pine Ridge Reservat genommen“, sprach er, an Nathalie gewandt. „Du hast nur noch eine Woche Zeit und ich habe dir noch einiges zu zeigen und beizubringen.“ Dieser Gedanke gefiel dem Mädchen und offensichtlich auch Jonathan im Augenblick gar nicht. Jetzt hatten sie eben gerade die erste Nacht zusammen verbracht und nun... sollten sie sich schon wieder trennen.

Schwarzes Pferd wollte widersprechen, doch sein Vater gebot ihm, mit einer eindeutigen Geste, zu schweigen. „Geh du schon mal vor!“ meinte er dann freundlich an Nathalie gewandt. „Mein Sohn und ich müssen noch kurz etwas besprechen. Er ist aber bald wieder bei dir.“ Das Mädchen zögerte einen Moment, doch dann gehorchte es.

Allerdings blieb sie einige Meter weiter vorn beim leicht geöffneten Fenster stehen. Sie wollte hören, was da gesprochen wurde, denn irgendwie spürte sie, dass es für sie wichtig war, auch wenn ihr Mentor sie offensichtlich nicht dabeihaben wollte.

Als Erstes vernahm sie Jonathans ziemlich ärgerliche Stimme: „Warum muss du sie ausgerechnet schon Morgen mit nach Pine Ridge nehmen? Wir sind doch erst seit gestern Abend ein Paar und Blackfeet muss auch noch weiter ausgebildet werden.“

„Nathalie muss schon sehr bald wieder in die Schweiz zurück“, vernahm sie nun die ruhige, aber entschlossene Stimme von Wandernder Bär. „Ich muss ihr, wie gesagt, noch einiges zeigen und sie muss auch noch ihre Vision finden.“

„Aber sie hatte doch schon viele wichtige Kontakte mit ihren Totems!“

„Das stimmt, doch es gibt noch ein paar Dinge, die sie in sich finden muss.“

„Aber sie hat sich ja bereits entschlossen den Weg der Animal Riderin zu gehen!“

„Es mag sein, dass sie glaubt sich ihrer Sache sicher zu sein, doch wenn sie wieder daheim ist, wird sie erneut zweifeln.“

„Das glaube ich nicht! Sie meint was sie sagt. Ausserdem..., sagte sie auch, sie liebt mich und ich glaube ihr das auch. Sie kommt hierher zurück!“

„Zurück kommt sie sicher, aber ob wirklich für immer, das ist die Frage. Nathalie hat ein grosses Bedürfnis nach Sicherheit und sie hängt als Wolfgeborene auch noch sehr an ihrer Familie. Das alles darf man nicht unterschätzen. Ausserdem..., und das muss ich dir leider auch sagen mein Sohn, auch wenn es mich schmerzt, du weisst nicht, ob du wirklich die Liebe ihres Lebens bist.“

Jonathan wollte entrüstet antworten, doch der Schamane hielt ihn zurück. „Sie liebt dich sehr, zweifellos cunksi, doch du weisst doch auch, dass da noch jemand anderer ist…“ „Ich will gar nichts von ihm hören! Er hat Nathalie doch noch nie zu schätzen gewusst. Ich kann sie glücklich machen!“

„Aber dieser Marc, um den sich Snakeman im Augenblick kümmert, ist ihre grosse Liebe. Er war es schon... als ich noch Mato der Bär war und... diese Verbindung ist stets bestehen geblieben. Er war Kai und sie war Suna. Und... die beiden treffen stets wieder aufeinander.“

„Woher willst du das so genau wissen? Vielleicht bin ich ja doch ihre grosse Liebe und du irrst dich einfach?“

„Glaubst du das wirklich Jonathan? Ich bekam einst vom Grossen Geist das Geschenk in die tiefste Vergangenheit zurückzublicken. Er gab mir den ganz deutlichen Auftrag mich um Nathalie bzw. Suna zu kümmern und... sie auf ihre Bestimmung aufmerksam zu machen. Dazu gehört leider auch Marc bzw. Kai. Du hast in der Tat auch mal eine sehr wichtige Rolle für Nathalie gespielt und ihr seid zweifellos tief verbunden, denn sie findet in dir etwas, das ihr einst abhandengekommen ist. Doch nach wie vor bleibt da Marc. Auch wenn ich mir in diesem Leben von ganzem Herzen wünschen würde, dass du Nathalies Auserwählter bist, müssen wir doch diesen Tatsachen ins Auge sehen, wenn wir an die Fügung glauben.“

„Aber wir haben doch auch Vieles selbst in der Hand. Ich kann Nathalie viel mehr geben als dieser.... Kai, oder Marc was auch immer! Wie gesagt, er hat sie gar nicht verdient. Er hat sie nicht einmal angerufen und sie hat oft an ihn gedacht, dass weiss ich. Nun aber hat sie sich für mich entschieden.“

Wandernder Bär legte die Hand auf Jonathans Schulter uns sprach etwas betrübt. „Ich würde es mir wirklich von Herzen wünschen, dass ihr zusammenbleibt, doch ich möchte einfach nicht, dass du zu tief verletzt wirst, sollte sich Nathalie doch einst für Marc entscheiden. Jener hat wohl seinen Weg verloren, hat viele Fehler gemacht, doch Snakeman sagte mir auch, dass er erstaunliche Fortschritte macht und das sehr schnell. Er hat schon eine Vision gefunden, im Inipi. Das hat Grosses in ihm ausgelöst. Wenn er sich einst so verändert hat, dass er wieder sein tiefstes Wesen entdeckt, wird er Nathalie anders begegnen und... vielleicht kommen dann die uralten Gefühle wieder hoch. Ich will dich einfach vor zu grossem Schmerz bewahren, auch wenn du mich im Augenblick dafür hassen magst.“

„Du willst also, dass ich Nathalie wieder aufgebe?“ stiess Schwarzes Pferd, um Fassung ringend, hervor.

„Nein. Ich finde es wunderbar, dass ihr zusammenseid. Geniesst jeden Augenblick, als wäre es euer Letzter! Aber mein Sohn, behalte stets in Erinnerung, was ich dir sagte, was ich dir schon von Anbeginn sagte! Vater Krähe hat mir viele Dinge gezeigt, die niemand für möglich halten würde. Er, der Wächter über alle grossen Geheimnisse der Vergangenheit, offenbarte mir durch die Gnade Wakan Tankas so vieles, was einst war. Ich würde das nicht sagen, wenn ich nicht ganz sicher wäre. Doch ich sehe nicht in die Zukunft und darum weiss ich nicht, was das Grosse Geheimnis mit uns allen noch vorhat. Darum denke nicht mehr zu viel darüber nach, geniesse einfach das, was dir durch Nathalie geschenkt wurde, und was du ihr alles schenken kannst. Denn ich weiss, das kannst du wohl...“

Die Stimme von Wandernder Bär klang nun sanft und erfüllt von väterlicher Liebe. Nathalie hatte genug gehört! Tränen brannten in ihren Augen und sie lief, lief immer weiter, bis sie nicht mehr konnte. Alles in ihr bäumte sich auf, ihr Magen schien sich umzudrehen und sie glaube sogleich erbrechen zu müssen. Das alles war so unglaublich, so schrecklich! Wie konnte Wandernder Bär nur so etwas zu Jonathan sagen? Sie hatte sich doch für diesen entschieden und nun... kam William wieder mit diesem Marc, den sie im Augenblick mehr verabscheute, als alles andere. Sie hasste den Gedanken an ihn, hasste es, dass sie so oft so verwirrt war, wegen ihm. Er war für sie nicht der richtige Mann, damit hatte Jonathan vollkommen recht. Er würde sie nur immer und immer wieder verletzen. Dieser seltsame Snakeman, wer immer das auch sein mochte, hatte sich Marcs jedoch angenommen und dieser machte scheinbar grosse Fortschritte. Was wenn...? Doch was dachte sie überhaupt darüber nach? Marc passte nun wirklich nicht zu ihr!

Einmal mehr, erinnerte sie sich an die erste Begegnung mit ihm, an ihr erstes Gespräch, das aber zugleich auch ihr Letztes gewesen war. Seinetwegen! Zorn stieg erneut in ihr hoch. Was auch immer Wandernder Bär über diese vergangenen Leben sagte, es war ihr egal! Vollkommen egal! Das war doch nur dummes, abgehobenes Geschwafel! „Vielleicht wäre ich besser nie hergekommen“, dachte sie bei sich. „Dieser ganze spirituellen Kram, von wegen Animal Rider, Reinkarnation etc., das ist doch nicht meine Welt! Meine alte Welt war wenigstens griffig, bot mir stets Sicherheit, anders als... das hier!“ Doch sogleich meldete sich eine andere, innere Stimme: „Dennoch habe ich Unglaubliches erlebt, hier in Amerika. Und es ist wirklich so, dass ich mich an diesem Ort mehr daheim gefühlt habe als in der Schweiz. Ausserdem durfte ich wundervolle Menschen kennenlernen, darunter vor allem Jonathan.“

Wärme zog stets in ihr Herz ein, wenn sie an ihn dachte. Was zerbrach sie sich eigentlich den Kopf darüber, ob er schon die Liebe ihres Lebens war? Das konnte man doch nie so genau sagen. Sie liebte ihn und das zählte. Alles andere würde sich ergeben. „Doch dass ich mich jemals für Marc entscheide, glaube ich kaum! Das ist doch kein Mann zum Heiraten. Der mit all seinen Liebschaften und hundert Interessen. Jonathan geht wenigstens auf mich ein.“

So langsam kehrte wieder etwas Ruhe in ihr Inneres ein. Darüber war sie froh, denn bestimmt würde der junge Indianer jetzt ihren Trost brauchen und sie durfte sich nicht anmerken lassen, dass sie gelauscht hatte.

Tatsächlich war Schwarzes Pferd sehr in sich gekehrt und still, als er zu ihr kam. Sie striegelte gerade Blackfeet und fragte möglichst unbekümmert: „Habt ihr beide euch ausgesprochen?“

Der Indianer nickte schweigend. „Ich weiss, es bereitet auch mir Mühe mich schon Morgen wieder von dir zu trennen, aber ich habe wohl noch so einiges zu lernen. Wandernder Bär wird schon wissen, was er tut.“ „Ja, vermutlich“, sprach Jonathan ziemlich zerknirscht.

„Aber wir treffen uns sicher noch einige Male. Du kannst ja auf Besuch kommen. Es ist ja nicht so weit.“

„Ich komme bestimmt“, gab der junge Mann zurück. Dann griff er nach ihrer Hand. In seinen Augen lag Angst und Unsicherheit. „Wirst du dich nicht doch noch entscheiden, in der Schweiz zu bleiben?“

Nathalie verstand seine Frage, da sie ja gelauscht hatte und erneut wurde sie ärgerlich. „Wenn ich sage ich komme wieder, tu ich das auch. Zweifelst du etwa daran?“

„Nein, eigentlich nicht, aber... es ist schwieriger seine Heimat für immer zu verlassen, als man manchmal denkt.“

„Ich gebe zu, dass ich manchmal schon etwas Furcht deswegen verspüre, doch ich will auch meiner Berufung nachkommen. Ausserdem ändert das sowieso nichts an meinen Gefühlen für dich. Ich liebe dich und ich finde, wir sollten jeden Moment geniessen, als wäre es unser Letzter.“

Als sie das sagte, wurde Schwarzes Pferd einen Moment lang stutzig und schaute sie erstaunt an. Doch dann entspannten sich seine Züge wieder und er umarmte sie. „Ja du hast Recht, wir sollten jeden Moment, den wir haben geniessen.“ Die beiden küssten sich und während sie sich küssten, rückten alle unschönen Gefühle in die Ferne und sie waren nur noch allein mit sich selbst...